[REVIEW] SAVOY BROWN • Street Corner Talking (1971)
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[REVIEW] SAVOY BROWN • Street Corner Talking (1971)
Der Savoy Brown Gitarrist, Leader und Gründer Kim Simmonds sah sich zu Beginn des Jahres 1971 der Situation gegenüber gestellt, dass sich seine bis dato exzellent aufspielende Combo verselbständigte, weil sie geschlossen zurücktrat, um die Formation Foghat zu gründen, nachdem sie sich in schneller Folge zunächst Brandywine, anschliessend Hootch und schliesslich Foghat nannte. Dave Peverett, Tony Stevens und Roger Earl, die den Gitarristen noch auf dem vorherigen Album "Looking In" begleitet hatten, strebten eine Karriere an, die mehr im Rock'n'Roll und Boogie Rock fussen sollte, als im zuletzt eher angejazzten Bluesrock ihres Mentors Kim Simmonds. Dieser suchte sich in der Folge neue Mitstreiter und rekrutierte diese zusammen mit seinem Bruder Harry Simmonds, der auch der bereits langjährige Manager der Band war. Die erste Savoy Brown Besetzung nach diesem geschlossenen Abgang seiner gesamten Begleitband bestand danach aus dem Sänger Pete Scott und umfasste ausserdem das Bass- und Schlagzeug-Rhythmusgespann von Blodwyn Pig, das zuvor für den ehemaligen Jethro Tull Gitarristen Mick Abrahams tätig war. So bestanden Savoy Brown zum Zeitpunkt der Kompositionsphase zum späteren Album "Street Corner Talking" zunächst aus dem Sänger Pete Scott, dem Gitarristen Kim Simmonds, dem Bassisten Andy Pyle und dem Schlagzeuger Ron Berg.
In dieser Besetzung tourte die Gruppe Savoy Brown vor allem zu Beginn des Jahres 1971 in den Vereinigten Staaten, zusammen mit der Grease Band (der ehemaligen Begleitband von Joe Cocker) und Rod Stewart. Savoy Brown spielten dabei ausschliesslich als Supporting Act, nie als Headliner. Wie auch immer: Für Kim Simmonds erwies sich diese Situation als höchst unbefriedigend, wollte er doch auf jeden Fall als Haupt-Act in Erscheinung treten und nicht nur als Anheizer für berühmte Musiker und/oder Bands herhalten müssen, weshalb er diese neue Inkarnation seiner Gruppe kurze Zeit später wieder auflöste, nur um kurz darauf erneut eine neue Band zusammenzustellen, die seinen Vorstellungen in musikalischer Hinsicht besser entsprach. Vorerst behielt Simmonds nur den Bassisten Andy Pyle. Nachdem sich zeitgleich auch bei der von Stan Webb angeführten britischen Bluesrock Band Chicken Shack ähnliche Auflösungserscheinungen auftaten, die vor allem aufgrund ihres desillusionierten Chef-Gitarristen entstanden waren, kontaktierte Manager Harry Simmonds die Musiker von Chicken Shack und bot ihnen an, Probesessions mit Kim Simmonds zu spielen. Dies führte letztlich dazu, dass gleich drei Musiker von Chicken Shack zu Kim Simmonds wechselten, die sogleich das neue Fundament von Simmonds' Band Savoy Brown bildeten: Paul Raymond stieg als zweiter Gitarrist und Keyboarder bei Savoy Brown ein, Andy Silvester als Bassist (etwas später) und Dave Bidwell als Schlagzeuger.
Was nach Chris Youlden's und inzwischen auch Lonesome Dave Peverett's Abgang noch immer fehlte, war ein prägnanter Leadsänger. Dieser fand sich in der Person des ehemaligen Idle Race Sängers Dave Walker. Dieser aus Walsall in den West Midlands stammende Sänger hatte ein wesentlich differenzierteres Image als zuvor Chris Youlden und/oder Dave Peverett, welche in den Jahren zuvor als Leadsänger bei Savoy Brown in Erscheinung getreten waren. Dave Walker trug weder einen Hut, noch rauchte er Zigarre auf der Bühne wie Chris Youlden, sondern war einfach ein brillianter Performer mit einer angenehm rauchigen Stimme, und er war vor allem ein exzellenter Frontmann, der Stimmung machte und das Publikum mitzureissen verstand. Walker sang neu einstudierte Bluesklassiker wie etwa den "Wang Dang Doodle" aus der Feder von Willie Dixon mit solcher Inbrunst, als wäre es sein eigener Song gewesen. Auch der Rhythm'n'Blues-Klassiker "I Can't Get Next To You", den die Temptations populär gemacht hatten, erhielt in der Savoy Brown Version ein modernisiertes, bluesrockiges Erscheinungsbild, was vor allem Paul Raymond's exzellentem Keyboardspiel und selbstverständlich Dave Walker's genialer Vokalarbeit geschuldet war. Dabei standen Paul Raymond's Piano-Variationen in krassem Ggensatz zu jenen von Bob Hall, der einige Jahre zuvor bei Savoy Brown die Tasten gedrückt hatte und der wesentlich puristischer und blueszugewandter gespielt hatte. Paul Raymond hingegen war wesentlich mehr dem Rock zugewandt als dem Blues. Der Good Time Rock'n'Roll hielt damit definitiv Einzug in der Musik von Savoy Brown, und der puristische Blues der Anfangsjahre war weitgehend weggewischt.
