[REVIEW] Dzyan • Electric Silence (1974)
-
Topic author - Beiträge: 6757
- Registriert: So 9. Apr 2023, 18:11
- Wohnort: Zwischen den Meeren
- Has thanked: 7789 times
- Been thanked: 8375 times
- Kontaktdaten:
[REVIEW] Dzyan • Electric Silence (1974)
Die Gruppe Dzyan, Ende 1971 von dem Multi-Instrumentalisten und Komponisten Reinhard Karwatky in Gross-Gerau, nahe Frankfurt gegründet, spielte einen von der Ethnomusik beeinflussten progressiven Jazz Rock. Der Gründungsformation gehörten Jochen Leuschner (Gesang und Perkussion), Reinhard Karwatky (Bass), Gerd 'Bock' Ehrmann (Saxophon), Harry Krämer (Gitarres) und Ludwig Braum (Schlagzeug) an. Die Musiker kannten sich bereits aus verschiedenen Bandprojekten, Jam Sessions, Jazz-Workshops und Studioaufnahmen. Reinhard Karwatky studierte in dieser Zeit klassische Musik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim, Dr. Hoch’s Konservatorium - Musikakademie Frankfurt und an der Akademie für Tonkunst Darmstadt (Kontrabass, Trompete, Klavier, Kontrapunkt, Komposition). Ausserdem spielte er Gitarre, Violoncello, Sarangi, Sitar, Rebec und Synthesizer. Neben seiner Vorliebe für klassische Musik interessierte er sich auch für zeitgenössische und elektronische Musik. Während dieser Zeit fokussierte er zunehmend seine Privatstudien in Ethnomusikologie, Weltreligion und Methaphysik. Intensive Studien brachten ihn zur östlichen Philosophie, alten Weisheitsreligionen und zur Esoterik - der Geheimlehre - 'Das Buch des Dzyan': Madame Blavatsky’s berühmtes Werk beruhend auf Zitaten aus dem Buch 'Dzyan', die ihr angeblich in Briefen und Träumen von tibetanischen Mystikern offenbart wurden, das heilige Buch Zentralasiens, in dem die göttlichen Mysterien des Universums und die Reise der Pilger-Seele durch die 'Zeitalter der Menschheit' beschrieben sind. Dzyan ist die Lautumschrift des Sanskritwortes 'dhyana', das geistige Stabilität, Weisheit und göttliches Wissen bedeutet.
Jochen Leuschner war ebenso in die Geheimlehre von Blavatsky’s Grand-Livre der esoterischen und okkulten Welt eingetaucht und tief von deren grundlegendem Werk 'Das Buch des Dzyan' beeindruckt. Im November 1971 konnte Karwatky für Dzyan mit dem Plattenlabel Aronda einen exklusiven Schallplattenvertrag abschliessen. Die Aufnahmen und Abmischung für das gleichnamige Debütalbum fanden im Februar und März 1972 statt. Schon im April wurde das Album mit einem eindrucksvollen, zur Musik stimmigen Cover veröffentlicht. Dieses Debütalbum ist auch aus heutiger Sicht ziemlich einzigartig. Auf Jazz Grooves basierende Ausflüge in Space Rock Improvisationen, veredelt mit fremd klingenden elektronisch-akustischen Klängen, geschickt vermischten Elementen verschiedener Stile von zappaesken Jazzeinflüssen aus der Zeit von dessen "Hot Rats" bis zu den frühen King Crimson-Alben prägten das Album ebenso wie Fusion-Rock à la Nucleus, Soft Machine, Magma und sogar Van der Graaf Generator ähnlichem Progressive Rock. Diese sehr vielseitige Underground-Musik reicherten Dzyan noch zusätzlich an mit ethnischen und kosmischen Elementen, eingebettet in fremdartig klingende Songs. Die Kompositionen zeigten eindrucksvoll die technischen Fähigkeiten der Musiker, ausserdem einen grossartigen, einen weiten Tonumfang umfassenden Gesang, der auch mehrstimmig arrangiert war.
