[REVIEW] Ry Cooder • Paradise And Lunch (1974)

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Beatnik
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[REVIEW] Ry Cooder • Paradise And Lunch (1974)

Beitrag von Beatnik »

Mit "Paradise And Lunch" hatte Ry Cooder im Juni 1974 ein feines Roots-Album veröffentlicht, das sich in wesentlichen Merkmalen recht deutlich von seinen bisherigen drei Alben unterschied. Seine vierte LP, welche zwar keine Charts-Erfolge verbuchen konnte, geniesst dennoch unter den Ry Cooder Fans ein hohes Ansehen. Der Grund dürfte in der relativen Vielseitigkeit dieser Platte liegen. Ry Cooder präsentierte sich hier nicht nur als der begnadete Slidegitarren-Spieler, als den man ihn bis anhin kannte, sondern er zeigte seine Fähigkeiten auch an der akustischen Gitarre und insbesondere an der Mandoline. Durch diese zusätzlichen Saiteninstrumente erhielt "Paradie And Lunch" einen wesentlich stärkeren Tex-Mex Appeal als seine bisherigen Alben. Dazu passten dann auch die entsprechenden Songs wie etwa die Coverversion des von Burt Bacharach geschriebenen "Mexican Divorce", das ein herrlich träumerisch-trauriges Stück Mariachi-Musik zeigte, oder auch das nicht minder romantische Eingangsstück "Tamp 'Em Up Solid", einem uralten traditionellen Blues, den Cooder mit einem schönen Eisenbahner-Tramp-Groove versah.

Doch das Hauptmarkenzeichen dieser wunderbaren Platte war die Reise durch das Land Amerika und die Musik seiner Bewohner. Die neun Songs repräsentierten nämlich ausschliesslich alte Traditionals, alte Bluesnummern und Ausflüge in Gospel und traditionellen Folk. Die Reise ging dabei auch bis nach Mexiko und wieder zurück über den Mississippi in die Weiten der amerikanischen Landschaften. Die verwendeten Instrumente passten dazu perfekt, die Bilder von Feldarbeitern, alten Männern auf der Veranda und alten Autos, also den typischen Klischees zu Blues und Folk, entstanden damit unweigerlich im Kopf des Hörers. Kein Anderer als Ry Cooder konnte dieses Flair entstehen lassen, diesen relaxten Sound, der so tief in der amerikanischen Roots-Musik verwurzelt war.Cooder bewies auch mit der Wahl seiner Coversongs ein sicheres Händchen. Er schielte nicht auf sattsam bekannte Nummern, um sie zum x-ten mal zu covern, sondern entschied sich für teils eher weniger bekannte Titel und gab diesen auch seine unverwechselbare stilistische Note, die manchem Song am Ende ein völlig neues Gesicht gab. Die Arrangements waren mit vorwiegend akustischen Instrumenten und einer ganzen Reihe von Sängern inszeniert, die im Chorus den Blues- und Gospel-Faktor eindrücklich und authentisch zu unterstreichen verstanden. Der musikalische Höhepunkt dürfte dabei die letzte Nummer der Platte gewesen sein, auch wenn es sich hierbei nur um ein Duett handelte: "Ditty Wa Ditty" mit Ry Cooder an der Gitarre und dem 71-jährigen Bluesveteran Earl Hines am Klavier. Ein wunderschöner Ragtime, der das Herz berührte.

Sehr herzlich geriet auch das von Bobby und Shirley Womack komponierte Soul-Stück "It's All Over Now", das einen leicht verschleppten Reggae-Rhythmus aufwies, der mit leichtem Calypso-Feeling eine tolle Urlaubsstimmung verbreiten konnte, dabei aber auch sehr elegant und keinesfalls nach Billigreisen schmeckte. Der bekannte Bluesmusiker Ronnie Barron setzte bei dem Stück mit seinem lüpfigen Klavierspiel prägnante Akzente. Ueberhaupt zeigten alle beteiligten Musiker hier eine perfekte Performance. Cooder war in den Staaten bereits etabliert genug, dass er eine Reihe hochklassiger Musiker aufbieten konnte, wenn er sich ins Tonstudio begab. Hier waren neben den bereits erwähnten Ronnie Barron und Earl Hines auch der Bassist Chris Etheridge, die Schlagzeuger Jim Keltner und Milt Holland, der Saxophonist Plas Johnson, der Kornett spielende Oscar Brashear und die Background-Sänger und -Sängerinnen Bobby King, Gene Mumford, Bill Johnson, George McCurn, Walter Cook, Richard Jones und Karl Russell dabei. Die von Russ Titelman, der auch bei einigen Stücken den Bass spielte und ebenfalls mitsang und Lenny Waronker produzierte Platte überzeugte neben den Songs und den Arrangements auch durch die brilliante und transparente Produktion.

