[REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
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[REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
Die Lieder des in New York lebenden, ursprünglich aus Kinsley, Kansas stammenden Singer-Songwriters Freedy Johnston handeln oft von melancholischen Einzelgängern und decken Themen wie Liebeskummer, das Gefühl des Entfremdetseins und Enttäuschungen ab. Aufgrund der hohen Kunstfertigkeit seiner Songs wird er als "Songwriter für Songwriter" bezeichnet. Johnstons erstes Album "The Troubled Tree" erschien 1990. Johnston verkaufte einen Teil des Ackerlands seiner Familie, um die Finanzierung seines zweiten Albums "Can You Fly" zu sichern (über dieses Ereignis singt er in seinem Song "Trying to Tell You I Don't Know", dem Opener dieses wundervollen Albums). 1994 erfolgte mit seinem dritten Werk "This Perfect World" seine Debutveröffentlichung bei einem grossen Plattenlabel. Für dieses Album wurde er von der Kritik hoch gelobt und vom Magazin Rolling Stone zum "Songwriter des Jahres" gekürt. Das Album brachte die Single "Bad Reputation" hervor, die in den amerikanischen Billboard Hot 100 Charts Rang 54 erreichte und zu seinen bekanntesten Liedern zählt. Freedy Johnston steuerte auch Songs zu Soundtracks bei ("Kingpin", "Das Leben nach dem Tod in Denver" und "Little Manhattan").
Viele Musikkritiker sind sich indes einig, dass "Can You Fly" ein grosses Werk in der populären Musik darstellt, vor allem in den entsprechenden stilistischen Bereichen Singer/Songwriter, Americana und Roots Rock, in denen sich der Künstler bewegt. Was mich immer ein wenig geärgert hat ist die Tatsache, dass etliche Zeitgenossen ein so grosses Aufheben über die erste Textzeile der Platte gemacht haben: "Well I sold the dirt to feed the band" ("Nun, ich habe den Dreck verkauft, um die Band am leben zu halten"). Eigentlich jedoch eine kluge Entscheidung, wenn man den Sinn dieser Worte versteht: Wie bekannt, bezieht sich die Textzeile auf die Tatsache, dass Freedy Johnston einen Teil des Landes seiner Familien-Farm verkaufte, um als professioneller Musiker weiter arbeiten zu können. Es spielt daher keine grosse Rolle, ob das nun klug formuliert war oder nicht - eine weise Entscheidung war es allemal. Die Zeile bildet lediglich einen Gegensatz zu den traditionellen Werten, die Freedy Johnston in den meisten seiner Songs proklamiert.
Johnston war und ist ein extrem ehrgeiziger Musiker, aber seine Seele würde er niemals verkaufen für ein bisschen Erfolg. Seine Musik ist ein hervorragendes Gemisch aus akustischen und elektrischen Instrumenten, die manchmal interagieren, dann aber auch wieder für sich alleine stehen, und die Produktion bietet viel Raum zwischen den Darbietungen der einzelnen Musiker - Freedy's Musik klingt wie eine leicht schwebende und friedvolle Jam Session mitten in der riesigen Prärie unter einem grauen Himmel, ein bisschen so, wie das auch auf dem Plattencover dargestellt wird und das vielleicht jenen Teil seines Farmlandes im Bild festgehalten hat, das der Musiker damals verkaufte, um unter anderem diese Platte finanzieren zu können. Das ist auch nicht einmal besonders originell, denn engagierte Bands und Musiker tun viel, um ihre musikalische Seele ausleben zu können, warum dann nicht einfach einen Flecken Land verkaufen ? Freedy Johnston machte im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern jedoch etwas Grossartiges daraus.
Freedy Johnston's Stimme gleicht kaum einer anderen Stimme des Americana, die man kennt. Er singt seine Melodien, im Gegensatz etwa zu John Hiatt, mit einer ziemlich hohen Stimmlage, oft und gerne mit Kopfstimme, was zu seinen ätherischen, manchmal leicht über dem Boden schwebenden Kompositionen perfekt passt. Daneben kann er aber auch herzhaft rockig röhren, etwa im Song "Wheels", einem Titel, in welchem er von einem Kaff namens Hoffnungslosigkeit singt ("There really is a town called Hopeless"). Viele von Freedy Johnston's Liedern klingen sehr autobiographisch, und er versteht es ausgezeichnet, die jeweiligen Details seiner kleinen und grossen Geschichten in einer spröden, aber dennoch sehr poetischen Sprache abzufassen, wobei er selbst bei persönlichen Tragödien nicht auf ein kleines Augenzwinkern verzichtet. Er schreibt Lieder über Menschen, die sich Sorgen machen. Lieder über das Altwerden, über den Verlust der Kinder, wenn sie gross sind und gehen. Unabhängig davon, ob Freedy Johnston solche Texte basierend auf persönlichen Erfahrungen geschrieben hat, gelingt es ihm, diese Emotionen immer sehr persönlich wirken zu lassen, was seiner Musik eine grosse Glaubhaftigkeit vermittelt. Es sind letztlich diese Geschichten, die Jeder von uns erleben kann und bestimmt auch schon erlebt hat.
