[REVIEW] The Darkside • All That Noise (1990)
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[REVIEW] The Darkside • All That Noise (1990)
Zu Anfang der 80er Jahre kam es im Zuge der Punk-Bewegung zu einem Revival, das als Neo-Psychedelia bezeichnet wurde. Hierzu zählten neben Vorläufern wie der amerikanischen Band Chrome insbesondere auch die britischen Bands The Soft Boys und die Television Personalities. In Deutschland gehörten die 39 Clocks zu den frühesten Vertretern der Neo-Psychedelia. Auslöser des Revivals waren zum einen die Wiederveröffentlichung alter Aufnahmen aus den 60er Jahren auf Kompilationen, wie zum Beispiel der "Nuggets"-Zusammenstellung von 1972, die 1976 in einer neuen Auflage erschienen war. Auch die Zusammenstellungen der "Pebbles"-Serie von 1979 und das damit einhergehende Garagenrock-Revival, bei dem es viele Überschneidungen zum Psychedelic Rock gab, waren Mitauslöser der neuen Musikstilrichtung. Zum anderen waren vor allem in Grossbritannien Revivals wie das Mod-Revival, das Rockabilly-Revival und damit verbunden dessen Neuausrichtung unter dem Begriff Psychobilly oder das Ska-Revival modern geworden. Die Neo-Psychedelia folgte als ein weiteres Revival diesem Trend.
In den 80er Jahren wuchs das Revival des Neo-Psychedelic um unzählige Bands, von denen die meisten von der grossen Rockwelt unbeachtet im Untergrund wirkten. Spezialisierte Fanzines wie das britische 'Bucketful of Brains' oder das deutsche 'Glitterhouse' dokumentierten die Szene. In Los Angeles entstand eine der bekanntesten dieser Szenen, die unter der Bezeichnung Paisley Underground zusammengefasst wurde. Zu deren bekannteren Vertretern gehörten unter anderem die Bands The Dream Syndicate, The Bangles und Green On Red. Weltweit gründeten sich immer mehr Bands, die diesen rundum erneuerten Psychedelic Rock imitierten oder zu einem ihrer Haupteinflüsse machten, darunter Bands wie The Darkside, The Fuzztones, The Flaming Lips, Spacemen 3, Spiritualized und Temples. Aus Australien stammten The Church, in Neuseeland waren es The Chills und in Deutschland waren es die Kastrierten Philosophen, die ein wenig bekannter waren.
The Darkside waren eines der vielen Side Projects der Gruppe Spacemen 3, die zu den interessantesten und wohl auch populärsten Underground Neo-Psychedelic Bands gehörten. Sie waren auch eine der ersten Bands, die als Drone Rockers bekannt geworden waren und somit neben dem Psychedelic Rock auch noch dem später aufstrebenden Drone Rock als wichtiger Ursprung galten. Die Gruppe wurde lanciert vom Spacemen 3 Bassisten Pete 'Bassman' Bain, der die Band in seiner Heimatstadt Rugby in England ins Leben rief. The Darkside hiess die neue Band, die er im Jahre 1989 zusammen mit Sterling "Rosco" Roswell gegründet hatte. Beide waren zuvor bei Spacemen 3 aktiv gewesen, Bain als Bassist, Roswell als Schlagzeuger. The Darkside wurden komplettiert durch den Sänger Nick Hayden und den Gitarristen Kevin Cowen. Die Band erhielt schon kurze Zeit nach der Gründung einen Plattenvertrag mit Situation Two Records angeboten, dem Independent-Sublabel von Beggars Banquet Records. Nach der Veröffentlichung einer ersten EP verliess Hayden die Band während einer Tournee durch England. Der Bassist Pete Bain übernahm daraufhin zusätzlich auch den Gesangspart.