"The Bud Awakes" klang dabei betont gesangslastig und war ein schönes Beispiel für das exzellente Harmonieverständnis der Band. Der Ethno Psychedelik-Popsong "The Wisdom" erklang in einem fast gotisch anmutenden und feierlichen Ambiente, mit gregorianischen Melodiestrukturen und modalen orthodoxen Texturen, unterlegt von einer erfindungsreichen, unregelmässigen Jazz Rock-Phrasierung und endete mit einem hypnotischen, mantragleichen Thema. Das anschliessende, recht jazzige "Fohat’s Work" wies Zeuhl-Elemente der frühen Magma auf, besonders beim Gesang. "Hymn" präsentierte eine fast schon avantgardistisch klingende Melodie, interpretiert mit Solo Bass-Violine, bizarren und bisweilen schräg klingenden elektronischen Sounds, und endete in einem echten Wohlfühl-Klang. Der "Dragonsong" führte die Band in einen progressiven Jazz Rock, treibend und hypnotisch, unterlegt mit funkigen Untertönen. "Things We’re Looking For" dagegen war eine ruhige, sehr gefühlvolle Ballade mit einer vertrakten Harmonik, unorthodoxen Melodielinien und sehr emotionalem Gesang, der hier exzellent unterstützt wurde durch E-Piano und einem gestrichenen Kontrabass. Das Album endete mit dem rockenden "Back To Earth", geprägt von einem sehr dominanten Bass Riff und einer überzeugenden Gitarrenarbeit: Das beeindruckende Ende einer höchst abwechslungsreichen und sehr aussergewöhnlichen musikalischen Reise. Als das Debütalbum im April 1972 erschien, hatten der Gitarrist Harry Krämer und der Schlagzeuger Ludwig Braum die Band bereits verlassen.
Krämer studierte klassische Gitarre am Konservatorium der Musikakademie Frankfurt. Er betätigte sich danach als Gitarrenlehrer. Braum schloss sein Studium der klassischen Musik mit dem Staatsexamen als Orchestermusiker und dem Masterdiplom für Schlagzeug und Perkussion an der Akademie für Tonkunst Darmstadt ab. Gleichzeitig wurde er festes Mitglied im Staatsorchester der Rheinischen Philharmonie Koblenz. Karwatky rekrutierte als neuen Gitarristen Eddy Marron, der zuvor beim Jochen Brauer Sextett und der Gruppe Vita Nova mitgewirkt hatte und ein klassisch ausgebildeter Gitarrist mit Studium der Konzertgitarre an der Staatlichen Hochschule für Musik Heidelberg-Mannheim war und den in Darmstadt geborenen und lebenden Schlagzeuger Lothar Scharf, der in Volker Kriegel's Trio und als Solo-Pauker bei den Berliner Symphonikern gespielt hatte. Er studierte klassische Perkussion an der Akademie für Tonkunst Darmstadt und an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Berlin. Er kam in die Band Dzyan als Ersatz für Krämer und Braum. Damit war die Gruppe wieder komplett. In der neuen Formation absolvierten Dzyan in den anschliessenden Monaten eine Reihe von Konzerten. Es waren die ersten Live-Auftritte von Dzyan überhaupt.
