[REVIEW] Blanche • If We Can't Trust The Doctors (2004)

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Beatnik
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[REVIEW] Blanche • If We Can't Trust The Doctors (2004)

Beitrag von Beatnik »

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Wenn man grad so schön depressiv am Fenster sitzt und der Regen draussen alles andere als Herzensfreude erregt, greift man am besten zu diesem akustischen Allheilmittel, genannt Blanche. Blanche ist eigentlich ungiftig, aber es hat trotzdem enorme Nebenwirkungen. Denn weder der Titel dieses musikalischen Medikaments ("If We Can't Trust The Doctors"), noch die beigelegte Packungsbeilage ("Blanche Manual", ugs. auch Booklet genannt) lässt einen glauben, dass einem hier wirklich geholfen wird.

Fangen wir daher bei der Packungsbeilage, also beim Booklet an. Eigentlich ist das ja gar kein Textbüchlein, sondern eher eine stark vergilbte, arg in die Jahre gekommene Werbeschrift des Detroiter Apotheker-Verbands. Denn aus Detroit kommt Blanche, dieses Allheilmittel. "Remedies, Concoctions and Trade Secrets", also "Heilmittel, Gebräu und Geschäftsgeheimnisse" ist der Titel des Manuals. Schlagen wir dieses Booklet mal auf, erblicken wir erst einmal die Apothekerzunft, bestehend aus Feeny (Pedal Steel, Piano, Melodica, Clarinet und 'Trickery'), Lisa 'Jaybird' Jannon (The Drummer), Dan John Miller (Guitar, Fiddle), Tracee Mae Miller (Bass, Dan’s Ehefrau) und Patch Boyle (Banjo, Autoharp). Abgelichtet im 30er Jahre-Stil hinter der Anklagebank. Bitte nehmen Sie Platz, wir blättern nun in der Anklageschrift!

"Preamble" - der akustische Einstieg zur dem Manual beigelegten CD. Ganze 28 Sekunden lang, und nichts Gutes verheissend. Text gibt es keinen, dafür Werbung: "Plagued by Nostalgia ? A gentle, safe and efficient Purgative not producing Nausea or Griping". Na, da sind wir ja beruhigt. Blanche erzeugt also keine Krankheiten. Unterzeichnet: H.A. Rymans - A Drugist and Chemist you can trust! Dann folgt Song Nummer Zwei und hier wird sogar richtig gesungen ("Who’s To Say"). Zu zuckersüssem Jayhawks-, Lambchop- oder sonst was-Americana geraten wir zur Erkenntnis, dass aufgrund unseres Unwohlseins wohl irgendwas nicht mehr so ist, wie es sein soll: "You say that by now I should know you’ll never love me, but who’s to say that what has never been will never be ?" Ein Fall für die Couch, wir sind irgendwie nicht ganz dicht. Die Antwort des Psychodoktors folgt in Song Drei: "Do You Trust Me ?"

"Now the lilac’s lost it's fragrance and the soil has turned to dust and it doesn’t take a trusting man to sing a song of trust". Der Weisheit letzter Schluss: Das muss dringend therapiert warden. Mit Song Vier folgt das erste und vielleicht grandioseste Highlight auf dieser Platte: "Superstition" - garantiert Stevie Wonderbra-frei. Zentrale Aussage: "If we can’t trust the doctors and our prayers have fallen flat, and the 14 pills she takes each day won’t hold her sickness back", dann haben wir echt ein Problem, das nicht mehr physischen Ursprungs ist.

