[REVIEW] Lake • Paradise Island (1978)

Antworten
Benutzeravatar

Topic author
Beatnik
Beiträge: 6757
Registriert: So 9. Apr 2023, 18:11
Wohnort: Zwischen den Meeren
Has thanked: 7789 times
Been thanked: 8376 times
Kontaktdaten:

[REVIEW] Lake • Paradise Island (1978)

Beitrag von Beatnik »

"Paradise Island" ist vielleicht das typischste Westcoast-Album, das nicht von der amerikanischen Westküste stammt, sondern von einer der besten deutschen Poprock-Bands, die hier schon fast amerikanischer klangen als so manche US-Band (ausser vielleicht noch Wintergarden, Peacock Palace und Bad News Reunion). Kommerzielle Songs, anspruchsvoll präsentiert: das hatte der bereits renommierte Bluesrock-Gitarrist Alex Conti im Sinn, als er im Oktober 1975 in die Hamburger Band Lake einstieg. Eine Stil-Mélange aus den Beach Boys, den Doobie Brothers und Steely Dan beeindruckte Szene und Medien gleichermassen. Hinter einem sounddefinierenden Leadsänger namens James Hopkins-Harrison, konnte dieses Quintett ausgefeilte vierstimmige Harmonies ebenso bieten wie jazzrockige Grooves und Soli von Weltklasse. 1973 trat die deutsch-britische Rockgruppe noch als bläsergestützte Big Band à la Chicago an, geprägt von Mitgliedern der Hamburger Top 40-Truppe The Tornados: mit Leadsänger Ian Cussick, Bassist Martin Tiefensee und Schlagzeuger Dieter Ahrendt. Dazu kamen aus Gary Glitter’s Boston Showband der Organist Geoffrey Peacey und der Trompeter Bernard Whelan. Für den künftigen Westcoast Sound der Band war die Besetzung untypisch, stilbildend wurde bald die von hart bis herzlich phrasierende Stimme des hanseatischen Schotten James Hopkins-Harrison. Als Alex Conti von Deutschlands Rockband Nr. 1, ATLANTIS, zu LAKE kam, hatte die Band endlich ihren Sound gefunden. LAKE fuhr die Knochentour durch die Clubs Deutschlands, und bald funktionierten die Arrangements der von Produzent Detlef Petersen mit Sänger Hopkins Harrison verfassten Songs bombensicher.

Das so kommerzielle wie ausgefuchst gesungene und gespielte Debütalbum "Lake" wurde in England von keinem Geringeren als dem Abbey Road Toningenieur Jerry Boys gefahren: der Soundtüftler hatte die Beatles, Pink Floyd und Yehudi Menuhin betreut. Jerry Boys und die Musiker von Lake legten einen auch heute noch imponierenden Referenzsound hin: Das Album "Lake" schlug 1976 ebenso ein wie die Power Gospel Single "Jesus Came Down": Pole Position für eine Band, die ihren Medienhype musikalisch überholte: bewiesen auf landesweiter Tour mit den Sutherland Brothers und Wishbone Ash. Den Satzgesang der romantischen "Sailing"-Brüder toppten LAKE ebenso mühelos wie den 'Twin Guitar'-Sound von Wishbone Ash. Der Deutsche Schallplattenpreis im April 1977, Auftritte mit Genesis, gigantische Open Airs in Nürnberg und Karlsruhe mit den musikalischen Vorbildern Santana und Chicago folgten. Unter den Anekdoten der Bandgeschichte erzeugt diese eine eiskalte Gänsehaut: Während einer US-Tour im Jahre 1977 wurde deutlich, dass die Band neben Arrangement-Geschick auch ein Händchen für die Fliegerwahl hatte: Die Lake-Musiker entkamen der Lynyrd Skynyrd Flugkatastrophe, weil sie vor einem gemeinsamen Festival noch eine Radio Session in Atlanta, Georgia absolvierten.

Lake steigerten die Superlative 1978 noch. Das zweite Album "Lake II" schlug mit ebenso exquisiten Ideen ein wie das LP-Debüt, entstand aber weniger organisch. Alex Conti erinnert sich: "Wir nahmen nun mit Riesenbudget alles auf separaten Spuren auf, und unser Feeling ging so etwas verloren" - was der Geniesser allerdings nicht hört. Auf Festivals in Rotterdam und erneut Nürnberg trat die Band neben Bob Dylan auf. Bereits Anfang 1979 erschien die dritte LP "Paradise Island" - doch der Studio/Tour-Doppelstress forderte seinen Tribut: Tasten, Bass und Produzent gaben auf. Neues Team, neues Glück: Mit dem renommierten Produzenten James Guercio (der unter anderem für Chicago und die Beach Boys tätig war) entstand 1980 das wiederum perfekt klingende Album "Ouch!". Doch innerhalb der Band entstanden nach und nach Spannungen, welche schliesslich zum Ausstieg von Gitarrist Alex Conti führten, er zu jener Zeit mit verbotenen Substanzen zu kämpfen hatte, was er Band nicht gut tat. Doch bleiben wir beim dritten Album "Paradise Island".