Der Südwestfunk lud die Gruppe im Oktober 1972 zu Aufnahmen in das sendereigene Studio U1 in Baden-Baden ein. Im November 1972 verliessen jedoch der Sänger Jochen Leuschner und der Saxophonist Gerd 'Bock' Ehrmann die Band. Gitarrist Marron übernahm nun auch den Gesang und Dzyan spielten als Trio weiter. Auch in dieser Besetzung wurden mehrere Live-Auftritte gespielt. Jochen Leuschner gründete nach seinem Ausstieg, nur wenige Monate später, mit einigen Darmstädter Musikern die Rockformation Hardcake Special. Die Gruppe veröffentlichte 1974 ein gleichnamiges Album auf dem Brain-Label von Metronome Records, produziert von Frank Dostal. Im gleichen Jahr begann Leuschner seine Tätigkeit beim Plattenlabel CBS in Frankfurt. Nach verschiedenen Positionen innerhalb des Unternehmens wurde Leuschner 1984 mit 35 Jahren der damals jüngste Geschäftsführer des weltweiten Musikunternehmens. Er führte die deutsche Filiale erfolgreich insgesamt 17 Jahre lang. Ende 2001 verliess er das Unternehmen auf eigenen Wunsch. Gerd Ehrmann spielte nach seinem Weggang von Dzyan in erster Linie akustischen Jazz, mit Jürgen Wuchner, Wolfgang Wüsteney, Michel Eicken und einigen weiteren Musikern. Ab Mitte der 70er Jahre war er als Sozialarbeiter in Frankfurt tätig. Der Schlagzeuger Lothar Scharf verliess die Band im März 1973 und stieg bei der Formation Virgo ein. Er wurde ersetzt von Peter Giger, der vom legendären Albert Mangelsdorff Quintett kam. Ab Mai 1973 spielte das neue Dzyan Trio in der Besetzung Marron, Karwatky und Giger. Im Frühsommer 1973 machte Karwatky die Bekanntschaft von Peter Hauke, dem berühmt berüchtigten Produzenten und Gründer des Labels Bacillus Records. Nachdem sich beide über einen Schallplattenvertrag geeinigt hatten, unterzeichneten Dzyan im Juni 1973 einen exklusiven Vertrag mit Bellaphon für das legendäre Bacillus-Label. Ende August nahm die Band ihr zweites Album "Time Machine" im legendären Dierks-Studio in Köln/Stommeln auf, produziert von Peter Hauke, aufgenommen und gemischt von Dieter Dierks. Veröffentlicht wurde das Album im November auf Bacillus Records. "Time Machine" mit seinem psychedelischen Cover, das Helmut Wenske für das Album designete, war im Vergleich zum Debütalbum ein völlig neu und anders klingendes Werk.
Der Sound der Gruppe bewegte sich zwar immer noch im Jazzrock, öffnete sich aber mehr in Richtung experimentellem Fusion und Free Rock. Als Trio entwickelte sich Dzyan vom Progressive Rock mit Gesang des ersten Albums jetzt in ethnische und jazzige Bereiche mit mehr Raum für abgedrehte exotische Improvisationen, zu einer ungewöhnlichen Form des Acid Rock mit heftigen Ausflügen in Richtung von John McLaughlin's Mahavishnu Orchestra. "Time Machine" war sehr virtuos und zeigte die Musiker mit eigener Ästhetik auf höchstem Niveau. Das Album galt später als eines der Meisterwerke des deutschen progressiven Rocks. Im Niemandsland zwischen Jazz und Rock und als Vorläufer des Post-Rocks der 90er Jahre war "Time Machine" seiner Zeit weit voraus. Nach den Aufnahmen zur LP absolvierte die Band eine Reihe von Auftritten in Deutschland und den angrenzenden Nachbarländern. In den USA wurde das Album "Time Machine" im April 1974 auf dem Cosmic Label veröffentlicht. Anschliessend verliess Schlagzeuger Giger für mehrere Monate die Band, um als Sessionmusiker für das Jazzlabel ECM zu arbeiten und eine Tour mit dem Bassisten Eberhard Weber zu absolvieren. Während seiner Abwesenheit wurde er kurzzeitig von Marc Hellmann (ehemals Dave Pike Set) vertreten. Zwischenzeitlich hatten Gitarrist Marron und Bassist Karwatky ihre musikalische Bandbreite und Ausdrucksformen mit der Verwendung verschiedenster Akustikinstrumente und ihrem Interesse für ethnische und experimentelle Musik weiterentwickelt. Im Hinblick auf die Veröffentlichung eines dritten Albums hatten Produzent Hauke und Mastermind Karwatky den legendären Surrealisten der 70er Jahre Helmut Wenske ('Paintings from Innerspace') auserwählt, auch für das kommende dritte Album "Electric Silence" das Cover zu entwerfen, was sich als Glücksgriff erwies.