Und jetzt versuche ich, das Gehörte aus dem textlichen Zusammenhang zu reissen, doch leider funktioniert das nicht. Wie gerne würde ich jetzt von diesem Song schwärmen. Schreiben, dass das etwas vom Schönsten ist, das ich je gehört habe. Doch der Text reisst Dich auseinander: Depressiv wäre da noch ein beschönigendes Wort. Trotzdem: Ein himmlischer Song. Es folgt "Bluebird" - ein Dialog: "Good Morning Honey" - "Good Morning Darling" - "Did you have a good night sleep ?" - "Yes, I slept very deep". Die Medikamente zeigen also Wirkung, schlagen runter, hauen um und wie in Trance buttert sich der Song durch die Gehörgänge ins Gehirn. Welch königliche Synapsen. "So long Cruel World" - es wird kompliziert. "Folks you’d think I’d be happy and delighted, ‚cause all my dreams are finally coming true, but did I mention all my dreams are Nightmares ? And in my head I feel a storm about to brew". Es muss an der Medikamentierung liegen. 14 Pillen waren nicht genug, der Psychodoktor bekundet seine liebe Mühe, und fragt nach, woran’s denn liegen mag. "Garbage Picker", dieser Song, der keiner ist, in höllisch schneller Zeitlupe (kennt Ihr dieses Gefühl ? Das überkommt einen manchmal in tiefen Träumen, wenn sich im Leben Veränderungen anbahnen - man will rennen, kann aber nicht, weil die Schuhe in Leim kleben - boah, was hab ich da geschrieben....???....oops wo rennen denn die kleinen Fingerlein hin - marschmarsch weg von der Pillendose und zurück auf die Tastatur!) liefert die Antwort: "My debonair style impressed you but you kept asking where I shopped and that day you saw me digging by the road side was the day our romance stopped: you shouted Garbage Picker!"

Es folgt "The Hopeless Waltz", ein Schleicher im Dreivierteltakt, brutal in seiner Schönheit, betörend in seiner Kaputtheit: "When you’re sadder than sad, that’s when hope drives you mad, when nothing feels true, hope prays on you" mit dem fiesen Chorus sad…sad…sad…sad…sad…sad…….

"Another Lost Summer": Ja, haken wir doch den kommenden Sommer schon vor dem Frühling einfach ab; kommt eh nicht gut raus. Den "Wayfaring Stranger" gibt’s dann noch als Testmüsterchen-Zugabe, ugs. auch Bonustrack genannt, in einer Traurigkeit, dass einen schaudert. Den letzten Track, "Someday" ("Someday you will find out….." - ich wusste, es geht in eine unbekannte Richtung) ertragen wir grad noch so halbwegs und dann, wenn alles vorbei ist, wir die Augen wieder öffnen und auf die Uhr schauen, tut es gut festzustellen, dass dieser Trip doch nur etwas über 40 Minuten gedauert hat.

Diese 40 Minuten allerdings sind etwas vom Heilendsten, was ich an musikalischen Drogen ausprobiert habe. Ich verlasse glücklich und mit einem seligen Lächeln in den Mundwinkeln die Blanche-Klinik. Im Manual bedankt sich die gesamte Klinikleitung und posiert vor dem Hauptportal mit der gesamten Belegschaft in Weisskitteln für’s Photoalbum. Unter dem Photo noch die Wuchtbrumme für Pferde - eine Spritze mit Riesenkanüle - für alle Fälle, und als kleine Erinnerung für mit auf den Heimweg. Die Manualseiten noch einmal drehen und die letzte Werbung lesen: "Ms. Dimitrova’s Trust Serum – For Easing the nerves, the Suppression of Voices and other Maladies of the Spirit – A Staple in Today’s finer Infirmaries".

Unauffällig und ohne Verdacht zu erregen die CD zurück in die Verpackung klacken, das Manual zurück in die Lasche stecken und froh sein, dass ich diese musikalische Therapie über mich habe ergehen haben. Jetzt bin ich glücklich. Gleich nochmal rausnehmen und in die CD-Schublade stecken ? Nein, erst mal warten, bis es wieder soweit ist, dass ich erneut die Hilfe der Blanche Klinik benötige.



Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] Blanche • If We Can't Trust The Doctors (2004)

Beitrag von Louder Than Hell »

Und wieder ein Album, das mir nicht bekannt war. Deine Beschreibungsmerkmale treffen den Nagel aber punktgenau auf den Kopf und die Musik verströmt eine wohlige Atmosphäre aus. Klasse kann ich dazu nur noch sagen.
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Emma Peel
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Re: [REVIEW] Blanche • If We Can't Trust The Doctors (2004)

Beitrag von Emma Peel »

Unaufgeregte und zugleich fließende Klänge, so ganz nach meinem Geschmack.

