[REVIEW] Phish • A Live One (1995)

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Beatnik
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[REVIEW] Phish • A Live One (1995)

Beitrag von Beatnik »

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Diese zwei CDs füllende Attacke war die erste offizielle Live-Veröffentlichung von Vermont's liebster Jam-Band. Sie ist sowohl eine lärmende Jubelfeier als auch irgendwie ein passender Schlusspunkt für Phish's erste zehn Jahre Rockmusik, der Genres übertritt und Köpfe zum Platzen bringt. Auf dem 1994 aufgenommenen "A Live One" wringen Phish alles, was möglich ist, aus jedem einzelnen Song heraus (vier davon sind länger als 10 Minuten, einer länger als 20 Minuten und ein weiterer, "Tweezer", sogar länger als 30 Minuten). Sie peitschen sich selbst ebenso wie das Publikum zu einer stark oktanhaltigen Raserei hoch, die sehr um instrumentale Pyrotechnik und wenig um Subtilität bemüht ist. 1996 hatten Phish diesen grenzenlosen musikalischen Ansatz so weit wie möglich getrieben und fingen an, ihre rasende Energie mit einer relaxteren, luftigeren und funkigeren Herangehensweise zu zügeln. Da hielten dann die Jam-Urväter von Grateful Dead Einzug in ihren Sound und genau diese Coolness führte schliesslich zu diesem grossen Erfolg der Gruppe, die in ihrer Heimat, den USA, noch imemr zu den Grössten in diesem Bereich gehören. Diese einmalige Live-Dokumentation ist ein lebendiger Schnappschuss von der Band auf ihrem frühen Höhepunkt, zu einer Zeit, als kein Studio gehofft hätte, dass es das komplexe Erlebnis Phish einfangen könnte, denn an Konzerten entfaltete ihre Musik erst diese ganze Erlebnispracht, welche Phish leider nie so richtig überzeugend auf ihren Studioalben zu präsentieren vermochten.

In den Vereinigten Staaten füllen Phish locker den New Yorker Madison Square Garden. Und Vollblut-Fans pflegen einen veritablen Online-Service, der in punkto liebevoller und aufopfernder Arbeit durchaus den Band-Unterstützungen der überzeugten Deadheads ähneln. Den hiesigen Ohrmuscheln stellte sich das Rock-Quartett 1993 persönlich vor, und zwei Jahre später folgte die Live Doppel-CD "A Live One". Dem eingeschworenen Fanzirkel in den USA zum Trotz tat sich die Jam-Band mit ihrer melodischen, aber eher einfach gestrickten Rock Fusion-Symphonik doch eher schwer. Der teilweise doch langatmigen und ausufernden Musikkost fehlten vielleicht die entscheidenden zündenden Ideen, wobei der 'Flow' in dieser Musik durchaus einmalig war und ist, vom europäischen Publikum allerdings nicht unbedingt so enthusiastisch aufgenommen wurde, wie von ihren begeisterten amerikanischen Fans.

Phish begannen von Anfang an als eine Rockband, die vor allem auf lange Improvisationen und Jamsessions als Ausgangspunkte für ihre Musik setzten. Ihr Stilmix umfasste ein weites Spektrum von Genres, darunter Rock, Fusion, Bluegrass, Folk, Blues und Progressive Rock. Obwohl die Gruppe kaum im Radio oder auf Musikfernsehsendern zu hören war, entwickelte sich durch Mundpropaganda eine grosse Fangemeinde. Phish wurden 1983 in Burlington von Trey Anastasio, Jeff Holdsworth und Jon Fishman gegründet, die alle die University of Vermont besuchten. Nur wenig später schloss sich ihnen Mike Gordon an und 1984 begannen sie auch ausserhalb der Universität aufzutreten. Kurz nachdem der Keyboarder Page McConnell im Jahre 1985 ebenfalls Mitglied von Phish geworden war, verliess Jeff Holdsworth die Band. Anfang 1988 nahmen sie ihr Debütalbum "Junta" auf, welches sie ausschliesslich als Musikkassette bei ihren Konzerten verkauften. 1989 folgte "Lawn Boy", das 1990 auf dem Independent-Label 'Absolute A-Go-Go', einem Sublabel von Rough Trade Records erschien. Anschliessend tourten Phish durch Amerika, verloren jedoch Ende des Jahres ihren Plattenvertrag, als Rough Trade Insolvenz anmelden musste. Elektra Records nahm die Band unter Vertrag, und 1992 folgte auf ihrem neuen Label das Werk "A Picture Of Nectar". Phish tourten weiterhin durch das Land, während Elektra Records Wiederveröffentlichungen der ersten beiden Phish-Alben neu auflegte und wiederveröffentlichte.