Die Aufnahmen fanden im Oktober 1974 erneut im Dierks Studio statt. Auch "Electric Silence" wurde auf Bacillus Records veröffentlicht. "Electric Silence" wurde insbesondere bekannt und berühmt für seine von ethnischen Elementen geprägte aussergewöhnliche Musik und sein extrem psychedelisches und surrealistisches Cover. Dzyan perfektionierten ihre Musik noch mehr in Richtung Improvisation, elektronische Soundexperimente, polyrhythmisch treibende Grooves und raffinierte exotische Klänge und katapultierten die Band in einen faszinierenden mystischen Sound-Kosmos. "Electric Silence" hob ab in überirdische Klangwelten von unglaublicher Schönheit und Eigenart, eintauchend in die ursprüngliche Musik Asiens, zu den mythischen Quellen in Sphären des archaischen Ursprungs, wurde zu einem einzigartigen rituellen Trip in sagenumwobene immaterielle Welten. Die Multi-Instrumentalisten Marron und Karwatky experimentierten auf Sitar, Saz, Tambura, Mellotron, Synthesizern, Bass-Violine und einem geheimnisumwitterten Instrument namens Super-String, vermischt in einem extremen Schmelztiegel von Stilen, Ideen und fruchtbaren Phantasien, während Giger, hoch konzentriert und inspiriert, mit seinem virtuosen Schlagzeugspiel für den Zusammenhalt sorgte. Von dem geheimnisvollen "Kahli" über das mehr funkig angehauchte "For Earthly Thinking" bis zum heftigen "The Road Not Taken", lieferten Dzyan eines der besten und einzigartigsten Alben des Krautrocks ab.
"Electric Silence" stand letztlich für sich selbst: Abenteuerliche Rhythmen und einzigartiger Jazz-Prog im Grenzbereich des experimentellen Rocks, ein weiteres Meisterwerk. Das Album wurde in den USA auf dem zwischenzeitlich eingestellten Label Passport Records veröffentlicht. Ende 1974 entschloss sich Reinhard Karwatky jedoch als letztes verbliebenes Original-Bandmitglied, als der Gründer und Namens-Inhaber von Dzyan, die Gruppe zu verlassen, womit deren offizielles Ende dokumentiert wurde. Mit dem Bassisten Günter Lenz spielten Marron und Giger als Trio Giger-Lenz-Marron weiter. Das Fusion-Trio veröffentlichte zwei Alben auf Gigers Nagara-Label ("Beyond" 1977 und "Where The Hammer Hangs" 1978). Ihre Musik klang wie eine jazzigere Version von Dzyan, allerdings ohne deren Experimentierfreude und elektronischen Sounds. Reinhard Karwatky komponierte die erste deutsche Jazz Rock Symphonie "Resurrection", welche im Jahre 1975 im Staatstheater Darmstadt uraufgeführt wurde. Ausserdem "Ode To Africa", die sogenannte '1st World Music Symphony', uraufgeführt 1976 ebenfalls im Staatstheater Darmstadt mit Peter Giger und Christoph Haberer. Weitere Werke seines Schaffens waren "Liturgical Colours" für symphonische Streicher und Kontrabass solo, die "Homage To Mahatma Gandhi" für Symphonie Orchester und Chor, sowie zahlreiche weitere Symphonik-Projekte. Reinhard Karwatky arbeitete auch als Musikproduzent, Toningenieur, Komponist und Arrangeur.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
-
- Beiträge: 623
- Registriert: So 9. Apr 2023, 19:17
- Has thanked: 2126 times
- Been thanked: 973 times
-
- Beiträge: 2776
- Registriert: Mo 3. Apr 2023, 00:53
- Has thanked: 3555 times
- Been thanked: 2899 times
Re: [REVIEW] Dzyan • Electric Silence (1974)
wieder viel dazu gelernt.
Habe die schon ewig als CD weil sie schon recht früh in den 90ern als CD rauskam.
War für mich immer eine DER Krautscheiben überhaupt, passt in keine Schublade außer Krautrock.