Neben dem wundervollen Titelstück "Can You Fly" überzeugen vor allem das mit einer tollen Hookline versehene "Tearing Down This Place", das zu seinen besten Momenten auf dieser Platte zählt. Hier erreicht seine Musik genau diesen Schwebezustand, den auch das Plattencover suggeriert - ein melancholisches Kleinod, das dank seines Arrangements und seiner musikalischen Darbietung nicht als drückend oder traurig empfunden wird. Im etwas folkigeren "Mortician's Daughter" erreicht Johnston's Musik eine Leichtigkeit, die einen äusserst angenehmen Zustand der Schwerelosigkeit hervorruft. Bemerkenswert schöne vokalistische Akzente schafft auch die Roots-Musikerin Syd Straw als Duettpartnerin beim Stück "Down To Love".
Musikalische Begleiter auf diesem zweiten Album von Freedy Johnston waren unter anderem Mitglieder relativ bekannter Bands, die allesamt kompetent und mit enorm viel Feeling ihren Job erledigt haben. So spielte etwa Graham Maby aus Joe Jackson's Band mit, ausserdem Jared Michael Nickerson von der Band Burned Sugar, Brian Doherty von They Might Be Giants, Kevin Salem von Giant Sand und Dumptruck, Jimmy Lee, Alan Bezozi von Madder Rose und Giant Sand, sowie Knut Bohn von Cowboy Mouth. Da Knut Bohn das Album auch gemixt hat, verströmt es stellenweise durchaus den sympathischen Independent-Charme von Cowboy Mouth. Dass mit den Gastmusikern Syd Straw (The Golden Palominos, The db's), Marshall Crenshaw, Kenny Margolis (Mink DeVille, Little Bob Story), Dave Schramm (The Schramms, Yo La Tengo), James MacMillan (Yo La Tengo, The db's) und Bob Rupe (The Silos, Cracker, Sparklehorse) einige prominente Künstler Schützenhilfe boten, machte dieses Album zu einem wahren Glanzstück des Americana und Roots Rock.
Und wenn das Plattencover dieses schwerelose Gefühl von Traurigkeit vermittelt, dieses wilde, unbearbeitete Stück Acker zeigt, das Freedy Johnston wohl verkauft hatte, um weiter Musik machen zu können und die unbeantwortete Frage "Kannst Du fliegen ?" im Raum stehen lässt, so darf man trotzdem nicht glauben, dass auf diesem hervorragend produzierten und gespielten Werk die Tristesse alle anderen Stimmungsfarben überdeckt. Nein, der letzte Song auf der Platte trägt den ebenso versöhnlichen wie hoffnungsvollen Titel "We Will Shine".
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
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Re: [REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
Feiner und -fast schon natürlich- sehr ausführlicher Text. Ich kannte den Mann bisher nicht, aber das sollte sich wohl ändern. Als Unlimited-Wombat kann ich so einiges von ihm hören. Das einzige, was ich ggf. zu bekritteln hätte, wäre seine Stimme. Ein Schippchen mehr Volumen und "Tiefe" würde den Songs guttun.
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Re: [REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
Bei mir ist genau das Gegenteil der Fall: Hätte der Mann eine tiefere und voluminösere Stimme, ergo eine unter Hundrten, würde er mir wohl nicht so gut gefallen. Genau diese leichte Brüchigkeit in der Stimme, diese Melancholie, die er stimmlich in seine Songs legt, macht für mich den ganzen Musiker erst aus.Vombatus ursinus hat geschrieben: ↑Di 27. Feb 2024, 18:14 Feiner und -fast schon natürlich- sehr ausführlicher Text. Ich kannte den Mann bisher nicht, aber das sollte sich wohl ändern. Als Unlimited-Wombat kann ich so einiges von ihm hören. Das einzige, was ich ggf. zu bekritteln hätte, wäre seine Stimme. Ein Schippchen mehr Volumen und "Tiefe" würde den Songs guttun.
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Re: [REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
Kann man natürlich so sehen bzw. hören. Dennoch: auch in seiner leicht brüchigen Stimmlage ist er sicherlich nicht alleine auf weiter Flur....