Das Album vereinte letztlich geliehene Songs verschiedenster Stilrichtungen, präsentierte dabei Jazz, Blues und Rootstitel, alte Standards aus dem grossen amerikanischen Songbook, wie auch kleine Obskuritäten, die weitgehend unbekannt waren, von Ry Cooder aber perfekt in Szene gesetzt wurden. So war zum Beispiel auch die eher wenig bekannte Nummer "The Tattler" von Washington Phillips auf dem Werk zu finden. Der Song erhielt erst durch die Version von Ry Cooder überhaupt ein grösseres Airplay, das später sogar noch grösser wurde, als die Country- und Rock-Sängerin Linda Ronstadt diesen Titel 1976, also zwei Jahre nach Ry Cooder, für ihr Album "Hasten Down The Wind" berücksichtigte. Bobby Miller's "If Walls Could Talk" war auch so eine eher wenig populäre Nummer, der Ry Cooder ein wunderschönes Country-Flair verpasste. Daneben fanden sich aber zum Beispiel mit den wesentlich populäreren Songs wie dem Gospel-Klassiker "Jesus On The Mainline" oder dem Blues Traditional "Fool For A Cigarette" auch Songs, die weitherum bekannt waren und sind. Cooder gab diesen Titeln jedoch stilistisch in ein völlig neues Gewand, ungewöhnlich arrangiert und instrumental von Feinheiten dominiert, klangen diese Songs hier wesentlich ausgeklügelter und differenzierter als die ursprünglich eher monotonen Traditionals.

Das ungewöhnliche Arrangieren seiner Songs hat Ry Cooder allerdings in seiner ganzen Karriere immer wieder ausgezeichnet. Im Verbund mit den Produzenten Russ Titelman und Lenny Waronker hatte dieses Zusammenspiel einen wirklichen Höhepunkt generiert, sodass es ausserordentlich schade ist, dass es diese brilliante Platte damals nicht in die amerikanischen Top 100 schaffte. Heute geniesst dieses Werk einen wesentlich höheren Stellenwert, nicht nur im Werk des Künstlers Ry Cooder, sondern ganz allgemein auch in dem musikalischen Bereich der Rootsmusik. Kritiker sehen in dem Album heute rückwirkend betrachtet einen ersten bedeutungsvollen Höhepunkt eines Musikstils, der sich erst Jahre später zu etablieren begann. Sich so auf die uramerikanischen Musik-Wurzeln zu besinnen, und diesen musikalischen Wurzeln ein ebenso passendes wie zeitgenössisches Aussehen zu verpassen, gelang damals niemandem so nachhaltig wie Ry Cooder. Insofern ist "Paradise And Lunch" nicht nur ein hervorragendes Stück Musik, sondern auch ein Wegbereiter für einen Musikstil, der erst einige Jahre später den grossen Durchbruch erlangte.

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BRAIN
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Re: Ry Cooder • Paradise And Lunch (1974)

Beitrag von BRAIN »

:yes:

Die Musik auf Ry Cooders Alben ist immer wie Fotos die man so auf einer Amerika Rundreise macht.
Stilistisch sehr vielschichtig aber immer streng amerikanisch.
Paradise And Lunch ist nicht mein Favorit von Cooder aber ein sehr gutes gern gehörtes Album.
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Alexboy
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Re: Ry Cooder • Paradise And Lunch (1974)

Beitrag von Alexboy »

Dieser Künstler ist mir auch immer ein paar Ohren Wert! :beer:
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Emma Peel
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Re: [REVIEW] Ry Cooder • Paradise And Lunch (1974)

Beitrag von Emma Peel »

Ry Cooder ist ein musikalisches Phänomen. Obwohl er nie die Charts oder anderweitige Hitlisten anführte, wird er von einer Vielzahl von Musikern und Kritikern gleichermaßen geschätzt. Sicherlich war er auch bei seinen Fans hoch angesehen, das breite Publikum verweigerte sich aber.

Letztlich ist er sich selbst und seinem Musikstil treu geblieben und war in den Spielarten des Folk, Country, Gospel und auch Cajun beheimatet und hat hier über Jahrzehnte seine nachhaltigen Duftmarken hinterlassen.

Auch wenn "Paradise And Lunch" nicht mein Lieblingsalbum von ihm ist, enthällt es wieder die vertrauten süchtig machenden Elemente.
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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] Ry Cooder • Paradise And Lunch (1974)

Beitrag von Louder Than Hell »

Ry Cooder gehört sicherlich zu den ganz großen des Musikgeschäftes und hat über einen Zeitraum von 4 Jahrzehnten eine Vielzahl von hörenswerten Alben herausgebracht, die auch noch über seinen Tod hinaus erstrahlen werden.

In diesem Zusammenhang ist es völlig egal, ob er hierbei als Begleitmusiker anderer Musiker mitwirkte oder sich auf seinen eigenen Aben produzierte. Sein Slide- und Akustikgitarrenspiel oder auch der Mandoline war hierbei prägend und eindeutig als sein Markenzeichnen erkennbar.

Das Album "Paradis And Lunch" ist aus einem ähnlichen Holz geschnitzt und präsentiert wieder eine Vielzahl hörenswerter Songs, wobei du mit den Stücken "Mexican Divorce" und "Tattler" bereits zwei herausgestellt hast.

Abschließend nochmals schönen Dank für diese weitere gelungene Rezi.
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