Habe die schon ewig als CD weil sie schon recht früh in den 90ern als CD rauskam.
War für mich immer eine DER Krautscheiben überhaupt, passt in keine Schublade außer Krautrock.
-
- Beiträge: 1500
- Registriert: Mi 21. Feb 2024, 15:24
- Wohnort: Hinter den 7 Bergen
- Has thanked: 1661 times
- Been thanked: 1370 times
- Kontaktdaten:
Re: [REVIEW] Dzyan • Electric Silence (1974)
die SWR-Aufnahmen gibt es sowohl auf CD als LP, in vorzüglicher Qualität: DZYAN - Mandala SWF-SessionBeatnik hat geschrieben: ↑Di 5. Mär 2024, 12:40
Die Gruppe Dzyan, Ende 1971 von dem Multi-Instrumentalisten und Komponisten Reinhard Karwatky in Gross-Gerau, nahe Frankfurt gegründet, spielte einen von der Ethnomusik beeinflussten progressiven Jazz Rock. Der Gründungsformation gehörten Jochen Leuschner (Gesang und Perkussion), Reinhard Karwatky (Bass), Gerd 'Bock' Ehrmann (Saxophon), Harry Krämer (Gitarres) und Ludwig Braum (Schlagzeug) an. Die Musiker kannten sich bereits aus verschiedenen Bandprojekten, Jam Sessions, Jazz-Workshops und Studioaufnahmen. Reinhard Karwatky studierte in dieser Zeit klassische Musik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim, Dr. Hoch’s Konservatorium - Musikakademie Frankfurt und an der Akademie für Tonkunst Darmstadt (Kontrabass, Trompete, Klavier, Kontrapunkt, Komposition). Ausserdem spielte er Gitarre, Violoncello, Sarangi, Sitar, Rebec und Synthesizer. Neben seiner Vorliebe für klassische Musik interessierte er sich auch für zeitgenössische und elektronische Musik. Während dieser Zeit fokussierte er zunehmend seine Privatstudien in Ethnomusikologie, Weltreligion und Methaphysik. Intensive Studien brachten ihn zur östlichen Philosophie, alten Weisheitsreligionen und zur Esoterik - der Geheimlehre - 'Das Buch des Dzyan': Madame Blavatsky’s berühmtes Werk beruhend auf Zitaten aus dem Buch 'Dzyan', die ihr angeblich in Briefen und Träumen von tibetanischen Mystikern offenbart wurden, das heilige Buch Zentralasiens, in dem die göttlichen Mysterien des Universums und die Reise der Pilger-Seele durch die 'Zeitalter der Menschheit' beschrieben sind. Dzyan ist die Lautumschrift des Sanskritwortes 'dhyana', das geistige Stabilität, Weisheit und göttliches Wissen bedeutet.
Jochen Leuschner war ebenso in die Geheimlehre von Blavatsky’s Grand-Livre der esoterischen und okkulten Welt eingetaucht und tief von deren grundlegendem Werk 'Das Buch des Dzyan' beeindruckt. Im November 1971 konnte Karwatky für Dzyan mit dem Plattenlabel Aronda einen exklusiven Schallplattenvertrag abschliessen. Die Aufnahmen und Abmischung für das gleichnamige Debütalbum fanden im Februar und März 1972 statt. Schon im April wurde das Album mit einem eindrucksvollen, zur Musik stimmigen Cover veröffentlicht. Dieses Debütalbum ist auch aus heutiger Sicht ziemlich einzigartig. Auf Jazz Grooves basierende Ausflüge in Space Rock Improvisationen, veredelt mit fremd klingenden elektronisch-akustischen Klängen, geschickt vermischten Elementen verschiedener Stile von zappaesken Jazzeinflüssen aus der Zeit von dessen "Hot Rats" bis zu den frühen King Crimson-Alben prägten das Album ebenso wie Fusion-Rock à la Nucleus, Soft Machine, Magma und sogar Van der Graaf Generator ähnlichem Progressive Rock. Diese sehr vielseitige Underground-Musik reicherten Dzyan noch zusätzlich an mit ethnischen und kosmischen Elementen, eingebettet in fremdartig klingende Songs. Die Kompositionen zeigten eindrucksvoll die technischen Fähigkeiten der Musiker, ausserdem einen grossartigen, einen weiten Tonumfang umfassenden Gesang, der auch mehrstimmig arrangiert war.