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Re: [REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
Auch ich muss eingestehen, dass mir der Musiker Freedy Johnston kein Begriff war. Und wenn ich das richtig verfogt habe, war er bisher nur als Solokünstler unterwegs. Allerdings hast du uns mit deiner umfassenden Rezi den Weg geebnet und den Musiker näher gebracht.
Roots Rock oder auch Americana ist mir natürlich bestens vertraut, zumal mich Emma mit diesen Klängen hinreichend versorgt und ich daran immer größeren Gefallen daran finde.
Wenn man sich mal seine musikalischen Begleiter auf diesem Album vergegenwärtigt, geht im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne auf.
So spielte etwa Graham Maby aus Joe Jackson's Band mit, ausserdem Jared Michael Nickerson von der Band Burned Sugar, Brian Doherty von They Might Be Giants, Kevin Salem von Giant Sand und Dumptruck, Jimmy Lee, Alan Bezozi von Madder Rose und Giant Sand, sowie Knut Bohn von Cowboy Mouth. Da Knut Bohn das Album auch gemixt hat, verströmt es stellenweise durchaus den sympathischen Independent-Charme von Cowboy Mouth. Dass mit den Gastmusikern Syd Straw (The Golden Palominos, The db's), Marshall Crenshaw, Kenny Margolis (Mink DeVille, Little Bob Story), Dave Schramm (The Schramms, Yo La Tengo), James MacMillan (Yo La Tengo, The db's) und Bob Rupe (The Silos, Cracker, Sparklehorse) einige prominente Künstler Schützenhilfe boten, machte dieses Album zu einem wahren Glanzstück des Americana und Roots Rock.
Die hier bereits angesprochene Stimme fügt sich nach meinem Empfinden bestens in das musikalische Gesamtbild mit ein, denn sie verfügt mit ihrer leichten Brüchigkeit den gewissen Individualcharakter für diese Art von Musik.
Schöne Rezi ......
Roots Rock oder auch Americana ist mir natürlich bestens vertraut, zumal mich Emma mit diesen Klängen hinreichend versorgt und ich daran immer größeren Gefallen daran finde.
Wenn man sich mal seine musikalischen Begleiter auf diesem Album vergegenwärtigt, geht im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne auf.
So spielte etwa Graham Maby aus Joe Jackson's Band mit, ausserdem Jared Michael Nickerson von der Band Burned Sugar, Brian Doherty von They Might Be Giants, Kevin Salem von Giant Sand und Dumptruck, Jimmy Lee, Alan Bezozi von Madder Rose und Giant Sand, sowie Knut Bohn von Cowboy Mouth. Da Knut Bohn das Album auch gemixt hat, verströmt es stellenweise durchaus den sympathischen Independent-Charme von Cowboy Mouth. Dass mit den Gastmusikern Syd Straw (The Golden Palominos, The db's), Marshall Crenshaw, Kenny Margolis (Mink DeVille, Little Bob Story), Dave Schramm (The Schramms, Yo La Tengo), James MacMillan (Yo La Tengo, The db's) und Bob Rupe (The Silos, Cracker, Sparklehorse) einige prominente Künstler Schützenhilfe boten, machte dieses Album zu einem wahren Glanzstück des Americana und Roots Rock.
Die hier bereits angesprochene Stimme fügt sich nach meinem Empfinden bestens in das musikalische Gesamtbild mit ein, denn sie verfügt mit ihrer leichten Brüchigkeit den gewissen Individualcharakter für diese Art von Musik.
Schöne Rezi ......
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Re: [REVIEW] Freedy Johnston • Can You Fly (1992)
Mit deiner ausführlichen Rezi führst du den Leser direkt in das Wohnzimmer des Musikers Freedy Johnston, auch wenn man ihn zuvor nicht kannte.
Mit Americana und Roots Rock läufst du bei mir natürlich offene Türen ein und deine drei Songbeispiele spiegeln diese Frische, aber auch den Tiefgang dieser Spielarten wider. Schön, wenn man sich von dieser Musiart treiben lassen kann.
Der Gesang ist stimmig und somit ein weiteres Mosaik im Zusammenspiel der Musik. Ein etwas markanterer Gesangstil wäre mir zu vordergründig gewesen und hätte nicht so gut dazu gepasst.
Mit Americana und Roots Rock läufst du bei mir natürlich offene Türen ein und deine drei Songbeispiele spiegeln diese Frische, aber auch den Tiefgang dieser Spielarten wider. Schön, wenn man sich von dieser Musiart treiben lassen kann.
Der Gesang ist stimmig und somit ein weiteres Mosaik im Zusammenspiel der Musik. Ein etwas markanterer Gesangstil wäre mir zu vordergründig gewesen und hätte nicht so gut dazu gepasst.