[REVIEW] Colosseum Valentyne Suite (1969)

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BRAIN
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[REVIEW] Colosseum Valentyne Suite (1969)

Beitrag von BRAIN »

In der abwechslungsreichen Geschichte des Progressive Rock wurde immer wenig über Colosseum geschrieben, eine britische Band, die - aus verschiedenen Gründen - immer weniger bekannt war als die Giganten der Rock-Szene.
Die Gründe liegen wohl in der kurzen Aktivitätszeit der Band (1969 bis 1971, vor der Reunion 1997), aber auch die Tatsache, dass sie als erste auf (fast) völlig unerforschtem Terrain unterwegs waren, hat ihnen vielleicht nicht geholfen.
Colosseum wurden 1968 von Schlagzeuger Jon Hiseman in London gegründet und debütierten im folgenden Jahr mit "Those Who Are About To Die Salute You", einer ausgesprochenen Rock-Blues-LP mit Jazz-Einflüssen.
Mit ihrem Debüt gingen sie sicherlich nicht in die Geschichte ein, aber im selben Jahr veröffentlichten sie "Valentyne Suite", das Album, dass für immer ihr unbestrittenes Meisterwerk bleiben wird und das erste Rockwerk, dass das Wort "Suite" in seinem Titel trägt.

Es war im November 1969, nur einen Monat zuvor hatten King Crimson mit "In The Court Of The Crimson King" ihr Debüt gegeben, ein Album, das oft als Ursprung des Prog-Rock angesehen wird, auf dem aber noch kein Titel zu finden war, der als Suite bezeichnet werden konnte.
Das bedeutet aber nicht, dass Colosseum die ersten waren, die eine Rockversion der klassischen Suite anboten.
1968 - also ein Jahr zuvor - hatten Procol Harum "In Held Twas In I" aufgenommen, 18 Minuten, aufgeteilt in fünf Sätze, mit klassischen Barockklängen, einem für jene Jahre typischen psychedelischen Intros und den übrigen Sätzen, die wie in einer Collage eingefügte Stücke klingen.
Ebenfalls im selben Jahr hatte Keith Emerson's Nice "Ars Longa Vita Brevis" veröffentlicht, ein 19-minütiges Werk in fünf Sätzen, dass der klassischen Musik (Bachs Brandenburgische Konzerte) sehr nahekam, aber eher wie eine Spielwiese für Emersons Virtuosität wirkte als wie der Ausgangspunkt für eine Idee einer Rocksuite.
Unter diesem Gesichtspunkt waren Colosseum also die ersten, die eine neue Vorstellung von der Suite als einem kleinen, homogenen Konzept (begrenzt durch die physische Länge einer Schallplattenseite, d.h. etwa 20 Minuten) vermittelten, in dem es ein Maximum an Freiheit für die Musiker gibt, aber auch einen roten Faden, der die Sätze zusammenhält.

In "Valentyne Suite" sticht das Titelstück hervor, dass die eingangs erwähnten unerforschten Rockeinflüsse erschließt.
Einflüsse, die später wirklich zur Spielwiese aller Prog-Bands werden sollten, die komplexesten Suiten aufzunehmen, die möglich waren, als ob sie sich ständig gegenseitig herausforderten.
Der Titeltrack der "Valentyne Suite" (17-Minuten, aufgeteilt in drei Sätze), sicherlich die ehrgeizigste und abenteuerlichste Komposition ihrer kurzen Karriere, beginnt mit dem Satz "January's Search", mit Keyboard und Vibraphon, zu dem sich zwei Saxophone gesellen, mit verschiedenen Rhythmen von orchestralem Jazz bis hin zu Improvisationen, die allmählich zu einer wahren instrumentalen Tour de Force werden, die später nur noch als progressiv bezeichnet werden sollten.
Nach etwa sechs Minuten beginnt der zweite Satz, "February's Valentyne", der mit einem Chorthema beginnt, dass von Keyboards und Saxophonen begleitet wird und etwas von -Atom Heart Mother- anzukündigen scheint, bevor es zu einer verschlungenen Schlussfuge kommt.
Der dritte und letzte Satz, "The Grass Is Always Greener", ist der längste (fast 7 Minuten) und endet - nach einem kurzen, psychedelischen Gitarrenzwischenspiel - mit einem imposanten instrumentalen Finale, dass wie eine freudige Fanfare klingt und ein Jahrzehnt von weiteren Rock-Suiten einleitet, dass als das goldene Zeitalter des Prog in die Geschichte eingehen wird.

