[REVIEW] Magazine • Real Life (1978)
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[REVIEW] Magazine • Real Life (1978)
Das Debutalbum von Magazine gehört für mich seit je in die Kategorie 'Meisterwerke der alternativen Rockmusik'. Ich halte die Platte für essenziell, und man sollte sie unbedingt einmal gehört haben. Die Geschichte von Magazine ist auch die Geschichte des Ex-Buzzcocks Sängers Howard Devoto, einer ebenso schillernden wie kreativen Figur, der immer das Stigma des Punk anhaftete, was leider irritiert und ihn meiner Meinung nach schlicht in eine falsche musikalische Schublade drängt. Howard Devoto war schon zu Zeiten bei den Buzzcocks, die er 1977 verliess, um sich auf sein eigenes musikalisches Gerüst – Magazine – vorzubereiten, ein Visionär, ein Denker, der mit den Plattitüden des Punk nicht viel am Hut hatte, die Punkbewegung aber als ideale Plattform sah, seine musikalischen Ideen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Dazu nutzte er die entsprechenden Outfits und die allgemein vorherrschenden musikalischen Modeströmungen clever und gezielt aus. Ich würde Howard Devoto noch immer das Etikett progressiv verleihen, wenn auch nicht im klassischen Sinne in Richtung progressiven Rocks. Vielmehr sprengte er enge Grenzen, die aus heutiger Sicht vielleicht als nicht mehr ganz so spektakulär angesehen werden, damals aber als phänomenal und äusserst provokativ – ja: revolutionär galten. Zum Beispiel verwendete er in der damals sehr radikalen Zeit der musikalischen Reduktion Keyboards in allen Facetten, und schon bald nach der Veröffentlichung des Albums "Real Life" war klar, dass Howard Devoto hier im Begriff war, einen neuen Post-Punk Musikstil zu kreieren, der später von vielen anderen Bands, deren Wurzeln auch im Punk zu finden sind, aufgegriffen wurde (am prägnantesten zu hören bei The Stranglers).
Mitte Januar 1978 veröffentlichte die Band die Single "Shot By Both Sides" mit der B-Seite "My Mind Ain’t So Open" – irritierenderweise ohne Keyboards eingespielt. Der Grund lag darin, dass kurz vor den Aufnahmen der Keyboarder Bob Dickinson die Band verliess, und der spätere Ersatz Dave Formula noch nicht gefunden war. Weil dadurch bei dieser ersten Single das entscheidende, stilprägende Element fehlte, entsprach diese Musik haargenau dem vorherrschenden Trend und war recht erfolgreich. Auftritten unter anderem in der Fernsehshow 'Top Of The Pops' folgte eine Chartsplatzierung auf Rang 41 der englischen Hitliste. Nicht berauschend, aber ein veritabler Einstieg, zumal der englische Rolling Stone der Single den Titel 'The best rock'n'roll record of 1978, punk or otherwise' verlieh. Ab Mitte Februar 1978 waren Magazine dann wieder zu fünft, mit dem neuen Keyboarder Dave Formula, und neben einer ausgedehnten England Tournee folgte auch die Einspielung der zweiten Single "Touch And Go" mit einer ziemlich abgedrehten Coverversion des James Bond Themas "Goldfinger" auf der B-Seite. Die Single wurde zum Zeitpunkt der Aufnahmen zum Album "Real Life" veröffentlicht, und erhielt praktisch keine Reputation.
Während den Monaten März und April 1978 wurden die Tracks zum ersten Album eingespielt, unter der Leitung des angesehenen Produzenten John Leckie. Auf Virgin erschienen, schrieb der New Musical Express dann im Juni 1978 wörtlich: 'on Magazine hangst he artistic integrity of Rock’s immediate future'. Dies war auch der Zeitpunkt, da Howard Devoto in Statements, veröffentlicht in Musikmagazinen oder ausgesprochen in Interviews sich klar vom Punk distanzierte und sich dabei auch nicht scheute, über seine direkte musikalische Konkurrenz herzuziehen: Die zeitgleich veröffentlichten Singles "Fulham Fallout" von den Lurkers oder "Do It Dog Style" von Slaughter & The Dogs hielt er für "blam blam blam rubbish". Ausserdem wollte er sich mit der Verballhornung von John Barry’s "Goldfinger" in die unmittelbare Nähe von The Clash bringen, zumindest, was seine musikalische Ausrichtung betraf: Vielschichtige, gerne auch mit Humor unterlegte, spassig-lockere, und dennoch anspruchsvolle und vor allem abwechslungsreiche Musik zu machen.
