
Geier Sturzflug – SKA & Reggae In der großen Tradition der kleinen Haushaltswaren
Meine musikalische Sozialisation wurde, wie bei so vielen meiner Generation, maßgeblich von der ZDF-Hitparade geprägt. Auch wenn die dort präsentierten Schlager meist weit an meinem persönlichen Geschmack vorbeigingen, war die Sendung am Samstagvorabend ein Pflichttermin. Man wollte schließlich wissen, was gerade angesagt war.
Richtig aufgehorcht habe ich zum ersten Mal, als Geier Sturzflug ihr „Bruttosozialprodukt“ präsentierten. Dass Friedel Geratsch damals live von der Textvorlage abwich und der Müllabfuhr ganz andere Aufgaben zuschrieb, als das offizielle Protokoll vorsah, sorgte für einen handfesten Eklat. Diese Art der Provokation gefiel mir ausnehmend gut. Doch hinter dem Schabernack steckte mehr: Die „Geier“ schafften es, kritische und hochpolitische Inhalte in ein leichtfüßiges Gewand zu hüllen und so direkt in die deutschen Wohnzimmer zu transportieren.
Auf dem Album „Heiße Zeiten...“ glänzte neben dem großen Hit auch der Opener „Besuchen Sie Europa“. Nur ein Jahr später, 1984, folgte mit „Dreimal täglich“ eine LP, die mir als Gesamtwerk sogar noch einen Tick besser gefiel. Doch als die „Neue Deutsche Welle“ langsam verebbte, verlor auch ich diese Musik aus den Augen – zumindest vorerst. Die Geier schwammen für mich damals nur am Rande dieser Welle mit, und so verschwanden sie in den hinteren Reihen meines Plattenregals.
Und nun flammt da ein Feuer wieder auf, das wohl jahrelang im Verborgenen gelodert hat. Da meine heimliche Leidenschaft seit jeher auch dem Ska und Reggae gehört, lief die aktuelle LP bei mir sofort in Dauerschleife.
Ich höre die Kritiker schon rufen: „Wenn Reggae, dann Bob Marley!“ Doch ich entgegne: Ich schätze Bands wie The Specials – und genau in dieser Tradition liefern Geier Sturzflug hier perfekt arrangierten Ska ab, gepaart mit exzellenten, messerscharfen Texten. Es überrascht eigentlich nicht, dass die Band hier ihre Heimat gefunden hat. Die Musik ist tanzbar, verbreitet sofort gute Laune und transportiert dennoch Haltung.
Die Produktion ist schlichtweg überzeugend. Hier ein paar meiner persönlichen Anspieltipps:
„Der letzte Zug“: Ein Song, der aktueller nicht sein könnte. Auch wenn ich Nichtraucher bin, halte ich die Cannabis-Legalisierung für den richtigen Weg – dieser Titel hat sich in kürzester Zeit zu meinem absoluten Favoriten entwickelt.
„Bob Hiob“: Der Opener gibt die Richtung vor. Ein starker Einstieg, der klarmacht: Dranbleiben lohnt sich!
„Fünf vor zwölf“: Ganz großes Kino, sowohl musikalisch als auch inhaltlich.
„Hey Kapitän“: Eröffnet die zweite Seite und hält das Stimmungsbarometer sofort wieder am Limit. Das Niveau bleibt hoch, bis der letzte Ton von „Modern ist wenn man gewinnt“ verklungen ist.
Ein kurzes Wort zum physischen Produkt, denn das verdient Anerkennung:
Das Vinyl: 180 Gramm, absolut laufruhig und ohne Nebengeräusche. Der Klang ist ausgewogen – ich nenne es schlicht „Spitzenklasse“.
Die Ausstattung: Das Cover ist geschmackvoll gestaltet, die Texte und Infos finden sich auf einem praktischen Einlegeblatt.
Der Preis: In Zeiten, in denen LP-Preise oft die 30-Euro-Marke sprengen, ist dieses Album für unter 20 Euro ein echtes Statement und mehr als fair.
Mein einziger Vorwurf an mich selbst: Warum habe ich diese LP nicht schon viel früher entdeckt? Kopfhörer auf, Lautstärke nach rechts (wirklich nur die Lautstärke!) und einfach fallen lassen.