[REVIEW] Jasper Wrath • Jasper Wrath (1971)

Antworten
Benutzeravatar

Topic author
Beatnik
Beiträge: 6772
Registriert: So 9. Apr 2023, 18:11
Wohnort: Zwischen den Meeren
Has thanked: 7798 times
Been thanked: 8383 times
Kontaktdaten:

[REVIEW] Jasper Wrath • Jasper Wrath (1971)

Beitrag von Beatnik »

Eines der vielen Merkmale der Rock Revolution, die ab 1967 einsetzt und der Kreativität keine Grenzen mehr setzt ist der Umstand, dass es zahlreiche Bands und Musiker gibt, die kaum je in den Genuss einer Plattenveröffentlichung kommen. Ebenso viele Interpreten erhalten die Chance, eine Single oder gar ein Album aufzunehmen, das dann aber häufig sang- und klanglos untergeht. Und schliesslich gibt es diese grossen Lichtblicke: Alben, denen irgendwelche Kritiker-Orakel eine grosse Zukunft verheissen, letztlich aber doch nicht reüssieren können, obwohl eigentlich alles perfekt zu sein scheint: Tolle Musiker, hervorragende Songs und ein Top-Produkt. Die Gruppe Jasper Wrath aus New Haven, Connecticut, gehört zu diesen verheissungsvollen Bands. Sie kommen im Jahre 1969 zusammen. Die vier originalen Gründungsmitglieder Jeff Cannata (Schlagzeug), Michael Soldan (Keyboards), Robert Giannotti (Gitarre) und Phil Stone (Bass) schaffen es schon ein Jahr später, einen Plattenvertrag beim Label MGM Records zu ergattern. Zwei Jahre später erscheint dann auf deren Unterlabel Sunflower Records das selbstbetitelte Debütalbum der Gruppe. Auf diesem Album spielt die Band einen noch in den späten 60er Jahren verwurzelten Psychedelik Rock, der sich gar nicht so sehr von der Musik unterscheidet, die in jener Zeit und etwas früher an der amerikanischen Westküste zum Beispiel von Jefferson Airplane gespielt wird.

Bisweilen herrlich laidback und gefühlvoll groovy rocken die Titel, die von den Arrangements her sehr einnehmend gestaltet sind und vor allem von der spielerisch abwechslungsreichen Gitarre, den geschmackvollen Keyboards (zumeist dem Klavier) und dem auffälligen mehrstimmigen Chorgesang bestimmt werden. Streckenweise finden sich auch dezent progressive Klänge in ihrer Musik, die dann bisweilen auch jazzige Gitarrenlinien aufweisen, Quer- und Blockflöteneinlagen (mitunter auch elektrisch verstärkt und verzerrt - zum Beispiel im Stück "Odyssey"), elektronische Rhythmuselemente (in "Drift Through Our Cloud"), von der Klassischen Musik inspirierte Pianoausflüge und umfangreichere, durchaus komplexe Jam-Abschnitte (in den längeren Stücken). Insbesondere die zweite Seite der LP (ab "Did You Know That") macht richtig Spass und bietet einen abwechslungsreichen angejazzt-psychedelischen US-Proto Prog, der wirklich gut unterhält.

Auf dem Cover der LP tauchen die vier Musiker (bis auf Michael Soldan) übrigens aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen unter Pseudonymen, respektive mit nicht ganz korrekt geschriebenen Namen auf. Jeff Cannata heisst dort Christopher Hawke, Robert Giannotti firmiert als Robert Gennette und Phil Stone als Philip Stoltie. Hier ist vielleicht ein schönes Stück spekulative Mystik verborgen, die sich heute wohl nicht mehr aufklären lässt.