Auf dem Debutalbum "Real Life" findet sich denn auch eine Vielzahl toller, und manchmal recht aussergewöhnlicher Songs, die vor allem auch durch die bisweilen etwas bizarren Songtexte getragen werden. Die coole Schrägness etwa von "Definitive Gaze" und "My Tulpa" (die beide auch eine besondere Nähe zum Art Rock bewiesen), der bodenständige Rock von "Shot By Both Sides", der Vorwärtsdrang in "Recoil" (welches mich herrlich an Bram Tchaikovsky’s The Motors erinnert), die düster und dennoch hoffnungsvolle Atmosphäre in "Burst" (die mich wiederum an die frühen musikalischen Glanzpunkte von Roxy Music und somit deren Variante des Art Rocks erinnert), oder die Grandezza des episch wirkenden "Parade": Man erliegt der Faszination dieser aussergewöhnlichen Songs noch heute. "Motorcade" zeigt wiederum einige stilistische Parallelen zu Hawkwind zu Zeiten von deren Meisterstreich "Hall Of The Mountain Grill", was sicherlich an der Komposition selber, aber auch am mit Rückwärts-Hall Loops unterlegten Lead Gesang liegt. Und schliesslich möchte ich auch das ultimativ schräge "The Great Beautician In The Sky" nicht unerwähnt lassen: Eine Nummer, die im clownesken Kirmes-Walzer Rhythmus gerade so auf mich einwirkt, als stammte sie aus dem Film-Soundtracks eines Fellini-Streifens.
Magazine’s "Real Life" ist für mich eine jener wenigen, ganz wichtigen Platten, die mein Musikverständnis und meinen Musikgeschmack nachhaltig beeinflusst und geprägt haben. Es ist eine Platte, die grenzübergreifend, ein musikalisches Genre in Frage stellend und extrem innovativ war. Und es war für mich der ultimative Beweis dafür, dass es richtig war, sich mit der Punkbewegung und all ihren Verästelungen auseinanderzusetzen. Denn sonst wäre ich an einem ganz aussergewöhnlichen, für mich ultimativen Musikerlebnis wahrscheinlich vorbeigegangen damals. In Japan erschien 2007 eine remasterte Version der Platte als Mini LP CD, bonussiert mit den beiden Singles "Shot By Both Sides" und "Touch And Go" samt der dazugehörigen Single B-Seiten "My Mind Ain’t So Open", respektive die John Barry Verpunkung "Goldfinger".
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] Magazine • Real Life (1978)
Das Teil ist ganz und gar großartig.
Ich besitze es schon lange und war damals sehr überrascht, wie sich Howard Devoto hier weiterentwickelt hat.
Die Buzzcocks waren nochmal ein anderer Schnack aber ebenfalls eine genial UK-Punkband.
Wobei es schon verwunderlich war, dass ein ein Musiker von einer UK Punkband plötzlich Synthesizers und romantische Stimmungen in ihre Songs einbezogen.
Das war New Wave und hier wurde dann auch der Punkrock erst richtig musikalisch interessant.
Ich besitze es schon lange und war damals sehr überrascht, wie sich Howard Devoto hier weiterentwickelt hat.
Die Buzzcocks waren nochmal ein anderer Schnack aber ebenfalls eine genial UK-Punkband.
Wobei es schon verwunderlich war, dass ein ein Musiker von einer UK Punkband plötzlich Synthesizers und romantische Stimmungen in ihre Songs einbezogen.
Das war New Wave und hier wurde dann auch der Punkrock erst richtig musikalisch interessant.
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Re: [REVIEW] Magazine • Real Life (1978)
Magazine sind für mich ein wahrer Türöffner, denn was sie auf ihren Alben zelebrieren, ist New Wave Musik wie vom anderen Stern. Derart ausgefeilte und innovative Musikstücke im Dutzendpack zu entwickeln, hat kaum eine andere Band in dieser Schaffenszeit hinbekommen.
Wie bereits Brain erwähnte, die Wandlung des Howard Devoto vom Punkrocker zum New Waver ist ihm ohne Identitätsverlust bestens gelungen. Damals waren die Buzzcocks angesagt, nunmehr die Band Magazine. Leider sind die Tonträger relativ teuer geworden, so dass ich immer noch auf der Suche nach der 3. und 4. Platte von ihnen bin.
Zu Howard Devoto fällt mir spontan nur Paul Weller ein, der von der Gruppe Jam kommend in das musikalische Schwimmbecken von Style Council gesprungen ist und ähnlich überzeugend auftrat.
Wie bereits Brain erwähnte, die Wandlung des Howard Devoto vom Punkrocker zum New Waver ist ihm ohne Identitätsverlust bestens gelungen. Damals waren die Buzzcocks angesagt, nunmehr die Band Magazine. Leider sind die Tonträger relativ teuer geworden, so dass ich immer noch auf der Suche nach der 3. und 4. Platte von ihnen bin.
Zu Howard Devoto fällt mir spontan nur Paul Weller ein, der von der Gruppe Jam kommend in das musikalische Schwimmbecken von Style Council gesprungen ist und ähnlich überzeugend auftrat.