[REVIEW] Connie Converse • How Sad, How Lovely (1954, erstmalig veröffentlicht 2009)
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[REVIEW] Connie Converse • How Sad, How Lovely (1954, erstmalig veröffentlicht 2009)
Connie Converse bleibt bis heute der Inbegriff eines musikalischen Rätsels - eine Künstlerin vor ihrer Zeit, vergessen und vor fast 50 Jahren spurlos verschwunden. Wenn man Converse's scharfen literarischen Geist, die Präzision der Kraft in ihren Kompositionen, die blosse Ehrlichkeit ihrer bescheidenen Aufnahmen erst einmal erfasst hat, bleibt am Ende immer diese eine unbeantwortete Frage, mit welcher uns diese Künstlerin zurückliess: Wohin war sie gegangen ? Warum packte sie ihre Sachen in ein Auto, schrieb einigen ihrer Freunde und Verwandten Abschiedsbriefe und verschwand ? Gesicherte Facts zu ihrem Leben gibt es nicht allzu viele. Es muss um das Jahr 1949 herum gewesen sein, als Elizabeth 'Connie' Converse aus dem Mount Holyoke College flog und daraufhin nach New York City umzog, um ihren Weg als Musikerin zu machen. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts begann sie damit, einzigartige, klagende und eindringliche musikalische Kleinodien zu schreiben. Einige Lieder nahm sie selbst in ihrer Wohnung in Greenwich Village auf, andere wurden von Freunden aufgenommen, die ihre Musik liebten, aber es gelang der Künstlerin nicht, ein breiteres Publikum als, wie sie es selbst einmal mit einer gewissen Ironie bemerkte "Dutzende von Menschen auf der ganzen Welt" zu erreichen. Im Jahre 1960, verzweifelt über den begrenzten kommerziellen Erfolg ihrer Musik, beschloss sie, New York zu verlassen. Sie zog nach Ann Arbor, wo sie schliesslich 1974 eine Reihe von Abschiedsbriefen an Freunde und Familienangehörige schrieb, ihren Volkswagen einpackte und verschwand. Seitdem hat niemand mehr etwas von Connie Converse gehört.
Beim ersten Hören scheint Connie Converse's Musik mit den weiblichen Folkmusikern, die ihre Zeitgenossen waren, eng verbunden zu sein. Der Hang zum klagenden Erzählen liess Parallelen zu den Musikerinnen Peggy Seeger und Susan Reed erkennen. Reed kannte Connies Musik gut und führte 1961 eine Reihe ihrer Songs an einem Konzert in New York auf. Aber Connies Musik hob sich dennoch vom amerikanischen Folk-Revival der 50er Jahre ab. Ihre fliessende und entwaffnend intelligente Poesie spiegelte eine urbane Perspektive wider, die des neuen New Yorker, der sich von den Mustern der traditionellen amerikanischen Folkmusik zunehmends gelangweilt fühlte. Connie Converse war deshalb zugleich auch eine Aussenseiterin und eine romantische, intellektuelle und spirituelle, dazu eine standhaft unabhängige Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Ihre äusserst spärlich überlieferte musikalische Arbeit gehört zu den frühesten bekannten Beispielen des Singer-Songwriter-Genres, als man diesen stilistischen Begriff noch nicht kannte. Ihre Musik war weitgehend unbekannt, bis sie 2004 in einer Radioshow vorgestellt wurde und im März 2009 auf dem Album "How Sad, How Lovely" erstmals überhaupt veröffentlicht wurde. Converse wurde 1924 in Laconia, New Hampshire, geboren. Sie wuchs in Concord als mittleres Kind in einer strengen Baptistenfamilie auf. Ihr Vater war ein Minister und ihre Mutter war laut Musikhistoriker David Garland musikalisch. Sie besuchte die Concord High School, wo sie eine Ehrenurkunde und acht akademische Auszeichnungen erhielt, darunter ein akademisches Stipendium für das Mount Holyoke College in Massachusetts. Nach zwei Jahren Studium verliess sie Holyoke und zog nach New York City.