Musik, die der Seele gut tut. Könnte eine Kaufempfehlung für mich werden.
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Lavender
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Re: [REVIEW] Blanche • If We Can't Trust The Doctors (2004)

Beitrag von Lavender »

Beatnik hat geschrieben: Mi 27. Dez 2023, 15:07 Bild

Wenn man grad so schön depressiv am Fenster sitzt und der Regen draussen alles andere als Herzensfreude erregt, greift man am besten zu diesem akustischen Allheilmittel, genannt Blanche. Blanche ist eigentlich ungiftig, aber es hat trotzdem enorme Nebenwirkungen. Denn weder der Titel dieses musikalischen Medikaments ("If We Can't Trust The Doctors"), noch die beigelegte Packungsbeilage ("Blanche Manual", ugs. auch Booklet genannt) lässt einen glauben, dass einem hier wirklich geholfen wird.

Fangen wir daher bei der Packungsbeilage, also beim Booklet an. Eigentlich ist das ja gar kein Textbüchlein, sondern eher eine stark vergilbte, arg in die Jahre gekommene Werbeschrift des Detroiter Apotheker-Verbands. Denn aus Detroit kommt Blanche, dieses Allheilmittel. "Remedies, Concoctions and Trade Secrets", also "Heilmittel, Gebräu und Geschäftsgeheimnisse" ist der Titel des Manuals. Schlagen wir dieses Booklet mal auf, erblicken wir erst einmal die Apothekerzunft, bestehend aus Feeny (Pedal Steel, Piano, Melodica, Clarinet und 'Trickery'), Lisa 'Jaybird' Jannon (The Drummer), Dan John Miller (Guitar, Fiddle), Tracee Mae Miller (Bass, Dan’s Ehefrau) und Patch Boyle (Banjo, Autoharp). Abgelichtet im 30er Jahre-Stil hinter der Anklagebank. Bitte nehmen Sie Platz, wir blättern nun in der Anklageschrift!

"Preamble" - der akustische Einstieg zur dem Manual beigelegten CD. Ganze 28 Sekunden lang, und nichts Gutes verheissend. Text gibt es keinen, dafür Werbung: "Plagued by Nostalgia ? A gentle, safe and efficient Purgative not producing Nausea or Griping". Na, da sind wir ja beruhigt. Blanche erzeugt also keine Krankheiten. Unterzeichnet: H.A. Rymans - A Drugist and Chemist you can trust! Dann folgt Song Nummer Zwei und hier wird sogar richtig gesungen ("Who’s To Say"). Zu zuckersüssem Jayhawks-, Lambchop- oder sonst was-Americana geraten wir zur Erkenntnis, dass aufgrund unseres Unwohlseins wohl irgendwas nicht mehr so ist, wie es sein soll: "You say that by now I should know you’ll never love me, but who’s to say that what has never been will never be ?" Ein Fall für die Couch, wir sind irgendwie nicht ganz dicht. Die Antwort des Psychodoktors folgt in Song Drei: "Do You Trust Me ?"

"Now the lilac’s lost it's fragrance and the soil has turned to dust and it doesn’t take a trusting man to sing a song of trust". Der Weisheit letzter Schluss: Das muss dringend therapiert warden. Mit Song Vier folgt das erste und vielleicht grandioseste Highlight auf dieser Platte: "Superstition" - garantiert Stevie Wonderbra-frei. Zentrale Aussage: "If we can’t trust the doctors and our prayers have fallen flat, and the 14 pills she takes each day won’t hold her sickness back", dann haben wir echt ein Problem, das nicht mehr physischen Ursprungs ist.