"The Bud Awakes" klang dabei betont gesangslastig und war ein schönes Beispiel für das exzellente Harmonieverständnis der Band. Der Ethno Psychedelik-Popsong "The Wisdom" erklang in einem fast gotisch anmutenden und feierlichen Ambiente, mit gregorianischen Melodiestrukturen und modalen orthodoxen Texturen, unterlegt von einer erfindungsreichen, unregelmässigen Jazz Rock-Phrasierung und endete mit einem hypnotischen, mantragleichen Thema. Das anschliessende, recht jazzige "Fohat’s Work" wies Zeuhl-Elemente der frühen Magma auf, besonders beim Gesang. "Hymn" präsentierte eine fast schon avantgardistisch klingende Melodie, interpretiert mit Solo Bass-Violine, bizarren und bisweilen schräg klingenden elektronischen Sounds, und endete in einem echten Wohlfühl-Klang. Der "Dragonsong" führte die Band in einen progressiven Jazz Rock, treibend und hypnotisch, unterlegt mit funkigen Untertönen. "Things We’re Looking For" dagegen war eine ruhige, sehr gefühlvolle Ballade mit einer vertrakten Harmonik, unorthodoxen Melodielinien und sehr emotionalem Gesang, der hier exzellent unterstützt wurde durch E-Piano und einem gestrichenen Kontrabass. Das Album endete mit dem rockenden "Back To Earth", geprägt von einem sehr dominanten Bass Riff und einer überzeugenden Gitarrenarbeit: Das beeindruckende Ende einer höchst abwechslungsreichen und sehr aussergewöhnlichen musikalischen Reise. Als das Debütalbum im April 1972 erschien, hatten der Gitarrist Harry Krämer und der Schlagzeuger Ludwig Braum die Band bereits verlassen.
Krämer studierte klassische Gitarre am Konservatorium der Musikakademie Frankfurt. Er betätigte sich danach als Gitarrenlehrer. Braum schloss sein Studium der klassischen Musik mit dem Staatsexamen als Orchestermusiker und dem Masterdiplom für Schlagzeug und Perkussion an der Akademie für Tonkunst Darmstadt ab. Gleichzeitig wurde er festes Mitglied im Staatsorchester der Rheinischen Philharmonie Koblenz. Karwatky rekrutierte als neuen Gitarristen Eddy Marron, der zuvor beim Jochen Brauer Sextett und der Gruppe Vita Nova mitgewirkt hatte und ein klassisch ausgebildeter Gitarrist mit Studium der Konzertgitarre an der Staatlichen Hochschule für Musik Heidelberg-Mannheim war und den in Darmstadt geborenen und lebenden Schlagzeuger Lothar Scharf, der in Volker Kriegel's Trio und als Solo-Pauker bei den Berliner Symphonikern gespielt hatte. Er studierte klassische Perkussion an der Akademie für Tonkunst Darmstadt und an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Berlin. Er kam in die Band Dzyan als Ersatz für Krämer und Braum. Damit war die Gruppe wieder komplett. In der neuen Formation absolvierten Dzyan in den anschliessenden Monaten eine Reihe von Konzerten. Es waren die ersten Live-Auftritte von Dzyan überhaupt.