Während ihrer 1992er Tournee hatten Phish bei mindestens einem ihrer Konzerte (in Stowe, Vermont am 25. Juli 1992) Carlos Santana als Gastmusiker in ihren Reihen. Santana jammte bei den Songs "You Enjoy Myself", "Llama", "Santana's Jam #1", "Santana's Jam #2", "David Bowie" und "Catapult" an jenem Abend mit. Dies belegen zwei CD-Veröffentlichungen aus dem Jahre 1992, eine mit dem Titel "A Phishy Story", deren Aufnahmen aus Providence und Stowe stammten, sowie eine weitere Platte mit dem Titel "Jammin' Santana", deren Aufnahmen vom gleichen Tag aus Stowe stammten. Ob es sich bei diesen CDs um Bootlegs handelte, ist nicht restlos geklärt, da Phish während dieses Zeitraumes keinen Plattenvertrag hatte. Es gibt aber auch zahlreiche offizielle Live-Mitschnitte der Band selbst, die sie im Rahmen der "Instant-Live" Reihe unter die Fans brachte, ausserdem etliche von der Band offiziell authorisierte Fan-Aufnahmen.

Anfang 1993 erschien Phish's viertes Studioalbum mit dem Titel "Rift". Im Jahr darauf folgte "Hoist", aus dem die Single "Down With Disease" ausgekoppelt wurde. Ende 1994 wurde "Crimes Of The Mind" veröffentlicht, ein exzellentes Album, das die Band bereits 1991 zusammen mit The Dude Of Life (bei vielen der Phish-Songs auch als Mittexter aufgeführt) aufgenommen hatte und teilweise stark vom üblichen Sound der Gruppe abwich, weil es auf diesem Werk doch zahlreiche durchkomponierte und fast auf den Mainstream zugeschnittene Arrangements zeigte. Weitere Veröffentlichungen in den 90er Jahren waren unter anderem dieses hervorragende Live-Statement "A Live One", das durchaus als eines ihrer besten Werke angesehen werden kann, weil die Band sich hier auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffens befand, und weil sie hier auf zwei Silberlingen so ziemlich alle Facetten ihres Stilmixes präsentierten.

In der Besetzung Trey Anastasio (Gitarre), John Fishman (Trommeln), Mike Gordon (Bass) und Page McConnell (Keyboards), unterstützt beim Song "Gumbo" durch eine Bläsergruppe mit dem Namen The Giant Country Horns präsentierten Phish am 27. Juni 1995 ihre erste offizielle Live-Platte. Jeder Song auf dem Album wurde an einer anderen Location aufgenommen, während ihrer langen US-Tournee zwischen Sommer und Herbst 1994. Viele der hier erstmals präsentierten Titel gab es zuvor nicht als Studioversionen zu hören, einige waren auch ins Live-Repertoire neu aufgenommen worden und mit dem Jam "Montana" gab es einen nie vorher gespielten Zusatz zur langen Jam "Tweezer" zu hören. "A Live One" geriet zu einem wahren Bestseller: Phish erhielten ihren ersten RIAA Award für das Album. Die RIAA (Record Industry Association) verlieh der Band am 10. November 1995 zuerst eine goldene Schallplatte, gefolgt von einer Platinauszeichnung am 0. Oktober 1997. Dies unterstrich sehr deutlich nicht nur die Qualität der Gruppe Phish als Live-Band, sondern war eine Bestätigung, dass Jam Sound in den USA vor allem in den 90er Jahren sehr populär war, und es bis heute auch geblieben ist.

Ein Highlight zu finden, ist relativ schwierig: Das gesamte Konzert begeistert durch hochklassiges Jammen, das immer herrlich zwischen hartem Rock, Grateful Dead-angelehntem Country-Rock und typischen, von Westcoast-Musik inspirierten Jam-Eskarpaden pendelt. Was vor allem begeistert, sind die zahlreichen, insbesondere innerhalb der Jams aufgegriffenen Jazz-Themen, die manchmal gesteigert werden bis zum atonalen gegeneinander spielen, nur um sich im nächsten Moment unverhofft in einem gemeinsam getragenen Grundthema wiederzufinden. Persönlich würde ich das halbstündige "Tweezer" und den vorwärtstreibenden Rocker "Chalk Dust Torture" favorisieren, aber das ist reine Geschmackssache und im Grunde auch müssig, denn das sind bloss zwei persönlich empfundene Höhepunkte auf einer insgesamt phantastischen Live-Dokumentation.