Während der 50er Jahre arbeitete Converse für die Academy Photo Offset Druckerei im New Yorker Flatiron District. Sie lebte zunächst in Greenwich Village, später aber in den Gebieten Hell's Kitchen und Harlem. Sie fing an, sich Connie zu nennen, ein Spitzname, den sie in New York erworben hatte. Sie begann, Songs zu schreiben und sie für Freunde zu spielen, wobei sie sich selbst an der Gitarre begleitete. Während dieser Zeit fing sie auch das Rauchen und Trinken an, was sich stark gegen ihre strenge baptistische Erziehung richtete. Ihre immer noch religiösen Eltern lehnten ihre Musikkarriere ab, und ihr Vater starb, ohne je einen einzigen von Connie's Songs gehört zu haben.
Convers einzige bekannte öffentliche Aufführung war ein kurzer Fernsehauftritt im Jahre 1954 in der Morning Show auf CBS mit Walter Cronkite, den der Künstler Gene Deitch mitorganisierte. Bis 1961 (im selben Jahr, in dem Bob Dylan nach Greenwich Village zog und schnell den Mainstream-Erfolg erreichte), war zunehmends Converse frustriert, als Deitch versuchte, ihre Musik in New York zu verkaufen und immer wieder Absagen von Produzenten und Plattenfirmen erhielt. In diesem Jahr zog Connie Converse dann nach Ann Arbor, Michigan, wo ihr Bruder Philip Converse Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Michigan war. Sie arbeitete zuerst in einem Sekretariat und später als Managing Editor des Journal of Conflict Resolution, für das sie auch regelmässig Artikel schrieb. Nach ihrem Umzug in den mittleren Westen schien Converse grösstenteils aufgehört zu haben, neue Songs zu schreiben.
Connie Converse hielt sich über ihre privaten Angelegenheiten stets sehr zurück, sie war eher ein in sich gekehrter Mensch, der die breite Oeffentlichkeit nicht hat an ihrem Leben teilnehmen lassen. Laut Deitch antwortete sie fast ausschliesslich mit knappen 'ja' oder 'nein' Antworten auf Fragen zu ihrem persönlichen Leben. Sowohl Deitch als auch Connie's Bruder Phil sagten später, dass es möglich sei, dass sie lesbisch gewesen sei, aber sie habe das selbst nie bestätigt oder dementiert. Ihr Neffe, Tim Converse, hatte gesagt, dass es keine Beweise dafür gäbe, dass Connie in ihrem ganzen Leben jemals in einer romantischen Beziehung gewesen war. Ihre Familie stellte ausserdem fest, dass Connie sich gegen Ende ihrer in Michigan lebenden Zeit immer mehr dem Alkohol zugetan war. Bis 1973 war Converse ausgebrannt und deprimiert. Die Büros des Journal of Conflict Resolution, die ihr so viel bedeutet hatten, wechselten die Lokalität Ende 1972 nach Yale , nachdem sie ohne ihr Wissen versteigert worden waren. Ihre Kollegen und Freunde sammelten für die Künstlerin Geld, um eine sechsmonatige Reise nach England zu finanzieren, in der Hoffnung, ihre Stimmung würde sich dadurch wieder verbessern, doch war dies leider vergebens. Connies Mutter bat sie, sie zu einer Reise nach Alaska zu begleiten, der sie widerwillig zustimmte. Ihr Missfallen über die Reise schien letztlich mit zu ihrer Entscheidung beigetragen haben, zu verschwinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde Converse von Ärzten gesagt, dass sie eine Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) benötige, und diese Information schien die fragile Musikerin letztlich ganz aus der Fassung gebracht zu haben.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] Connie Converse • How Sad, How Lovely (1954, erstmalig veröffentlicht 2009)
Im August 1974 schrieb sie wie bereits erwähnt eine Reihe von Briefen an ihre Familie und an ausgesuchte Freunde, in denen sie ihre Absicht äusserte, woanders ein neues Leben zu beginnen. In einem der Briefe schrieb sie etwas verstörend: 'Lass mich gehen. Lass mich sein, wenn ich kann. Lass mich nicht sein, wenn ich nicht kann. Die menschliche Gesellschaft fasziniert mich und erfüllt mich mit Trauer und Freude. Ich kann einfach nicht meinen Platz finden, um mich darauf einzulassen'. Mit ihrem Brief an ihren Bruder Philip Converse legte Connie einen Scheck bei und bat darum, dass er sicherstellte, dass ihre Krankenversicherung für eine bestimmte Zeit nach ihrer Abreise weiterbezahlt werde, aber dass er die Police an einem bestimmten Datum kündigen solle.
