[REVIEW] Solaris • Marsbéli Krónikák (1984)
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[REVIEW] Solaris • Marsbéli Krónikák (1984)
Sich als Bandnamen den Titel eines phantastischen Science Fiction Werks des Schriftstellers Stanislaw Lem zu verpassen und sich als musikalische Vorgabe für das erste Album gleich auch bei dessen Geschichte der Mars Chroniken zu bedienen, ist schon mehr als eine tiefe Verbeugung vor einem grossartigen Schriftsteller und einem seiner wichtigsten Werke. Dabei war das musikalische Konzept der Gruppe aus Ungarn durchaus nicht gleich Programm. Natürlich spielen Space-Effekte eine gewisse Rolle, auch bedient sich die Gruppe ordentlich der Lem-Geschichte in punkto musikalischer Szenerie, doch stilistisch ist die Band sehr breit aufgestellt. So proklamieren die Musiker, die sich seit Schulzeiten in Budapest kannten, beispielsweise nicht, wie man bei solch einem konsequent scheinenden Gesamtkonzept erwarten könnte, den Space Rock etwa von Hawkwind (um einen der entsprechenden Vertreter dieses Genres zu nennen), sondern zeigen einen ausserordentlich grossen musikalischen Variantenreichtum, der weder vor Folk-Elementen, noch fast Krautrock typischer Elektronik und psychedelischen Klängen Halt macht.
Zentraler Mittelpunkt jedoch, und das ist das Aussergewöhnliche an der Gruppe Solaris, markiert der gute alte Rock & Roll. Die Musiker wirken auf der gesamten Platte stets bodenständig, auch wenn sie sich bisweilen in exotischen oder abgedrehten Passagen wiederfinden. Vielleicht hatte die Band auch einfach nur eine zugegeben recht originelle Rezeptur gefunden, ihre an sich normalen Rock-Muster durch ein wohldurchdachtes Konzept, das viel Platz für kreative Spielereien zulässt, als vordergründiges Stilmittel einzusetzen, dabei aber den rudimentären Rock als Hauptzutat beizubehalten.
Die Gruppe Solaris wurde 1980 in Budapest gegründet und bestand aus dem Gitarristen István Cziglán, dem Keyboarder Róbert Erdész, dem Flötisten Attila Kollár, dem Bassisten Attila Seres, sowie dem Schlagzeuger Vilmos Tóth. Vier Jahre später erschien dann ihr Debutalbum, dessen komplette A-Seite die "Marsbéli Krónikák"-Suite einnahm, die auf den Mars Chroniken von Stanislaw Lem basiert. Diese Mars Chroniken sind auf jeden Fall der beste und atmosphärischste Teil des Albums, immer wieder mit recht spaceigen Synthesizer-Spielereien auf- und ausgebaut. Daneben bietet die Suite ausladenden Freiraum für alle Instrumentalisten, sich solistisch auszutoben. Wenn man aber denkt, dass einer der wichtigsten Aspekte eines musikalischen Werkes deren Vielseitigkeit ist, so stellt man im Falle der Mars Chroniken von Solaris fest, dass die gesamte musikalische Darbietung weitgehend kompakt wirkt, die teils ellenlang in Szene gesetzten Einzelpassagen vor allem durch Spielfreude, unerwartete Gimmicks oder ganz einfach hervorragende Soli (zum Beispiel der Flöte und der Gitarre) variantenreicher wirkt, als es die imgrunde eher einfach strukturierte Songoberfläche vermuten lässt.
Der Rest der Platte besteht aus eher kürzeren Stücken, in welchen sich die einzelnen Mitglieder der Gruppe an ihren Instrumenten kreativ und ausufernd in Szene setzen. Auch in diesen Titeln (der originalen B-Seite der LP) fliessen die Songs perfekt, was die beim anhören gefühlte Qualität der Musik von Solaris gleichermassen unterstreicht, wie denselben Eindruck, den man von der grossen Suite "Marsbéli Krónikák" schon hat. Ihr Debüt-Album ist eines jener schönen Beispiele für das, was man gemeinhin als guten und konzeptionellen, originell und durchaus eigenständig ausgearbeiteten Progressive Rock bezeichnet. Zusätzlich ist hier das Aussergewöhnliche, dass dies von einer Band umgesetzt wurde, die rein instrumental agierte, keinen Gesang bot, ausser ein paar schrägen Sprachfetzen ganz zu Anfang der grossen Mars Chroniken-Suite (Marsianer im Gespräch ?) und die neben der viel bekannteren Gruppe OMEGA eine der ganz wenigen Progressive Rock Bands aus Ungarn ist, die einem etwas grösseren Publikum bekannt geworden ist.