Wie sehr die Gruppe Phish als Live-Act geschätzt und gefeiert wurde, zeigte eindrücklich das später veröffentlichte Mammut-Set "Hampton Comes Alive", auf welchem die Gruppe sämtliche Aufnahmen von zwei Konzerten auf insgesamt 6 CDs präsentierten. Dieses Box-Set erhielt in den USA gar Gold-Status. Anfang 2000 konnten Phish ihren Erfolg mit dem Album "Farmhouse" und der dazugehörigen Single "Heavy Things" fortsetzen, doch schon im Oktober des gleichen Jahres trennten sich die Musiker vorübergehend, um sich anderen Projekten zu widmen. Von 2001 bis 2003 veröffentlichte Elektra Records insgesamt zwanzig Livealben der Band und im Dezember 2002 begannen Phish auch wieder live aufzutreten. Sie tourten noch eineinhalb Jahre, veröffentlichten 2004 noch ein letztes Studioalbum in Form von "Undermind" und gaben schliesslich ihre endgültige Trennung bekannt. Im März 2009 kam die Band allerdings wieder zusammen und spielte im Sommer einige Konzerte in den USA. Im September desselben Jahres erschien schliesslich ihr 14. Studioalbum "Joy", auf das eine ausgedehnte Nordamerikatournee folgte. Auch in den seitdem folgenden Jahren tourten Phish immer wieder durch Nordamerika.

Phish sind eine exzellente Live-Band mit sehr guten Musikern, die grossen Spass an ihrer Musik an den Tag legen und mit einer immensen und kompetent umgesetzten Portion Experimentierfreudigkeit ausgestattet sind. Mit diesen im Grunde eigentlich recht einfachen Rock'n'Roll-Werten haben sie sich im Laufe der Jahre abseits des kommerziellen Musikbusiness eine riesige Fangemeinde erspielt. Sie werden geradezu kultisch verehrt und als legitime Nachfolger von Grateful Dead oder den frühen Pink Floyd gehandelt. Einer der imposantesten Beweise hierfür lieferten Phish mit diesem Live-Doppelalbum "A Live One".

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Emma Peel
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Re: [REVIEW] Phish • A Live One (1995)

Beitrag von Emma Peel »

Mit derartiger Musik läufst du bei mir offene Türen ein. Bands wie die Deads, Blues Traveler, Umphrey's McGee oder Widespread Panic (um mal einige von ihnen zu nennen) haben diesen Musikstil des Jam Rocks kreiert und permanent verfeinert. Wer sich von dieser Woge tragen lässt, befindet sich in einem Zustand der Glückseligkeit.

Und Phish sind ja auch schon seit 1983 unterwegs und haben durch ihre Vielzahl von Liveauftritten nachhaltig ihren Spuren hinterlassen. Ich vermute mal, dass im Laufe der Zeit an die 100 Tonträger von ihnen veröffentlich wurden. Vermutlich blicken da nur noch die wenigsten durch.

Die "A Live One" besticht nicht nur durch die Songauswahl, sondern auch durch die Qualität der Tonaufnahmen. Seiteneinsteiger können mit diesem Zukauf nichts falsch machen.

Danke nochmals für diese aussagekräftige Rezi. Musikmäßig war es ja auch ein Heimspiel für mich. :yes:
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Re: [REVIEW] Phish • A Live One (1995)

Beitrag von Beatnik »

Es stimmt, dass es von Phish unzählige Live Alben gibt, von denen ich das bei ihrem Konzert in der Markthalle in Hamburg am 1. März 1997 aufgenommene "Slip, Stitch And Pass" auch sehr empfehlen kann. Daneben gibt es eine Unmenge an sogenannten "Instant Live" CD-Veröffentlichungen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind einfach klasse. Ich selbst kenne da nur einen Bruchteil der Veröffentlichungen, aber die ich habe, sind allesamt genial. Und dann gibt's ja noch das 6 CD Set "Hampton Comes Alive" von zwei Auftritten in Hampton, Virginia. Hier wurde nichts gefiltert, die beiden Konzerte sind genauso zu hören, wie die Band an den beiden Abenden, am 20. und 21. November 1998, gespielt hat. Das Box Set war dermassen erfolgreich (trotz relativ hohem Preis!), dass es sogar den Gold-Status erreichte in den USA.
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BRAIN
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Re: [REVIEW] Phish • A Live One (1995)

Beitrag von BRAIN »

Von Phish habe ich auch einiges.
Diese CD nicht wobei die Diskografie von Phish sehr unübersichtlich ist durch die vielen Archiv-Veröffentlichungen.
Welch Wunder, die Clips gefallen mir gut.
Vielleicht hole ich mir die Scheibe auch noch! :wave:
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