Nach einer weiteren EP erschien im Spätsommer 1990 das Debütalbum "All That Noise", nach dessen Veröffentlichung der Multi-Instrumentalist Roswell vom Schlagzeug an die Keyboards wechselte. Als neuer Schlagzeuger wurde Craig Wagstaff verpflichtet, sodass die Band wieder als Quartett fungierte. In einer Plattenkritik des Debütalbums "All That Noise" sah Ned Raggett auf Allmusic eine handwerklich solide Psych/Noise/Folk-Rock-Platte, die stilistisch sehr eng an Bains und Roswells Vorgängerband Spacemen 3 angelehnt sei und dieser gegenüber keine Eigenständigkeit aufweise. Statt Existierendes musikalisch zu erweitern, ahmte es The Darkside nur nach. Raggett vergab 2,5 von 5 Sternen. Das dürfte manchen Fan und Musiker jedoch nicht sonderlich beeindruckt haben, denn unter Insidern genoss das Werk einen hervorragenden Ruf, den die Gruppe mit einer eher zurückhaltenden und eher versponnenen Psychedelik erreichen konnte, die eher an einen kuscheligen und warmen Flokati-Teppich erinnerte, als an einen kreuzbunten und schwer greifbaren LSD-Trip.
Bereits der lange Opener der Platte "Guitar Voodoo" strahlte eine Art Magie aus, die nur schwer fassbar war. Dieses sich über mehr als 6 Minuten ergiessende Instrumentalstück bot eine herrliche Trip-artige Musik, wie sie vor allem Ausgangs der 60er Jahre von vielen damaligen Vertretern vor allem der amerikanischen psychedelischen Musik präsentiert worden war. Das Stück hätte auch gut von den 13th Floor Elevators oder Bubble Puppy stammen können. Das nachfolgende "Found Love" war ein herrlich poppiges typisch britisches Psychedelik-Popstück, das an die 60er Band Nirvana erinnerte. So richtig atmosphärisch wurde es dann beim dritten Song "She Don't Come" und einer herrlich abgehobenen Melodie, die einerseits sehr prägnant und somit mit hohem Wiedererkennungsfaktor ausgestattet war, andererseits an die psychedelischen Momente der Gruppen The Paisleys oder The Kites erinnerte. Einer der Höhepunkte des Albums folgte mit der Zeitlupen-Geschichte von "Love In A Burning Universe". Hier strahlte der Drone-Stil, allerdings noch in zaghaftem akustischem Kleid ohne die typischen späteren Feedback- und Fuzz-Elemente, sondern in sanften, fast schon in Watte getauchten Doors-Orgeleien. Das Stück wirkte angenehm abgehoben, stressfrei und herrlich fliessend.
Gegen Ende des Albums präsentierten The Darkside schliesslich zwei weitere Highlights, die man vielleicht nicht mehr unbedingt erwartet hätte: das rhythmisch anmachende "Soul Deep", eine forcierte Psychedelik Funky Jam, die sich sehr viel instrumentalen Freiraum gönnte, sowie das wiederum eher träumerisch und versponnen wirkende Zeitlupenstück "Waiting For The Angels", das noch einmal das typische Doors-Feeling deren früher Tage aufblitzen liess. Insgesamt war dieser Einstand äusserst gelungen, denn nicht manche der vielen Neo-Psychedelic Bands orientierten sich dermassen stark am originalen Psychedelic Pop und Rock der ausgehenden 60er Jahre wie The Darkside dies auf ihrem Debutalbum taten. Die Songs wurden im August 1990 im Studio The Abbatoir in Birmingham aufgenommen und von Richard Waghorn und der Band The Darkside produziert.
Für das Nachfolgealbum "Melomania" notierten die Musikkritiker wiederum Anleihen an den typischen Spacemen 3 Sound, jedoch mit deutlich mehr Eigenständigkeit. Die Band kreiere aus einer Vielzahl von Stilen etwas Komplexes und Eigenständiges, statt sie wie beim Vorgänger nur zu kopieren. Der Musikkritiker Ned Raggett bezeichnete das Album als vergrabene frühe 90er Jahre Perle und vergab nun 4 von 5 Sternen. Der Trouser Press-Rezensent Ira Robbins kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Er hob die stilistische Nähe zu den Spacemen 3 hervor, die auf dem ersten Album stärker sei als auf dem zweiten. "All That Noise" sei vor allem eine von den Doors beeinflusste atmosphärische Platte mit kunstlosem Gesang und schwachem Songwriting, dem die obsessive Intensität der Spacemen 3 fehle.