Das zweite Album stellte eine entscheidende Veränderung in seiner Entstehung gegenüber dem Debutalbum dar. Jenes wurde noch in Hamburg und im britischen Cornwall in einem relativ kleinen Tonstudio eingespielt, doch schon für die Aufnahmen zum Nachfolger "Lake II" durfte die Band zwei absolute Topstudios betreten, die heute längst legendär sind: Zum einen nahm die Gruppe Tracks in den Rockfield Studios in Monmouth, Wales auf, andererseits stand ihr auch die berühmte Caribou Ranch in Colorado zur Verfügung: Top Locations, um Top-Sound einzuspielen. Das dritte Album "Paradise Island" bedeutete zumindest in dieser Hinsicht ein Rückschritt, der sich allerdings musikalisch überhaupt nicht auswirkte: Die Aufnahmen zu "Paradise Island" fanden im Rüssl Studio in Hamburg statt, dem Tonstudio von Comedian Otto Waalkes, der auch noch höchstpersönlich zum Opener "Into The Night" die Congas beisteuerte. In der bewährten Besetzung der vergangenen Jahre spielte die Gruppe ganz phantastische Stücke ein, die eher auf eine amerikanische, als auf eine deutsche Band schliessen liessen.

Inzwischen war der Sänger James Hopkins-Harrison zum Hauptsongschreiber der Band geworden. Gemeinsam mit dem Keyboarder Geoffrey Peacey schrieb er einige Songs, den Grossteil der Titel aber komponierte er selber. Das Album präsentierte acht hervorragende Titel, von denen keiner das Topniveau unterschritt. Die gesamte Platte klang wie aus einem Guss, bot mit den erfrischenden Poprock-Titeln "Hopeless Love", dem bereits erwähnten Opener "Into The Night", sowie besonders mit "Crystal Eyes", dem "One Way Song" und dem finalen Highlight "The Final Curtain" Songs der Extraklasse. Was alle Songs besonders auszeichnete war die Tatsache, dass sie weit anspruchsvoller auskomponiert waren, als blosse Poprock-Nummern im üblichen Gewand: LAKE schafften es stets, ihren Songs einen leicht progressiven Rock-Charakter zu verpassen und dabei trotzdem angenehm luftig und angenehm zu bleiben, sodass man nie das Gefühl erhielt, hier wäre eine Band am Start, die vor allem beweisen will, dass sie enorm kreativ sein will. Im Gegenteil: Alle ihre Songs wirken auch heute noch deshalb so zeitlos, weil sie nachvollziehbar sind, für Jeden unterhaltsam: Niemals langweilig, aber auch nie verkopft oder gar anstrengend.

Nach dem dritten Album "Paradise Island" endete nicht nur der Plattenvertrag mit CBS Records, sondern auch die erste Phase der Band, in welcher sie richtig erfolgreich war, und zwar auch international. Nach etlichen weiteren Alben, die leider nie mehr den Erfolg der ersten drei Werke erreichen konnten, trennte sich die Band in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. 1991 schliesslich verstarb der Hauptsongschreiber und Sänger James Hopkins-Harrison an einer Ueberdosis Heroin. Es folgten mehrere sogenannte "Best Of"-Alben, die eindrücklich belegten, dass die Band all die Jahre hindurch immer noch eine treue Fangemeinde besass und im Jahre 2002 war es dann soweit: Lake wurden reformiert. Detlef Petersen und Alex Conti stellten sich ihrer LAKE-Sehnsucht und suchten Musiker für eine Reunion. "Ohne Detlef hätte ich das Ding nicht wieder losgetreten", so Alex Conti im Jahre 2003. Weiterer Protagonist der ersten Stunde wurde mit Ian Cussick wieder ein Schotte, mit beachtlicher Solokarriere während der 80er Jahre. Und mit ihm hatten Lake ja 1973 begonnen. Mickie Stickdorn, erfahrener Schlagzeuger bei der Rainer Baumann Band, Inga Rumpf, Achim Reichel sowie Rosebud und Elephant spielte neben Hamburg Blues Band-Bassist Bexi Becker. Dazu gesellte sich der Keyboarder George Kochbek, der mit Alex Conti etliche Projekte realisiert hatte.