Es wurde im Vorfeld eher erwartet, dass Connie Converse jedes Jahr mit ihrer Familie einen Familienausflug zu einem See unternahm, aber als die Briefe zugestellt wurden, hatte sie ihre Habseligkeiten bereits in ihren VW-Käfer gepackt und war davongefahren, um nie wieder etwas von sich hören zu lassen. Die Ereignisse ihres Lebens nach ihrem Verschwinden blieben letztlich unbekannt. Einige Jahre, nachdem Connie Converse gegangen war, erzählte jemand ihrem Bruder Philip, dass er in Kansas oder Oklahoma einen Telefonbucheintrag für Elizabeth Converse gesehen hätte, aber er verfolgte diese Spur letztlich nicht, da es der Wunsch von Connie war, nicht gesucht zu werden, was ihr Bruder respektierte. Ungefähr zehn Jahre nach ihrem Verschwinden engagierte die Familie dennoch einen Privatdetektiv in der Hoffnung, sie zu finden. Der Ermittler sagte der Familie jedoch, dass, selbst wenn er sie finden würde, es ihr Recht sei zu verschwinden, und er sie nicht einfach zurückbringen könne. Seit dieser Zeit respektierte ihre Familie ihre Entscheidung zu gehen und hörte auf, nach ihr zu suchen. Ihr Bruder Philip vermutete später, dass sie sich das Leben genommen hatte. Aber ihr tatsächliches Schicksal blieb unbekannt.
Im Januar 2004 wurde Gene Deitch, der damals 80 Jahre alt war und seit 1959 in Prag lebte, vom New Yorker Musikhistoriker David Garland eingeladen, bei dessen WNYC- Radioshow 'Spinning on Air' aufzutreten. Deitch spielte einige der Converse-Aufnahmen, die er auf einem Reel-to-Reel-Tonbandgerät gemacht hatte, darunter ihr Lied "One By One". Zwei von Garlands Zuhörern, Dan Dzula und David Herman, waren inspiriert, zusätzliche Aufnahmen von Converse aufzuspüren. Sie fanden zwei Quellen für Converse's Musik: Deitch's Sammlung in Prag und einen Aktenschrank in Ann Arbor, der Aufnahmen enthielt, die Connie Converse Ende der 50er Jahre an ihren Bruder Philip geschickt hatte. Im März 2009 wurde das Album "How Sad, How Lovely" mit 17 Liedern von Converse von Lau Derette Recordings veröffentlicht. Im selben Monat gab WNYCs 'Spinning on Air' ein einstündiges Special über das Leben und die Musik von Converse. Der Moderator der Show, David Garland, erforschte auch das Geheimnis um Converse's Verschwinden mit Aufnahmen von Converse's Bruder Philip Converse und Lesungen ihrer Briefe durch den Schauspieler Amber Benson.
Im Jahr 2015 wurde "How Sad, How Lovely" als 18 Track Vinyl von Squirrel Thing Recordings in Partnerschaft mit dem Captured Tracks Label erneut veröffentlicht und dabei um einen zusätzlichen Song erweitert. Das Album erhielt positive Kritiken, unter anderem vom Musikkritiker der Los Angeles Times, Randall Roberts, der schrieb: "Wenige Neuauflagen des letzten Jahrzehnts haben mich mit mehr anhaltender, freudiger Zuneigung als "How Sad, How Lovely" getroffen. Der australische Singer-Songwriter Robert Forster beschrieb das Album als eine tiefe und wunderbare Verbindung zwischen Lyrik und Gesang, die es uns ermöglicht, die Welt einer aussergewöhnlichen Frau, die im New York der Mitte des 20. Jahrhunderts lebte, zu betreten.