Der Südwestfunk lud die Gruppe im Oktober 1972 zu Aufnahmen in das sendereigene Studio U1 in Baden-Baden ein. Im November 1972 verliessen jedoch der Sänger Jochen Leuschner und der Saxophonist Gerd 'Bock' Ehrmann die Band. Gitarrist Marron übernahm nun auch den Gesang und Dzyan spielten als Trio weiter. Auch in dieser Besetzung wurden mehrere Live-Auftritte gespielt. Jochen Leuschner gründete nach seinem Ausstieg, nur wenige Monate später, mit einigen Darmstädter Musikern die Rockformation Hardcake Special. Die Gruppe veröffentlichte 1974 ein gleichnamiges Album auf dem Brain-Label von Metronome Records, produziert von Frank Dostal. Im gleichen Jahr begann Leuschner seine Tätigkeit beim Plattenlabel CBS in Frankfurt. Nach verschiedenen Positionen innerhalb des Unternehmens wurde Leuschner 1984 mit 35 Jahren der damals jüngste Geschäftsführer des weltweiten Musikunternehmens. Er führte die deutsche Filiale erfolgreich insgesamt 17 Jahre lang. Ende 2001 verliess er das Unternehmen auf eigenen Wunsch. Gerd Ehrmann spielte nach seinem Weggang von Dzyan in erster Linie akustischen Jazz, mit Jürgen Wuchner, Wolfgang Wüsteney, Michel Eicken und einigen weiteren Musikern. Ab Mitte der 70er Jahre war er als Sozialarbeiter in Frankfurt tätig. Der Schlagzeuger Lothar Scharf verliess die Band im März 1973 und stieg bei der Formation Virgo ein. Er wurde ersetzt von Peter Giger, der vom legendären Albert Mangelsdorff Quintett kam. Ab Mai 1973 spielte das neue Dzyan Trio in der Besetzung Marron, Karwatky und Giger. Im Frühsommer 1973 machte Karwatky die Bekanntschaft von Peter Hauke, dem berühmt berüchtigten Produzenten und Gründer des Labels Bacillus Records. Nachdem sich beide über einen Schallplattenvertrag geeinigt hatten, unterzeichneten Dzyan im Juni 1973 einen exklusiven Vertrag mit Bellaphon für das legendäre Bacillus-Label. Ende August nahm die Band ihr zweites Album "Time Machine" im legendären Dierks-Studio in Köln/Stommeln auf, produziert von Peter Hauke, aufgenommen und gemischt von Dieter Dierks. Veröffentlicht wurde das Album im November auf Bacillus Records. "Time Machine" mit seinem psychedelischen Cover, das Helmut Wenske für das Album designete, war im Vergleich zum Debütalbum ein völlig neu und anders klingendes Werk.
Der Sound der Gruppe bewegte sich zwar immer noch im Jazzrock, öffnete sich aber mehr in Richtung experimentellem Fusion und Free Rock. Als Trio entwickelte sich Dzyan vom Progressive Rock mit Gesang des ersten Albums jetzt in ethnische und jazzige Bereiche mit mehr Raum für abgedrehte exotische Improvisationen, zu einer ungewöhnlichen Form des Acid Rock mit heftigen Ausflügen in Richtung von John McLaughlin's Mahavishnu Orchestra. "Time Machine" war sehr virtuos und zeigte die Musiker mit eigener Ästhetik auf höchstem Niveau. Das Album galt später als eines der Meisterwerke des deutschen progressiven Rocks. Im Niemandsland zwischen Jazz und Rock und als Vorläufer des Post-Rocks der 90er Jahre war "Time Machine" seiner Zeit weit voraus. Nach den Aufnahmen zur LP absolvierte die Band eine Reihe von Auftritten in Deutschland und den angrenzenden Nachbarländern. In den USA wurde das Album "Time Machine" im April 1974 auf dem Cosmic Label veröffentlicht. Anschliessend verliess Schlagzeuger Giger für mehrere Monate die Band, um als Sessionmusiker für das Jazzlabel ECM zu arbeiten und eine Tour mit dem Bassisten Eberhard Weber zu absolvieren. Während seiner Abwesenheit wurde er kurzzeitig von Marc Hellmann (ehemals Dave Pike Set) vertreten. Zwischenzeitlich hatten Gitarrist Marron und Bassist Karwatky ihre musikalische Bandbreite und Ausdrucksformen mit der Verwendung verschiedenster Akustikinstrumente und ihrem Interesse für ethnische und experimentelle Musik weiterentwickelt. Im Hinblick auf die Veröffentlichung eines dritten Albums hatten Produzent Hauke und Mastermind Karwatky den legendären Surrealisten der 70er Jahre Helmut Wenske ('Paintings from Innerspace') auserwählt, auch für das kommende dritte Album "Electric Silence" das Cover zu entwerfen, was sich als Glücksgriff erwies.
