[REVIEW] Billy Strings • Home (2019)

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Beatnik
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[REVIEW] Billy Strings • Home (2019)

Beitrag von Beatnik »

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In einer Welt voller musikalischer Schurken sucht man nach Helden. In einer musikalischen Landschaft, die durch die wilde Kommerzialisierung der Branche in Graustufen umgewandelt wurde, sucht man nach Farbe. Wo sich Gleichheit wie eine Pandemie ausgebreitet hat, sucht man nach etwas, das einem wieder daran erinnert, woher man gekommen ist und wohin man gehen möchte. In der Bluegrass-Welt führt diese Strasse zu Billy Strings. Seit Jahren wird jedes Mal dieser Name genannt, wenn sich die Diskussion darum dreht, wer die Country-Musik aufrütteln könnte. Wir kennen inzwischen so einige neuere Interpreten, die sich um die Zukunft der Countrymusik bemühen. Musiker etwa wie Chris Stapleton, Jason Isbell, Sturgill Simpson, Tyler Childers, Cody Jinks, Margo Price - und es werden immer mehr. Aber wenn man sich die Welt des Bluegrass anschaut und wissen möchte, was in diesem Bereich so wirklich Innovatives geschieht, dann landet man, ob man will oder nicht, früher oder später bei Billy Strings. Bluegrass ist eine der ältesten Formen der Countrymusik überhaupt, und Billy Strings hält daran fest, während er diesen traditionellen amerikanischen Musikstil zurück in die Zukunft holt, wie kaum Jemand vor ihm in den vergangenen Jahren.

Billy Strings wurde am 3. Oktober 1992 in Lansing, Michigan, als William Apostol geboren. Sein Stiefvater Terry Barber war ein Banjo-Picker in der Michigan Bluegrass-Szene, obwohl er nie professionell spielte. Barber übte einen grossen Einfluss auf seinen Sohn aus und machte ihn in jungen Jahren mit dem traditionellen Bluegrass bekannt. Bill's Stiefvater zeigte ihm die Musik der grossen Traditionalisten des Bluegrass, wie Doc Watson, Del McCoury, David Grisman, Bill Monroe, John Hartford, Ralph Stanley, Earl Scruggs und Larry Sparks. Billy Strings ist jedoch auch ein Fan von Metal und insbesondere dem Stoner Rock, sieht sich daher auch beeinflusst von der Musik eines Jimi Hendrix, von Johnny Winter und Black Sabbath. Er spielte in seiner Jugend auch in diversen Hard- und Alternative-Rock Bands.

Das Magazin Rolling Stone kürte Billy Strings im Jahre 2017 zu einem der Top Ten 'New Country Artists'. Am 12. Februar 2018 veröffentlichte der Rolling Stone einen Artikel mit dem Titel 'Bluegrass Prodigy Billy Strings Plots 2018 Spring Tour' und verhalf dem jungen Innovator des Bluegrass damit noch stärker zu landesweiter Popularität in den USA. Schon zuvor hatte er allerdings Auszeichnungen einheimsen können. Die International Bluegrass Music Association zeichnete ihn 2016 mit dem 'Momentum Award' als Instrumentalisten des Jahres aus. Die Zeitschrift Bluegrass Situation ernannte ihn 2016 zu einem sogenannten 'Szene-Tastemaker'. Lisa Snedeker von Huff Post wiederum proklamierte "Turmoil And Tinfoil" als eines der besten Alben des Jahres 2017. Im September desselben Jahres landete es auf Platz 3 der Billboard Bluegrass Charts. Im März 2018 veröffentlichte der Rolling Stone Strings' erstes Musikvideo "Dealing Despair" von seinem Album "Turmoil And Tinfoil". 2018 spielte er schliesslich fast 200 Konzerte.