Erste Proben und Demo-Aufnahmen liefen vielversprechend, bis eine stressige Session einen alten Dämon heraufbeschwor und der Band zeigte: Cussick war noch immer so exzellent wie exzentrisch. Schnitt: mit grossem Bedauern. Mehr als ein Ersatz kam in Person des Schotten Nummer Drei: Mike Starrs. Londonern ist er ebenso bekannt wie Hamburgern: er sang sowohl für Colosseum II wie für Lucifer's Friend, ausserdem kennt man ihn in der lebendigen Countryszene des Vereinigten Königreichs als Angel Montgomery. Lake touren seit Mai 2002 stetig. Diese Band rekonstruierte mit Liebe zum Detail ihre Klassiker wie "Jesus Came Down" oder "Red Lake" auf einer 'Never ending Clubtour'. Im Februar 2004 verliess der mit Film/TV-Musik gut ausgebuchte George Kochbek die neue Lake Formation. Er wurde durch den bewährten Atlantis-Gefährten Adrian Askew erstrangig ersetzt. Bald wurde der Schrei nach einem neuen Album lauter. Die gut geölte Formation reagierte 2005 mit dem Werk "Blast Of Silence", laut Mickie Stickdorn in nur zwölf wunderbaren Arbeitstagen komplett eingespielt. Lake sind bis heute aktiv.

Bild

Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
Benutzeravatar

Louder Than Hell
Beiträge: 8026
Registriert: So 16. Apr 2023, 18:01
Wohnort: Norddeutschland
Has thanked: 9552 times
Been thanked: 9021 times

Re: [REVIEW] Lake • Paradise Island (1978)

Beitrag von Louder Than Hell »

Wir schreiben das Jahr 1978 und in der Hansestadt Hamburg konkurrierten zwei Bands um die Gunst ihrer Hörerschaft. Gemeint sind die Gruppen Lake und Highway, die sich beide die Westcoast Musik auf ihre Agenda geschrieben hatten. Zwar war diese Musikart damals an ihrer Ursprungsstätten bereits verblüht, aber in Hamburg keimte dieses Pflänzchen wieder auf.

Ich hatte damals das Glück, beide Bands mehrfach getrennt voneinander im Hamburger Logo live erleben zu dürfen und war jemals von ihr Liveperformance geflasht und das im wahrsten Sinne des Wortes. Was dort einem Live entgegen schwoll, war schon großartig. Gerade die Harmoniegesänge und die jeweils eingestreuten Soli zauberten ein Gefühl der Glückseligkeit herbei. Wären beide Bands damals an der Westküste aufgetreten, so wäre dieses vermutlich keinem im Publikum aufgefallen.

Auch wenn es hier um die Band "Lake" geht, war es mir eine Herzensangelegenheit, auch noch einmal an die großartigen "Highway" zu erinnern. Und jetzt kommt es, von beiden Truppen besitze ich kein Studioalbum, sondern lediglich von Lake folgende Einspielung mit 23 Tracks:

Bild

Natürlich muss in diesem Zusammenhang noch einmal auf den begnadeten Gitarristen Alex Conti hingewiesen werden, der damals noch Haare auf dem Kopf hatte, und natürlich auch auf den stimmgewaltigen Sänger James Hopkins-Harrison. Im Grunde müsste ich auch die anderen Musiker nennen.
Benutzeravatar

Alexboy
Beiträge: 1862
Registriert: Sa 15. Apr 2023, 12:44
Has thanked: 1971 times
Been thanked: 2327 times

Re: [REVIEW] Lake • Paradise Island (1978)

Beitrag von Alexboy »

Lake 1 und 2 stehen auch seit etlichen Jahren hier im Regal. Bei meinem Streamer gibt es nur No times for heroes -1984- und dieses nette Angebot:

Alex Conti – Retrospective 1974-2010 -2011- :yes:

Bild
Benutzeravatar

Topic author
Beatnik
Beiträge: 6757
Registriert: So 9. Apr 2023, 18:11
Wohnort: Zwischen den Meeren
Has thanked: 7789 times
Been thanked: 8376 times
Kontaktdaten:

Re: [REVIEW] Lake • Paradise Island (1978)

Beitrag von Beatnik »

Als Klangtipps würde ich übrigens die BGO (Beat Goes On) Remasters empfehlen. Sehr gut remastered.



Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
Antworten

Zurück zu „Reviews“