Abgesehen von ihrem Auftritt bei der Morning Show von 1954, aufgenommen von Walter Cronkite, und einer Aufführung ihrer Musik 1961 durch Folksängerin Susan Reed in der Kaufmanns Concert Hall in New York, war Converses Musik der Öffentlichkeit erst im Jahr 2004 wieder zugänglich. Seit der Veröffentlichung ihres Albums 2009 sind Converse's Leben und ihre Musik Gegenstand von Nachrichten rund um die Welt. Zusätzlich zu dem Geheimnis um ihr Verschwinden konzentrierten sich viele dieser Artikel auf den Inhalt und den Stil von Converse's Musik - und die Möglichkeit, dass sie die früheste Protagonistin im Singer/Songwriter-Genre sein könnte. Laut dem Musikhistoriker David Garland schrieb und sang Converse in den 50er Jahren, lange bevor Singer-Songwriter eine anerkannte Kategorie oder Stil war. Aber alles, was man heute bei klassischen Singer/Songwritern schätzen würde: persönliche Perspektive, Einblick, Originalität, Empathie, Intelligenz, schlauer Humor, all das war reichlich vorhanden in der Musik von Connie Converse. Andere zitierten die weibliche Erfahrung, die oft in ihren Texten beschrieben wurde, sowie die Themen der Sexualität und des Individualismus, die in ihren Liedern zu finden seien, als der Grund, warum Converse's Musik ihrer Zeit so weit voraus war.
Converse's Leben und Musik inspirierten zahlreiche zeitgenössische Werke, darunter ein Stück von Howard Fishman, der auch das Album "Connie's Piano Songs" produzierte, das von Connie Converse geschriebene, aber nie aufgenommene Musik enthält. Weitere von Converse inspirierte Werke sind das Modern Dance Stück "Empty Pockets" von John Heginbotham, das 2015 im Miller Theatre aufgeführt wurde, die Tribute-Performances der britischen Sängerin Nat Johnsons "Roving Woman" sowie Tribute von Converse's Musik von Jean Rohe und Diane Gluck im Rahmen des Jubiläumsspecials 'Spinning on Air'. Im Jahre 2017, veröffentlichte ausserdem John Zorn's Plattenfirma Tzadik Records ein Tribut an Connie Converse mit neuen Aufnahmen ihrer Songs durch eine breite Palette von Künstlern wie Mike Patton, Karen O und Laurie Anderson.
Es wurde im Vorfeld eher erwartet, dass Connie Converse jedes Jahr mit ihrer Familie einen Familienausflug zu einem See unternahm, aber als die Briefe zugestellt wurden, hatte sie ihre Habseligkeiten bereits in ihren VW-Käfer gepackt und war davongefahren, um nie wieder etwas von sich hören zu lassen. Die Ereignisse ihres Lebens nach ihrem Verschwinden blieben letztlich unbekannt. Einige Jahre, nachdem Connie Converse gegangen war, erzählte jemand ihrem Bruder Philip, dass er in Kansas oder Oklahoma einen Telefonbucheintrag für Elizabeth Converse gesehen hätte, aber er verfolgte diese Spur letztlich nicht, da es der Wunsch von Connie war, nicht gesucht zu werden, was ihr Bruder respektierte. Ungefähr zehn Jahre nach ihrem Verschwinden engagierte die Familie dennoch einen Privatdetektiv in der Hoffnung, sie zu finden. Der Ermittler sagte der Familie jedoch, dass, selbst wenn er sie finden würde, es ihr Recht sei zu verschwinden, und er sie nicht einfach zurückbringen könne. Seit dieser Zeit respektierte ihre Familie ihre Entscheidung zu gehen und hörte auf, nach ihr zu suchen. Ihr Bruder Philip vermutete später, dass sie sich das Leben genommen hatte. Aber ihr tatsächliches Schicksal blieb unbekannt.