Über "Melomania" schrieb er, das Album sei der zweite vergebliche Versuch Bains, richtig gestimmt zu singen, die Musik der Band sei zusammenhangslos und unüberzeugt und ihre kompositorischen Ideen seien abgenutzt. Obschon die Fans die Musik von The Darkside sehr mochten und auch mir persönlich die Band noch heute als eine der schönsten der damaligen Neo-Psychedelik-Welle in Erinnerung geblieben ist, hielt es die Band nicht lange, bevor sie sich neuen und anderen Projekten widmete. Nach der Veröffentlichung des zweiten Studioalbums "Melomania" verliess der Gitarrist Cowen die Band, woraufhin Bain für Aufnahmen zusätzlich die Gitarrenarbeit übernahm. Ihre Plattenfirma Situation Two Records verweigerte nach Sichtung des Demomaterials die Veröffentlichung eines dritten Albums, woraufhin sich The Darkside auflösten. Laut Pete Bain waren die verbliebenen Mitglieder desillusioniert ob des schlechten Images der Band in der Musikpresse.
Bain und Roswell sind seit der Auflösung von The Darkside als Solokünstler tätig, Bain veröffentlichte ausserdem in der zweiten Hälfte der 90er Jahre mit der Gruppe Alpha Stone vier Alben. Wagstaff war in den 2000er Jahren als Perkussionist auf zwei Alben von Richard Ashcroft zu hören. Im Mai 2017 kündigte Bain in einem Interview an, gemeinsam mit Roswell an einer Retrospektive des Darkside-Schaffens zu arbeiten, die dann noch im selben Jahr im Eigenvertrieb erschien (auf Acid Ray / Media Roscom Productions). Diese Retrospektive umfasste nicht weniger als fünf CDs, welche das komplette Schaffen der Band im Tonstudio umfasste und sehr empfehlenswert ist.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
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(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] The Darkside • All That Noise (1990)
Neopsych trifft auf Spacerock oder umgekehrt, so würde ich die Musik von The Darkside beschreiben.
Und für mich ist es mal wieder ein schillerndes Beispiel dafür, wie innovativ gerade die 80er Jahre in der Musiklandschaft waren. Von vielen gescholten, von mir aber geliebt. Wer von seinen liebgewonnenen Dinosauriern nicht lassen wollte und weiterhin in der Lethargie dümpeln wollte, hat dieses fruchtbringende Jahrzehnt übersprungen und so einiges verpasst.
Wer mal eine Reise mit klirrenden Gitarrenriffs und tiefgreifender Begleitung antreten will, hat hier den richtigen Bahnsteig gewählt. Man muss nur noch die Urlaubsstimmung zulassen und kann sich auf eine flirrende und sicherlich auch spacige Reise begeben, deren einzige Haltepunkte darin bestehen, wenn die Folgestücke einsetzen und die musikalische Fahrt fortsetzen.
Bei dieser Rezi schnellt abermals mein Daumen hoch.
Und für mich ist es mal wieder ein schillerndes Beispiel dafür, wie innovativ gerade die 80er Jahre in der Musiklandschaft waren. Von vielen gescholten, von mir aber geliebt. Wer von seinen liebgewonnenen Dinosauriern nicht lassen wollte und weiterhin in der Lethargie dümpeln wollte, hat dieses fruchtbringende Jahrzehnt übersprungen und so einiges verpasst.
Wer mal eine Reise mit klirrenden Gitarrenriffs und tiefgreifender Begleitung antreten will, hat hier den richtigen Bahnsteig gewählt. Man muss nur noch die Urlaubsstimmung zulassen und kann sich auf eine flirrende und sicherlich auch spacige Reise begeben, deren einzige Haltepunkte darin bestehen, wenn die Folgestücke einsetzen und die musikalische Fahrt fortsetzen.
Bei dieser Rezi schnellt abermals mein Daumen hoch.
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Re: [REVIEW] The Darkside • All That Noise (1990)
Exzellenter Tipp für mich.
Nach der werde ich schauen.
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