Nach dem Erscheinen des Albums, als sich die Band eigentlich für einer US-Tournee vorbereiten soll, verlässt überraschend der Gitarrist Robert Giannotti die Gruppe, die sich, da offenbar kein passender Ersatz gefunden werden kann, in der Folge abrupt auflöst. Cannata und Soldan versuchen daraufhin ihr Glück zwischenzeitlich in Europa, wo sie unter anderem in Spanien (auf Mallorca) und in England eifrig neue Songs komponieren und bisweilen auch in unterschiedlichen Besetzungen hin und wieder live auftreten, jedoch ohne einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Als die Musiker dann 1973 recht frustriert wieder zurück nach Connecticut kommen, haben sie allerdings ein Mellotron im Gepäck und diverse Konzerte britischer Progressive Rock Bands erlebt. Die erneut ins Leben gerufene zweite Inkarnation der Gruppe Jasper Wrath bewegt sich musikalisch daher in weitaus progressiveren Gefilden, als sie das auf ihrem Debütalbum präsentiert hat. Die reaktivierte Band gibt etliche Konzerte, ist an der amerikanischen Ostküste auch einige Zeit lang recht populär, veröffentlicht auch noch eine Single, löst sich aber 1976 erneut und diesmal endgültig auf, ohne dass noch ein weiteres Album entsteht, obwohl alleine der Umstand, dass Jasper Wrath zusammen mit nur einer Handvoll weiterer Progressive Rock Bands weltweit im Besitz eines Mellotrons ist, das einen orchestralen Sound erzeugen kann und den neuen Musikstil der Gruppe ziemlich bereichert, eigentlich ein weiteres Album hätte ermöglichen müssen. Aber 1976 ist der Zug bereits abgefahren für die Musik, die Jasper Wrath spielt.

Der ehemalige Band Promoter John Dubuque erinnert sich später: "Ich hatte Christopher Hawke für eine Outdoor-Show in Milford gebucht. Tatsächlich trat dann eine Band namens, Jasper Zorn auf. Ich glaube, es war ihr erstes Konzert. Obwohl für mich überraschend und unerwartet, spürte ich schon, sobald die Band zu spielen begann, dass sie grosses Potential hat. Ich ermunterte die Band, eine Handvoll Songs in den nächsten sechs bis acht Monaten zu schreiben und ein paar Demos einzuspielen. Innerhalb von ein paar Wochen weckten diese Demos dann das Interesse der Plattenfirma MGM Records, worauf auch umgehend Verträge ausgehandelt wurden und Jasper Wrath ihren ersten Plattenvertrag in der Tasche hatten". Aufgenommen in sechs Wochen in Phil Ramone's A & R Studio in New York, hat die Gruppe danach ihr selbstbetiteltes Debütalbum eingespielt und veröffentlicht.

Leider kommt es aber innerhalb der Band schon kurz nach der Veröffentlichung der finalen Single aufgrund mangelnden kommerziellen Erfolges erneut zu musikalischen Differenzen, was den Musikstil der Gruppe betrifft, und so gehen die Mitglieder von Jasper Wrath letztlich getrennte Wege. James Christian, Phil Stone und Jeff Batter gründen mit der Gruppe Eye eine andere Band, die vor allem in Connecticut sehr populär wird, bevor James Christian zu den Glam-Metallern House Of Lords wechselt. Jeff Cannata und Michael Soldan gründen später die Band Arc Angel, bevor Cannata eine Solokarriere anstrebt. Scott Zito wiederum spielt auf ausgezeichneten Alben etwa von Grace Slick und Michael Bolton mit. Er schreibt auch die meisten Songs auf Grace Slick's 1981er Album "Welcome To The Wrecking Ball", bei welcher auch Bandkumpel Phil Stein den Bass spielt.

Das kleine Independent Label Dellwood Records veröffentlicht später noch zwei Alben mit bislang unveröffentlichtem Studio-Material von Jasper Wrath. Leider ziemlich irreführend ist allerdings, dass diese beiden Alben nicht unter dem eigentlichen Bandnamen Jasper Wrath erscheinen, sondern unter den fiktiven Band-Namen Coming Home und dem Titel "Arden House", während die andere als das unbetitelte Debüt-Album von Zoldar & Clark in Verkehr gebracht wird: Wohlschmeckendes Futter für die analen Triebe der brettharten Sammler.

1996 veröffentlicht der Musiker Jeff Cannata in Eigenregie eine zwei Alben umfassende Anthologie mit Jasper Wrath Material. Das Set enthält die Stücke der ursprünglichen Debüt-LP, der nachfolgenden Single, ausserdem einige Titel aus den beiden Alben, die unter den mysteriösen Namen Arden House und Zoldar & Clark posthum erschienen sind, plus bisher unveröffentlichtes Live-Material. Jasper Wrath feiern für kurze Zeit eine Wiedervereinigung, die jedoch lediglich nur ein einziges Reunion-Concert in New Haven am 13. Juni 2010 lang währt. Die Performance bestreiten die Original-Mitglieder Jeff Cannata, Robert Gianotti, Michael Soldan und Jeff Batter sowie zwei neue Musiker an Gitarre und Bass.

Wenn der Band auch lediglich eine äusserst kurze Karriere beschieden ist, so bleibt Jasper Wrath letztlich eine der angesehensten und einflussreichen Bands ihrer Zeit aus Connecticut.

Bild



Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
Antworten

Zurück zu „Reviews“