Im Januar 2004 wurde Gene Deitch, der damals 80 Jahre alt war und seit 1959 in Prag lebte, vom New Yorker Musikhistoriker David Garland eingeladen, bei dessen WNYC- Radioshow 'Spinning on Air' aufzutreten. Deitch spielte einige der Converse-Aufnahmen, die er auf einem Reel-to-Reel-Tonbandgerät gemacht hatte, darunter ihr Lied "One By One". Zwei von Garlands Zuhörern, Dan Dzula und David Herman, waren inspiriert, zusätzliche Aufnahmen von Converse aufzuspüren. Sie fanden zwei Quellen für Converse's Musik: Deitch's Sammlung in Prag und einen Aktenschrank in Ann Arbor, der Aufnahmen enthielt, die Connie Converse Ende der 50er Jahre an ihren Bruder Philip geschickt hatte. Im März 2009 wurde das Album "How Sad, How Lovely" mit 17 Liedern von Converse von Lau Derette Recordings veröffentlicht. Im selben Monat gab WNYCs 'Spinning on Air' ein einstündiges Special über das Leben und die Musik von Converse. Der Moderator der Show, David Garland, erforschte auch das Geheimnis um Converse's Verschwinden mit Aufnahmen von Converse's Bruder Philip Converse und Lesungen ihrer Briefe durch den Schauspieler Amber Benson.
Im Jahr 2015 wurde "How Sad, How Lovely" als 18 Track Vinyl von Squirrel Thing Recordings in Partnerschaft mit dem Captured Tracks Label erneut veröffentlicht und dabei um einen zusätzlichen Song erweitert. Das Album erhielt positive Kritiken, unter anderem vom Musikkritiker der Los Angeles Times, Randall Roberts, der schrieb: "Wenige Neuauflagen des letzten Jahrzehnts haben mich mit mehr anhaltender, freudiger Zuneigung als "How Sad, How Lovely" getroffen. Der australische Singer-Songwriter Robert Forster beschrieb das Album als eine tiefe und wunderbare Verbindung zwischen Lyrik und Gesang, die es uns ermöglicht, die Welt einer aussergewöhnlichen Frau, die im New York der Mitte des 20. Jahrhunderts lebte, zu betreten.
Abgesehen von ihrem Auftritt bei der Morning Show von 1954, aufgenommen von Walter Cronkite, und einer Aufführung ihrer Musik 1961 durch Folksängerin Susan Reed in der Kaufmanns Concert Hall in New York, war Converses Musik der Öffentlichkeit erst im Jahr 2004 wieder zugänglich. Seit der Veröffentlichung ihres Albums 2009 sind Converse's Leben und ihre Musik Gegenstand von Nachrichten rund um die Welt. Zusätzlich zu dem Geheimnis um ihr Verschwinden konzentrierten sich viele dieser Artikel auf den Inhalt und den Stil von Converse's Musik - und die Möglichkeit, dass sie die früheste Protagonistin im Singer/Songwriter-Genre sein könnte. Laut dem Musikhistoriker David Garland schrieb und sang Converse in den 50er Jahren, lange bevor Singer-Songwriter eine anerkannte Kategorie oder Stil war. Aber alles, was man heute bei klassischen Singer/Songwritern schätzen würde: persönliche Perspektive, Einblick, Originalität, Empathie, Intelligenz, schlauer Humor, all das war reichlich vorhanden in der Musik von Connie Converse. Andere zitierten die weibliche Erfahrung, die oft in ihren Texten beschrieben wurde, sowie die Themen der Sexualität und des Individualismus, die in ihren Liedern zu finden seien, als der Grund, warum Converse's Musik ihrer Zeit so weit voraus war.