Angesichts solcher Größe ist es klar, dass die A-Seite des Albums verblasst, obwohl sie gute Hard-Blues-Stücke wie "The Kettle" enthält, die manchmal durch Dick Heckstall-Smiths Saxophon geprägt werden und eine jazzige Kulisse schafft ("Butty Blues").
Aber es ist sicher, dass die Geschichte von Colosseum dank des futuristischen Titeltracks, der schönen Valentyne auf dem Cover gewidmet ist, für immer als ein bedeutendes Stück im Epos des aufkommenden Progressive Rocks enthalten sein wird.

Tracklist:
1. The Kettle
2. Elegy
3. Butty's Blues
4. The Machine Demands A Sacrifice
5.The Valentyne Suite
  • Theme One - January's Search
  • Theme Two - February's Valentyne
  • Theme Three - The Grass Is Always Greener

Dave Greenslade – Hammond organ, vibraphone, piano, backing vocal on "The Machine Demands a Sacrifice"
Dick Heckstall-Smith – saxophones, flute on "The Machine Demands a Sacrifice"
Jon Hiseman – drums, machine on "The Machine Demands a Sacrifice"
James Litherland – guitars, lead vocals
Tony Reeves – bass guitars

Guest musicians
Neil Ardley – conductor on "Butty's Blues", string arrangement on "Elegy"
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BRAIN
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Re: [REVIEW] Colosseum Valentyne Suite (1969)

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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] Colosseum Valentyne Suite (1969)

Beitrag von Louder Than Hell »

Colosseum haben sich schon deshalb in meinem Herzen fest verankert, weil es das erste richtige Konzert war, zu dem ich mit mehreren anderen aus unserer Clique gegangen bin. Das Ganze fand im Jahre 1970 auf der Freilichtbühne im Hamburger Stadtpark statt. Da ich auch die Musiker hautnah auf der Bühne erleben durfte, hat sich dieses Ereignis bei mir festgebrannt. Was ich aber nicht mehr sagen kann, ob an diesen späten Nachmittag die Musiker James Litherland und Tony Reeves mit von der Party waren.

Auch wenn Colosseum im Laufe der Jahrzehnte einige Trennungen und Musikerwechsel zu verzeichnen hatten, teils aus persönlichen Gründen und teils auch wegen einiger Sterbefälle, so gibt es die Band noch immer und haben weiterhin aussagekräftige Botschaften zu übermitteln. Ich denke auch, dass ihr jazzrock geprägter Prog nicht gerade die Massen mitgerissen hat, anders als bei den drei Genreführern mit Genesis, Yes oder E,L&P. Außerdem haben die drei letztgenannten Bands ein größeres Durchhaltevermögen in ihrer Anfangszeit bewiesen.

Das hier vorliegende Album ist sicherlich ein Meilenstein des Progs. Wer Blues, Jazz und auch Rock derart verknüpft und diese Stilarten perfekt in den einzelnen Musikstücken einwebt, hat Großes vollbracht. Zudem war jeder der hier mitwirkenden Musiker ein Meister seines Fachs. Es gibt heute noch etliche Personen, die den Ausstieg von James Litherland als Fehler bezeichnen, da sie seine spielerische Qualität höher einschätzen als die von Clem Clempson.

Natürlich ist der Longtrack "Valentyne Suite" das alles überragende Stück dieser Platte. 17 Minuten lang werden die Spannungsbögen hochgehalten, so dass man aus den Staunen gar nicht mehr herauskommt. Dieses Stück war auch ein Türöffner für andere Bands. Aber auch die andere Seite der Platte ist stark, wobei es mir die Stücke "The Kettle", "Elegy" und "Butty's Blues" besonders angetan haben.

Andreas, das war wieder eine schöne Rezi.
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