Und jetzt versuche ich, das Gehörte aus dem textlichen Zusammenhang zu reissen, doch leider funktioniert das nicht. Wie gerne würde ich jetzt von diesem Song schwärmen. Schreiben, dass das etwas vom Schönsten ist, das ich je gehört habe. Doch der Text reisst Dich auseinander: Depressiv wäre da noch ein beschönigendes Wort. Trotzdem: Ein himmlischer Song. Es folgt "Bluebird" - ein Dialog: "Good Morning Honey" - "Good Morning Darling" - "Did you have a good night sleep ?" - "Yes, I slept very deep". Die Medikamente zeigen also Wirkung, schlagen runter, hauen um und wie in Trance buttert sich der Song durch die Gehörgänge ins Gehirn. Welch königliche Synapsen. "So long Cruel World" - es wird kompliziert. "Folks you’d think I’d be happy and delighted, ‚cause all my dreams are finally coming true, but did I mention all my dreams are Nightmares ? And in my head I feel a storm about to brew". Es muss an der Medikamentierung liegen. 14 Pillen waren nicht genug, der Psychodoktor bekundet seine liebe Mühe, und fragt nach, woran’s denn liegen mag. "Garbage Picker", dieser Song, der keiner ist, in höllisch schneller Zeitlupe (kennt Ihr dieses Gefühl ? Das überkommt einen manchmal in tiefen Träumen, wenn sich im Leben Veränderungen anbahnen - man will rennen, kann aber nicht, weil die Schuhe in Leim kleben - boah, was hab ich da geschrieben....???....oops wo rennen denn die kleinen Fingerlein hin - marschmarsch weg von der Pillendose und zurück auf die Tastatur!) liefert die Antwort: "My debonair style impressed you but you kept asking where I shopped and that day you saw me digging by the road side was the day our romance stopped: you shouted Garbage Picker!"

Es folgt "The Hopeless Waltz", ein Schleicher im Dreivierteltakt, brutal in seiner Schönheit, betörend in seiner Kaputtheit: "When you’re sadder than sad, that’s when hope drives you mad, when nothing feels true, hope prays on you" mit dem fiesen Chorus sad…sad…sad…sad…sad…sad…….

"Another Lost Summer": Ja, haken wir doch den kommenden Sommer schon vor dem Frühling einfach ab; kommt eh nicht gut raus. Den "Wayfaring Stranger" gibt’s dann noch als Testmüsterchen-Zugabe, ugs. auch Bonustrack genannt, in einer Traurigkeit, dass einen schaudert. Den letzten Track, "Someday" ("Someday you will find out….." - ich wusste, es geht in eine unbekannte Richtung) ertragen wir grad noch so halbwegs und dann, wenn alles vorbei ist, wir die Augen wieder öffnen und auf die Uhr schauen, tut es gut festzustellen, dass dieser Trip doch nur etwas über 40 Minuten gedauert hat.

Diese 40 Minuten allerdings sind etwas vom Heilendsten, was ich an musikalischen Drogen ausprobiert habe. Ich verlasse glücklich und mit einem seligen Lächeln in den Mundwinkeln die Blanche-Klinik. Im Manual bedankt sich die gesamte Klinikleitung und posiert vor dem Hauptportal mit der gesamten Belegschaft in Weisskitteln für’s Photoalbum. Unter dem Photo noch die Wuchtbrumme für Pferde - eine Spritze mit Riesenkanüle - für alle Fälle, und als kleine Erinnerung für mit auf den Heimweg. Die Manualseiten noch einmal drehen und die letzte Werbung lesen: "Ms. Dimitrova’s Trust Serum – For Easing the nerves, the Suppression of Voices and other Maladies of the Spirit – A Staple in Today’s finer Infirmaries".

Unauffällig und ohne Verdacht zu erregen die CD zurück in die Verpackung klacken, das Manual zurück in die Lasche stecken und froh sein, dass ich diese musikalische Therapie über mich habe ergehen haben. Jetzt bin ich glücklich. Gleich nochmal rausnehmen und in die CD-Schublade stecken ? Nein, erst mal warten, bis es wieder soweit ist, dass ich erneut die Hilfe der Blanche Klinik benötige.



Ganz feiner Tipp. Besten Dank. Prima Rezension und schöne Songbeispiele.
„Musik ist eine Welt für sich, mit einer Sprache, die wir alle verstehen." Stevie Wonder
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