Dann erschien im Folgejahr das bislang beste Album von Billy Strings mit dem Titel "Home", und wie es der Albumtitel schon suggerierte, ging der Musiker dabei weit zurück in der Geschichte des Bluegrass, aber auch seiner eigenen musikalischen Wurzeln, die wie bereits erwähnt, sehr vielfältig waren und sind. Aus dieser Perspektive heraus schuf Billy Strings ein extrem spannendes Werk, das sowohl den Bluegrass zelebriert, aber auch alte amerikanische Folk-Themen präsentiert. Spannend hört sich das etwa im Titel "Guitar Peace" an, bei welchem Billy Strings dezente synthetische Sounds einsetzt, um derart arrangiert ein modernes Momentum in einen ansonsten sehr traditionell gehaltenen Folksong einzubauen und ihn somit in die Moderne zu transportieren. In eine ähnliche Kerbe haut auch der sich auf über sieben Minuten ausbreitende Titelsong "Home", der eine ganz eigentümliche Stimmung erzeugt: Einerseits ist das ein in Mol-Akkorden gehaltener klassischer Folksong, der sich aber dank dem Einsatz eines Streicher Ensembles sehr episch ausbreitet und sich dabei während seiner grossen akustischen Reise auch mal an Mike Oldfield ähnliche Gitarrenklänge heranwagt, verbunden mit leicht arabischen Klängen, was diesem Titel eine selten schöne und subtile Spannung angedeihen lässt, die den Hörer wunderbar einlullt.

Auf der anderen Seite der Spiel-Skala stehen natürlich auch traditionelle Bluegrass-Themen, schwungvoll und sehr unterhaltsam präsentiert etwa in den Songs "Watch It Fall" oder "Running". Doch sind es immer wieder die langen Stücke, bei denen Billy Strings aufblüht. Ein weiteres Beispiel hierfür ist der ebenfalls fast acht Minuten lange Titel "Away From The Mire", den man einerseits als Bluegrass-verwandten Countrysong erkennen mag, der sich aber im weiteren Verlauf als eine sehr intensiv erzählte Geschichte im folkloristischen Stil vor einem ausbreitet. In diesem Aufbau mag man durchaus John Prine-ähnliche Muster erkennen, denn dieser erzählerische Stil war auch immer eines der Markenzeichen des Genannten. Der Mittelteil von "Away From The Mire" ist dann durchaus als progressiver Bluegrass zu bezeichnen und widerspiegelt ein bisschen den Live-Charakter von Billy Strings, der ja an Konzerten auch gerne mal die 20 Minuten sprengt, wenn er in die Jams geht. Dieser Song ist denn in meinen Augen auch das Highlight dieses Albums, auf keinen Fall aber ein Uebersong, der sich von den anderen Songs zu sehr abhebt: Nein, das ganze Album ist wundervoll, denn es bietet für jeden Fan dieses Musikstils gleichermassen Entdeckenswertes:

Fans der Jam Band Phish werden beispielsweise auf "Away From The Mire" und dem ebenso langen und explorativen Titelsong stehen, während Bluegrass-Puristen vermutlich mehr auf "Everything's Same", "Highway Hypnosis" und die Harmonien von "Freedom" schauen, um das zu finden, wonach sie suchen. Billy Strings ist ein grosser Innovator und ein riesiges Talent im Country-, Roots- und Bluegrass-Bereich und hat seinen grossen Erfolg vor allem in den USA mehr als verdient. Die Musik von Billy Strings gibt uns die Möglichkeit, wieder zu träumen, und das auf ergreifende und vereinnahmende Art und Weise.



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BRAIN
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Re: [REVIEW] Billy Strings • Home (2019)

Beitrag von BRAIN »

Die CD habe ich vor längerem angetestet.
Bin aber nicht so der Bluegrass Fan, wobei ich den Titelsong Home wieder sehr stark finde.
Ich weiß noch nicht, ob ich hier einsteige, aber das Interesse ist wieder geweckt.
Danke für die Vorstellung!
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Emma Peel
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Re: [REVIEW] Billy Strings • Home (2019)

Beitrag von Emma Peel »

Das Album lebt wohl von seiner Gegensätzlichkeit und seiner Stilvielfalt.

Im Gegensatz zu Brain verleiht mir das Stück "Away From The Mire" geradezu Flügel, das andere Stück "Home" allerdings weniger. So unterschiedlich kann die Einschätzung sein.
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Beatnik
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Re: [REVIEW] Billy Strings • Home (2019)

Beitrag von Beatnik »

Es gibt inzwischen auch schon eine Stil-Definition für diese Art des Bluegrass: Progressive Bluegrass. Von einigen Vertretern dieser speziell auch vom Rock inspirierten Spielart stehen inzwischen mehrere Platten im Regal.

https://simple.m.wikipedia.org/wiki/Pro ... _bluegrass
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