Die Aufnahmen fanden im Oktober 1974 erneut im Dierks Studio statt. Auch "Electric Silence" wurde auf Bacillus Records veröffentlicht. "Electric Silence" wurde insbesondere bekannt und berühmt für seine von ethnischen Elementen geprägte aussergewöhnliche Musik und sein extrem psychedelisches und surrealistisches Cover. Dzyan perfektionierten ihre Musik noch mehr in Richtung Improvisation, elektronische Soundexperimente, polyrhythmisch treibende Grooves und raffinierte exotische Klänge und katapultierten die Band in einen faszinierenden mystischen Sound-Kosmos. "Electric Silence" hob ab in überirdische Klangwelten von unglaublicher Schönheit und Eigenart, eintauchend in die ursprüngliche Musik Asiens, zu den mythischen Quellen in Sphären des archaischen Ursprungs, wurde zu einem einzigartigen rituellen Trip in sagenumwobene immaterielle Welten. Die Multi-Instrumentalisten Marron und Karwatky experimentierten auf Sitar, Saz, Tambura, Mellotron, Synthesizern, Bass-Violine und einem geheimnisumwitterten Instrument namens Super-String, vermischt in einem extremen Schmelztiegel von Stilen, Ideen und fruchtbaren Phantasien, während Giger, hoch konzentriert und inspiriert, mit seinem virtuosen Schlagzeugspiel für den Zusammenhalt sorgte. Von dem geheimnisvollen "Kahli" über das mehr funkig angehauchte "For Earthly Thinking" bis zum heftigen "The Road Not Taken", lieferten Dzyan eines der besten und einzigartigsten Alben des Krautrocks ab.
"Electric Silence" stand letztlich für sich selbst: Abenteuerliche Rhythmen und einzigartiger Jazz-Prog im Grenzbereich des experimentellen Rocks, ein weiteres Meisterwerk. Das Album wurde in den USA auf dem zwischenzeitlich eingestellten Label Passport Records veröffentlicht. Ende 1974 entschloss sich Reinhard Karwatky jedoch als letztes verbliebenes Original-Bandmitglied, als der Gründer und Namens-Inhaber von Dzyan, die Gruppe zu verlassen, womit deren offizielles Ende dokumentiert wurde. Mit dem Bassisten Günter Lenz spielten Marron und Giger als Trio Giger-Lenz-Marron weiter. Das Fusion-Trio veröffentlichte zwei Alben auf Gigers Nagara-Label ("Beyond" 1977 und "Where The Hammer Hangs" 1978). Ihre Musik klang wie eine jazzigere Version von Dzyan, allerdings ohne deren Experimentierfreude und elektronischen Sounds. Reinhard Karwatky komponierte die erste deutsche Jazz Rock Symphonie "Resurrection", welche im Jahre 1975 im Staatstheater Darmstadt uraufgeführt wurde. Ausserdem "Ode To Africa", die sogenannte '1st World Music Symphony', uraufgeführt 1976 ebenfalls im Staatstheater Darmstadt mit Peter Giger und Christoph Haberer. Weitere Werke seines Schaffens waren "Liturgical Colours" für symphonische Streicher und Kontrabass solo, die "Homage To Mahatma Gandhi" für Symphonie Orchester und Chor, sowie zahlreiche weitere Symphonik-Projekte. Reinhard Karwatky arbeitete auch als Musikproduzent, Toningenieur, Komponist und Arrangeur.
- Dateianhänge
-
- dzyan.jpg (61.09 KiB) 1054 mal betrachtet
Gern der Zeiten gedenk ich...