[REVIEW] Minor Giant • On The Road (2014)

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Beatnik
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[REVIEW] Minor Giant • On The Road (2014)

Beitrag von Beatnik »

Seien wir ehrlich: Manchmal wünschen wir uns unsere Kindheit zurück - diese fröhliche Unbekümmertheit, wenn die Welt noch in Ordnung ist und man sich an den einfachsten Dingen im Leben erfreuen kann. An Vanille-Eis im Sommer zum Beispiel. Ja, das ist es: "On The Road" ist mein Vanilla Album. Der holländische Musiker Rindert Lammers ist eine Frohnatur, lacht einem vom Bild im Booklet seiner CD einfach herzhaft und wohl auch ein wenig stolz auf das Vollbrachte an und schon ist der Bann gebrochen. Hi, Rindert, schön, dass Du den Weg in meinen CD Player gefunden hast. Das hast Du ja sauber hingekriegt mit Deinem Debut Album. Respekt!

Die Platte folgt einem klaren Konzept, welches verschiedene Möglichkeiten aufzeichnet, in was für Richtungen das Leben gehen kann, ein Leben, das man mal beeinflussen kann und dann auch wieder nicht. Wie eine Aneinanderreihung verschiedenster Erfahrungen, von Träumen, Wünschen und klaren Vorstellungen. Und so klingt denn auch dieses herrliche Konzeptalbum, das stilistisch stark beim modernen Neo Progressive Rock beheimatet ist, und hierbei vor allem bei den hochmelodischen Vertretern dieses Genres wie zum Beispiel Neal Morse, Transatlantic oder auch Arena und Clive Nolan.

Das sehr geschmackvolle surreale Plattencover lädt ein zur Reise in die Gedankenwelt des Rindert Lammers. In seinen Gedanken lebt Lammers auf der Strasse, respektive reist auf ihr, und sie ändert sich stetig. Mal führt sie ruhig geradeaus, dann wieder schlängelt sie sich mühsam durch unwegsames Gelände, halt genauso wie im richtigen Leben, wenn eine Seele auf Reisen geht. Lammers hat schon im Alter von nur 16 Jahren mit dem Komponieren der Songs auf diesem Album begonnen, hat einige Zeit damit verbracht, im stillen Kämmerchen an den Geschichten und den Kompositionen zu feilen, und im Oktober 2014 hat er die Platte herausgebracht.

Geholfen haben ihm dabei einige wirklich erstklassige Musiker, die sich keineswegs hinter grossen Namen zu verstecken brauchen. Jordiy Repkes ist ein toller Gitarrist, der sehr griffige und einprägsame Hooklines zaubern kann. Harry den Hartog und Roy Post bilden die Rhythm Section, und die beiden Keyboarder Jos Heijmans und Meister Lammers lassen das gesamte Werk natürlich letztlich ein wenig keyboardlastig erscheinen, doch das nimmt keinesfalls Überhand. Es sind vor allem auch die Arrangements der einzelnen Parts, welche dieses Werk so ungemein einnehmend erklingen lassen. Manchmal erklingt ein fluffiger, jazziger Bass, oder eine Sequenz wird getragen von flächigen Streichern - es spielt sich alles immer im äusserst einprägsamen Rahmen ab, und verschafft dem Hörer eigentlich den Eindruck, einem gigantisch langen Ohrwurm zu lauschen. Zwar weist das Booklet 6 einzelne Songs aus, jedoch fühlen die sich eher wie 6 einzelne Parts an, die ein Ganzes bilden, das stimmig und unterhaltsam ist vom Anfangston bis zum Ende der Geschichte "on the road".

Wer sich intensiv mit der Musik befasst, der merkt bald, dass einzelne Passagen in leicht abgewandelter Form immer wiederkehren, mal als offensichtliches, längeres Thema, dann aber auch oft nur als kurze Sequenz, passend integriert in die jeweiligen Story-Kapitel. Einprägsam, wie diese sind, pfeift man sie unweigerlich nach einigen Hördurchgängen mit. So schön kann progressive Rockmusik sein. Obwohl mir das gesamte Album extrem gut gefällt, ist die sich über eine Lauflänge von über 15 Minuten ausbreitende Schluss-Szene "The Last Road" mein ganz persönlicher Favorit. Das ist einfach wunderbare Musik, die mitten ins Herz trifft und etliche Stimmungen abbildet, die ein Menschenleben so ausmachen können. Trotzdem sich in den Texten allerlei melancholische Momente ausmachen lassen, gelange ich allerdings am Ende des Hörens zum Schluss, dass Rindert Lammers mit hundertprozentiger Sicherheit Vanille-Eis mag. Ganz bestimmt.

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Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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