Converse's Leben und Musik inspirierten zahlreiche zeitgenössische Werke, darunter ein Stück von Howard Fishman, der auch das Album "Connie's Piano Songs" produzierte, das von Connie Converse geschriebene, aber nie aufgenommene Musik enthält. Weitere von Converse inspirierte Werke sind das Modern Dance Stück "Empty Pockets" von John Heginbotham, das 2015 im Miller Theatre aufgeführt wurde, die Tribute-Performances der britischen Sängerin Nat Johnsons "Roving Woman" sowie Tribute von Converse's Musik von Jean Rohe und Diane Gluck im Rahmen des Jubiläumsspecials 'Spinning on Air'. Im Jahre 2017, veröffentlichte ausserdem John Zorn's Plattenfirma Tzadik Records ein Tribut an Connie Converse mit neuen Aufnahmen ihrer Songs durch eine breite Palette von Künstlern wie Mike Patton, Karen O und Laurie Anderson.
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Re: [REVIEW] Connie Converse • How Sad, How Lovely (1954, erstmalig veröffentlicht 2009)
Nach allem, was man heute weiss, wäre die am 3. August 1924 geborene Connie Converse inzwischen bald 100 jährig. Obwohl sie wohl eine der ersten echten weiblichen Singer/Songwriter war, blieb bis heute wenig über ihre Musik und ihr Leben bekannt. Einigermassen gut dokumentiert sind lediglich ihre musikalischen Lehr- und Wanderjahre in den 50er Jahren, als sie zunächst auf Dinnerpartys für Freunde spielte. Ihre Musik wurde bei Freunden sehr beliebt, so sehr, dass der Zeichner Gene Deitch beschloss, die in seinen Augen hochbegabte Künstlerin zu fördern. Deitch versuchte, Aufnahmen von Connie publik zu machen und half ihr 1954, auf CBS einen TV-Auftritt zu landen. Aber New York brachte nie wirklich den Ruhm und den Lebensstil, den es ihr versprochen hatte. In ihrer langen Abwesenheit gab es eine Handvoll Menschen, die versuchten, ihr Gedächtnis am Leben zu erhalten. Am meisten hat wohl letztlich Gene Deitch hierfür getan.
Converse's Musik war einfach, ehrlich und schonungslos. Eine Akustikgitarre begleitete poetische Texte, die beiden kollidierten mit der klaren, ausdrucksstarken Stimme der Künstlerin, um jeden Song letztlich zu einem Wiegenlied zu machen, das einem nachts wach hält. In gewisser Weise klangen ihre Songs wie vertonte Sonetten. In "We Lived Alone" berichtete Converse von ihrer Zufriedenheit des alleine lebens, indem sie die schönen einsamen Objekte in ihrem Haus in drei Versen inventarisierte. In der vierten Strophe jedoch verschob sie die Richtung und fügte eine schicksalshafte vierte Zeile hinzu, in welcher sie ihre eigene Zufriedenheit als Selbstbetrug entlarvte. Das Stück "One By One" verdankte seine eindringliche Melancholie einer Gitarrenmelodie, die so knapp war, dass sie fast in einem Einsteiger-Akkord-Übungsbuch stecken konnte. Textlich lieferte Connie Converse hier eine tragische Metapher über unerwiderte Liebe, die sie mit dem Gehen im Dunkeln verglich. "Wenn ich deine Hand in meiner hätte, könnte ich scheinen, könnte ich scheinen", klagte sie. Das Lied demonstrierte auf besonders beeindruckende Art und Weise die doppelte Kraft in Converse's Songs: Sie waren technisch spärlich, aber poetisch dicht. Die akustische Gitarre gab gerade genug, um für jedes Lied einen Ton zu setzen, was ein Gefühl hervorrief, dass Converse ihr Instrument für jede noch so kleine Lyrik als reduktives akustisches Vehikel nutzen konnte.