Würde man die hier gebotene Musik mit anderen Musikern und Bands vergleichen wollen, so könnte man das Ganze als Symphonischen und elektronischen Spacerock bezeichnen, oder Vergleiche ziehen etwa mit Jethro Tull, was die teils sehr dynamischen Flöten-Spielereien betrifft, mit Manfred Mann's Earth Band, wenn der Keyboarder Róbert Erdész mit seinem Minimoog und dem Pitchbend ausgiebig soliert, sowie mit Jean Michel Jarre, wenn man beispielsweise ganz zu Beginn der Platte beim Intro zur "Marsbéli Krónikák"-Suite eintaucht.
Das Buch, welchem die Platte zugrunde liegt, ist nicht minder interessant. In dem von Stanislaw Lem 1961 geschriebenen Werk, das als eines der grossen Meisterwerke der Science Fiction Literatur gilt, wird vom Mysterium des Planeten Solaris erzählt, der fast vollständig von einer Art Ozean umgeben ist, der ständig bizarre und vielfarbige Ausformungen an seiner Oberfläche hervorbringt. Indizien deuten darauf hin, dass der Ozean ein intelligentes Wesen ist, doch auch nach rund hundert Jahren intensiver Forschung ist die Menschheit dessen Verständnis kaum nähergekommen. In dieser Situation trifft der Psychologe Kris Kelvin auf der Solaris-Forschungsstation ein und findet eine psychisch labile Mannschaft vor, zudem hat einer der drei Forscher vor kurzem Suizid begangen. Anscheinend sind zudem weitere, fremde Personen auf der Station anwesend. Nach anfänglicher Verwirrung findet Kelvin heraus, dass der Ozean begonnen hat, aus Erinnerungsspuren der Forscher scheinbar lebende, täuschend echte Menschen zu rekonstruieren und auf der Station erscheinen zu lassen. Dabei wählt er anscheinend Erinnerungen aus, die mit tiefen Schuldgefühlen verknüpft sind. Kelvin sieht sich bald seiner vor vielen Jahren verstorbenen Freundin Harey gegenüber, an deren Suizid er sich mitschuldig fühlt. Diese erkennt bald, dass sie nicht die originale Harey ist und beginnt, gegen Kelvins Willen, mit den beiden anderen Forschern an einer Methode zum Verschwindenlassen der Nachbildungen zu arbeiten, was schliesslich gelingt. Der Roman Solaris wurde auch mehrfach verfilmt, zuletzt mit George Clooney in der 2002er Kinofassung von Steven Soderbergh, die der Autor Stanislaw Lem jedoch als Mumpitz abtat: "Blödsinn! Absoluter Blödsinn. Alles Interessante an meinem Roman bezog sich auf das Verhältnis der Menschen zu diesem Ozean als einer nicht-humanoiden Intelligenz – nicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Liebesgeschichten".
Die ungarischen Solaris veröffentlichten in der Folge mehrere ebenfalls sehr gute Platten: "Solaris 1990" (1990), "Live In Los Angeles" (1996), "Nostradamus - Book Of Prophecies" (1999), sowie "Los Angeles 2026" (2000). Dabei blieben sie ihrem beim Debutwerk "Marsbéli Krónikák" eingeschlagenen inhaltlichen Weg mehr oder weniger treu, indem sie utopische, oder auch mystisch-geheimnisvolle Geschichten konzeptionell stets in den Vordergrund stellten, und diese mit ihrer immer sehr vielschichtigen und teils auch recht eigenen Vorstellung von symphonischem Space Rock musikalisch umsetzten. "Marsbéli Krónikák" ist vielleicht nicht das absolute Meisterwerk, aber sicherlich gehört die Platte zu den zehn besten Progressive-Rock-Alben der 80er Jahre.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
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(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] Solaris • Marsbéli Krónikák (1984)
Ich liebe das Album, es steht sowohl als CD (zum Anhören und Streicheln), als auch als Vinyl (zum Anschauen und Streicheln) hier. Ich frage mich beim Anhöre immer, ob der Arjen Lucassen diese Platte in seinen jungen Jahren zu Gehör bekommen hat, denn ein paar Parts klingen schon wie Ayreon. Nur eben ganz viele Jahre vor Ayreon.
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Re: [REVIEW] Solaris • Marsbéli Krónikák (1984)
Musste erst mal nachschauen aber ja, die Marsbéli Krónikák steht hier auch als CD.
Oft lief sie nicht weil mir die Synthies nicht so gefielen.
Hab sie aber auch höchstens zweimal gehört, sollte ich mich nochmal mit befassen.
Danke für den reminder!
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