Es gibt zahlreiche Bands, die Ende der 60er Jahre Songs aufnahmen, die nie veröffentlicht wurden, obwohl sie qualitativ hervorragend waren und die Musiker manchmal lediglich an den falschen Türen anklopften. Dass einige Musiker später dennoch Karriere machen konnten erklärt, warum die eine oder andere Perle dann doch einmal noch veröffentlicht wurde, nicht selten erst Jahrzehnte später, wie das Beispiel der Gruppe Canterbury Glass zeigt. Deren Musik war aussergewöhnlich, da sie zwei Musikrichtungen miteinander verschmolz, die eigentlich nichts miteinander zu tun hatten: Sakrale Musik und psychedelischen Progressive Rock. 1968 nahm die Band 6 Songs auf, die so arg unverkäuflich schienen, dass sie bald in einem privaten Archiv verschwanden und für sehr lange Zeit dort schlummerten, bis sie im Jahre 2007 wiederentdeckt und restauriert wurden. Dabei zeigte sich, dass wohl 2 von den Stücken nicht mehr brauchbar klangen, da sie dem Zahn er Zeit nicht standhielten. Stattdessen fand sich noch weiteres Material, das die Band zwar ebenfalls eingespielt, nicht aber für eine Veröffentlichung geplant hatte.
Der Ursprung der Band Canterbury Glass geht auf das Londoner Folk Duo Malcolm Ironton und Michael Wimbledon zurück, welches um Mitte der 60er Jahre einige Singles unter dem Namen Mick & Malcolm veröffentlichte. Sie waren einer der vielen Acts des britischen Labels Pye, das sich ihrer annahm, weil es damals so einige erfolgreiche Folk Duos gab, wie zum Beispiel die äusserst erfolgreichen Chad & Jeremy oder Peter & Gordon. Nachdem der Plattenvertrag mit Pye erfolglos ausgelaufen war, gründeten die beiden mit dem Bassisten Tony Proto und dem Schlagzeuger Dave Dowle sowie dem Keyboarder Mike Hall die Band Canterbury Glass. Mike Hall war es, der mit seinem sakralen Orgelspiel einige typische religiöse Klänge, die man bestenfalls aus Kathedralen an Messen kannte, zur Musik der Band beisteuerte, die vor allem geprägt war durch die teils sehr freien Kompositionen von Michael Ironton, der sich dabei durchaus an der Musik der frühen Pink Floyd mit Syd Barrett und etwa der Moody Blues orientierte. Das Kuriose daran war, dass Ironton und Hall ihre Kompositionen für lateinischen Gesang arrangierten, was natürlich zwingend Vergleiche mit der Band The Electric Prunes nach sich zog, deren musikalische Ausrichtung auf einer ähnlichen Idee basierte. Als nächstes Bandmitglied gesellte sich Sänger und Flötist Valeri Watson hinzu, der dieser aussergewöhnlichen Musik schliesslich auch noch stimmlich einen eigenen Stempel aufdrückte.
Der Londoner Arrangeur Harry Roberts bekam eine Demo-Cassette zu hören, auf welcher zwei Songs der Band zu hören waren und mit seinem Partner Cliff Adams, dem Besitzer des renommierten Londoner Olympic Studios arrangierte er für die Band die Aufnahmen für ein komplettes Album. Die 6 originalen Einspielungen, auf teils wilder Gitarren-Psychedelik aufgebaute Sakral-Musik, sollte einem der grossen Plattenlabels zur Veröffentlichung vorgeschlagen werden, doch sowohl Polydor, als auch CBS, die beiden grossen Plattenfirmen damals, lehnten die Musik als vermeintlich unverkäuflich ab. Die Band trennte sich kurze Zeit darauf, nicht ohne vorher noch mit einem Gastgitarristen die bereits eingespielten Songs noch zu verändern, resp. zu erweitern, um vielleicht in einem weiteren Versuch, die Platte zu promoten, doch noch eine Veröffentlichung zu ermöglichen. Dieser Gastgitarrist war Steve Hackett, der spätere Gitarrist von Genesis, und entgegen etwaiger Vermutungen, Steve Hackett hätte bei dieser LP grundsätzlich Gitarre gespielt ist es in Wahrheit so, dass er lediglich an einem Stück Korrekturen vorgenommen hatte und dabei selbstverständlich noch nicht seine späteren Qualitäten unter Beweis stellen konnte. Eine interessante Fussnote ist es natürlich trotzdem. Der Schlagzeuger Dave Dowle trat 1969 Brian Auger's Oblivion Express bei und landete später bei Whitesnake.
Die musikalische Vorgabe der Band Canterbury Glass erreichte in der Folge - in leicht abgemildeter Form - auch zahlreiche nachkommende Bands wie zum Beispiel Procol Harum oder Caravan, welche zwar das streng Sakrale in ihrer Musik weitgehend ausblendeten, jedoch die klassische Kirchenorgel als wichtiges und manchmal stilbestimmendes Instrument in ihre Musik einbauten und damit weitaus erfolgreicher unterwegs waren als Canterbury Glass, deren Musik dank einer Wiedererweckung nach fast 40 jährigem Schlummern in den Archiven seit 2007, sowohl auf Vinyl, wie auf CD wieder zugänglich ist. Die Erstveröffentlichung erschien 2007 als CD auf Ork Records (ORK5), 2010 folgte dann auf Stamford Audio die erstmalige Vinyl-Variante der Aufnahme.
[REVIEW] Canterbury Glass • Sacred Scenes And Characters (1968, 2007)
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[REVIEW] Canterbury Glass • Sacred Scenes And Characters (1968, 2007)
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Re: Canterbury Glass • Sacred Scenes And Characters (1968, 2007)
Hab die CD und bin über den Genesis Bezug draufgekommen.
Diese Kathedralenmusik-geht-Rock-Attitüde gefällt mir wirklich gut, wobei der psychedelische Gitarrenrock durch kirchliche Orgel, Cembalo, Flöte und männlich-weibliche Choralharmonien ergänzt wird.
Die Orgel erinnert schon auch an Caravan, wobei die die klassisch-religiösen Einflüsse nicht so dominant einsetzen.
Das Ganze hat eine ernsthafte Naivität, die den Hörer je nach Geschmack entweder bezaubert oder abschreckt, ist aber auch eindringlich und ungewöhnlich.
Es ist eine lohnende Kuriosität die auch den den damaligen Zeitgeist der Jesus People Bewegung passt.
Diese Kathedralenmusik-geht-Rock-Attitüde gefällt mir wirklich gut, wobei der psychedelische Gitarrenrock durch kirchliche Orgel, Cembalo, Flöte und männlich-weibliche Choralharmonien ergänzt wird.
Die Orgel erinnert schon auch an Caravan, wobei die die klassisch-religiösen Einflüsse nicht so dominant einsetzen.
Das Ganze hat eine ernsthafte Naivität, die den Hörer je nach Geschmack entweder bezaubert oder abschreckt, ist aber auch eindringlich und ungewöhnlich.
Es ist eine lohnende Kuriosität die auch den den damaligen Zeitgeist der Jesus People Bewegung passt.