Obwohl ihr Einfluss zu dieser Zeit nicht über ihren Freundeskreis hinausging, wurde der Veröffentlichung von "How Sad, How Lovely" endlich die Achtung zuteil, die der Musikerin zu ihrer Zeit verweigert wurde. Ihre Musik spielte nun wieder auf New Yorker Dinnerpartys, aber heute kam sie von sorgfältig kuratierten Spotify-Playlists, die leise durch drahtlose Regal-Lautsprecher summten. Neben den Streaming-Diensten inspirierten die Aufnahmen auch zu einer vom Publikum finanzierten Dokumentation mit dem Titel " Wir lebten allein: Die Connie Converse Story", die 2014 beim Sensoria Film & Music Festival uraufgeführt wurde. Einige dieser neuen Fans waren und sind selbst Künstler. Am lautesten war Frankie Cosmos, ein anderer New Yorker Singer/Songwriter. Cosmos zitierte Converse als Einfluss in einem Interview und nannte sie "eine komische, zurückgezogene Musikerin, die ihrer Zeit wirklich voraus war, denke ich". Die Parallelen zwischen Cosmos und Converse's Musik ziehen sich fast zusammen. Auch Frankie Cosmos besitzt die beeindruckende Fähigkeit, aus einfachen Worten emotionale Schlagfertigkeiten zu kredenzen, wie etwa "Ich will einfach nur am Leben sein, das ist es". Vielleicht ist es diese ebenso schlichte wie brutale emotionale Ehrlichkeit, die Converse's Vermächtnis verkörpert. Nicht, dass sie die alleinige Besitzerin dieser Qualität wäre, aber mit einer der Hauptgründe, warum sie so oft als ihrer Zeit voraus bezeichnet wurde, war und bleibt, weil viele der Sängerinnen jener Zeit (ausser vielleicht die damaligen Jazz-Ikonen) ständig entweder untröstlich oder verliebt gewesen zu sein schienen, weil sie von praktisch nichts anderem sangen. Converse's Musik hatte sicherlich ebenfalls ihren gerechten Anteil an diesem Herzschmerz gekannt, aber sie überwand diesen Zwiespalt, indem sie sich irgendwo in der Mitte niederliess und nach Alternativen suchte. Der Grossteil ihrer Musik war ein Gefühl wehmütiger Selbstreflexion, nur manchmal trug sie die Maske der unerwiderten Liebe. "Talking 'Like (Two Tall Mountains)" sah Converse mit ihrer Einsamkeit sitzen und wagte es sich damit zufrieden zu geben. "Roving Woman" war ein ironischer Kommentar zu den männlichen Erwartungen an sie.
In einem ihrer Abschiedsbriefe schrieb Converse: "Die menschliche Gesellschaft fasziniert mich und weckt mich und erfüllt mich mit Trauer und Freude. Ich kann einfach nicht meinen Platz finden, an dem ich mich anschliessen kann". Lyrische Kontemplation darüber, wie wir uns in die Welt einklinken, versucht wohl fast jeder Künstler mit seiner Musik und seinen Songtexten. Ob es Connie Converse ist, die ihre Einsamkeit beklagt und sie schliesslich akzeptiert, ist letztlich Makulatur: Connie Converse sprach wie später viele weitere Künstler mit gnadenlos ehrlicher Offenheit über ihre Erfahrungen und verallgemeinerte das zutiefst Persönliche in ein paar melodischen Sätzen. Traurig, lieblich und sehr beeindruckend.
Converse's Musik war einfach, ehrlich und schonungslos. Eine Akustikgitarre begleitete poetische Texte, die beiden kollidierten mit der klaren, ausdrucksstarken Stimme der Künstlerin, um jeden Song letztlich zu einem Wiegenlied zu machen, das einem nachts wach hält. In gewisser Weise klangen ihre Songs wie vertonte Sonetten. In "We Lived Alone" berichtete Converse von ihrer Zufriedenheit des alleine lebens, indem sie die schönen einsamen Objekte in ihrem Haus in drei Versen inventarisierte. In der vierten Strophe jedoch verschob sie die Richtung und fügte eine schicksalshafte vierte Zeile hinzu, in welcher sie ihre eigene Zufriedenheit als Selbstbetrug entlarvte. Das Stück "One By One" verdankte seine eindringliche Melancholie einer Gitarrenmelodie, die so knapp war, dass sie fast in einem Einsteiger-Akkord-Übungsbuch stecken konnte. Textlich lieferte Connie Converse hier eine tragische Metapher über unerwiderte Liebe, die sie mit dem Gehen im Dunkeln verglich. "Wenn ich deine Hand in meiner hätte, könnte ich scheinen, könnte ich scheinen", klagte sie. Das Lied demonstrierte auf besonders beeindruckende Art und Weise die doppelte Kraft in Converse's Songs: Sie waren technisch spärlich, aber poetisch dicht. Die akustische Gitarre gab gerade genug, um für jedes Lied einen Ton zu setzen, was ein Gefühl hervorrief, dass Converse ihr Instrument für jede noch so kleine Lyrik als reduktives akustisches Vehikel nutzen konnte.
Obwohl ihr Einfluss zu dieser Zeit nicht über ihren Freundeskreis hinausging, wurde der Veröffentlichung von "How Sad, How Lovely" endlich die Achtung zuteil, die der Musikerin zu ihrer Zeit verweigert wurde. Ihre Musik spielte nun wieder auf New Yorker Dinnerpartys, aber heute kam sie von sorgfältig kuratierten Spotify-Playlists, die leise durch drahtlose Regal-Lautsprecher summten. Neben den Streaming-Diensten inspirierten die Aufnahmen auch zu einer vom Publikum finanzierten Dokumentation mit dem Titel " Wir lebten allein: Die Connie Converse Story", die 2014 beim Sensoria Film & Music Festival uraufgeführt wurde. Einige dieser neuen Fans waren und sind selbst Künstler. Am lautesten war Frankie Cosmos, ein anderer New Yorker Singer/Songwriter. Cosmos zitierte Converse als Einfluss in einem Interview und nannte sie "eine komische, zurückgezogene Musikerin, die ihrer Zeit wirklich voraus war, denke ich". Die Parallelen zwischen Cosmos und Converse's Musik ziehen sich fast zusammen. Auch Frankie Cosmos besitzt die beeindruckende Fähigkeit, aus einfachen Worten emotionale Schlagfertigkeiten zu kredenzen, wie etwa "Ich will einfach nur am Leben sein, das ist es". Vielleicht ist es diese ebenso schlichte wie brutale emotionale Ehrlichkeit, die Converse's Vermächtnis verkörpert. Nicht, dass sie die alleinige Besitzerin dieser Qualität wäre, aber mit einer der Hauptgründe, warum sie so oft als ihrer Zeit voraus bezeichnet wurde, war und bleibt, weil viele der Sängerinnen jener Zeit (ausser vielleicht die damaligen Jazz-Ikonen) ständig entweder untröstlich oder verliebt gewesen zu sein schienen, weil sie von praktisch nichts anderem sangen. Converse's Musik hatte sicherlich ebenfalls ihren gerechten Anteil an diesem Herzschmerz gekannt, aber sie überwand diesen Zwiespalt, indem sie sich irgendwo in der Mitte niederliess und nach Alternativen suchte. Der Grossteil ihrer Musik war ein Gefühl wehmütiger Selbstreflexion, nur manchmal trug sie die Maske der unerwiderten Liebe. "Talking 'Like (Two Tall Mountains)" sah Converse mit ihrer Einsamkeit sitzen und wagte es sich damit zufrieden zu geben. "Roving Woman" war ein ironischer Kommentar zu den männlichen Erwartungen an sie.
In einem ihrer Abschiedsbriefe schrieb Converse: "Die menschliche Gesellschaft fasziniert mich und weckt mich und erfüllt mich mit Trauer und Freude. Ich kann einfach nicht meinen Platz finden, an dem ich mich anschliessen kann". Lyrische Kontemplation darüber, wie wir uns in die Welt einklinken, versucht wohl fast jeder Künstler mit seiner Musik und seinen Songtexten. Ob es Connie Converse ist, die ihre Einsamkeit beklagt und sie schliesslich akzeptiert, ist letztlich Makulatur: Connie Converse sprach wie später viele weitere Künstler mit gnadenlos ehrlicher Offenheit über ihre Erfahrungen und verallgemeinerte das zutiefst Persönliche in ein paar melodischen Sätzen. Traurig, lieblich und sehr beeindruckend.
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