Als wäre eine kontinuierlich gleichbleibende Besetzung von Savoy Brown von langer Dauer, konnte man sagen, dass dieses neue Line Up mit einer Beständigkeit von 18 Monaten tatsächlich die stabilste Besetzung in der bisherigen Bandhistorie von Savoy Brown darstellte. Die Gruppe veröffentlichte in dieser Zeit drei ihrer absolut stärksten Alben: Das 1971 veröffentlichte Werk "Street Corner Talking", sowie die beiden 1972 veröffentlichten Alben "Hellbound Train" und "Lion's Share". Obwohl sich die Band in kreativer Hinsicht in diesen knapp eineinhalb Jahren äusserst produktiv zeigte, spielte sie trotzdem auch viele Konzerte in den USA, in Kanada und in Europa. Diese drei Alben währende Phase war auch die Zeit von Neil Slaven, der Savoy Brown in dieser Zeit managte und produzierte. Er war Angestellter bei Decca/Deram Records und ein wahrer Bluesologe, also ein grosser Kenner der Blues-Musik. Neil Slaven war auch schon seit längerer Zeit ein persönlicher Freund und Unterstützer von Kim Simmonds und seiner Truppe und schrieb auch die Liner Notes zu einigen von Savoy Brown's bisherigen Alben. Mit ihm als Produzenten und persönlichem Freund gestaltete sich das Erarbeiten der neuen Songs wesentlich lockerer und ungezwungener, denn die Musiker und er verstanden sich grossartig und in erster Linie als Freunde und nicht wie Schützlinge und deren Produzent, der das letzte Wort in allem hat.
Die Arbeiten am Album "Street Corner Talking" erhielten dann noch eine nicht ganz geplante Verzögerung, weil sich der Bassist Andy Pyle aus der Band verabschiedete und für ihn der ehemalige Chicken Shack Bassist Andy Silvester in die Band kam. Danach fanden die Aufnahmen an vier aufeinanderfolgenden Nächten bei jeweils 12 Stunden Arbeitsdauer statt, und zwar in den renommierten Olympic Studios in London im September 1971. Decca Records veröffentlichte das Album in ihrer Deluxe Veröffentlichungs-Reihe, zu erkennen an den Katalognummern-Codes 'TXS', unter welcher Decca unter anderem auch Alben von den Moody Blues veröffentlichte. In den USA erschien das Album ebenfalls als Gatefold-Cover in exzellenter Aufmachung auf dem amerikanischen Decca-Pendant Parrot Records. Eine 'Street Corner'-Szene, designed von dem Maler David Anstey zierte das Cover der Platte. Sieben Songs fanden sich auf dem hervorragend produzierten und abgemischten Werk, darunter fünf eigene Songs plus zwei Covertitel. Diesmal wählten die Musiker vor allem Coversongs aus, die dem neuen Sänger Dave Walker perfekt auf den Leib geschrieben waren: Willie Dixon's "Wang Dang Doodle" und das von Norman Whitfield verfasste Stück "I Can't Get Next To You". Von den Eigenkompositionen überzeugten vor allem die Stücke, in welchen die Band den Rock'n'Roll stärker in den Fokus stellte als die bluesigen Töne, so etwa "Let It Rock", "Tell Mama", das zu einem Konzert-Dauerbrenner im Repertoire der Band bis zu Kim Simmonds' Tod und dem Ende der Savoy Brown Saga werden sollte, sowie die Nummer "Time Does Tell".
Stilistischer Ausreisser war hier der Longtrack "All I Can Do", der zwar fest im bluesigen Rock verankert war, jedoch sehr schöne Jazz-Passagen zeigte, insbesondere in der langen Instrumental-Jam. Dazu kam mit dem Titelstück "Street Corner Talking" gar eine frühe Form von Funkrock, die auf dem Album im Kontext zu den anderen Stücken eine ausserordentlich gute Figur machte. Kurzum: Das Album klang wesentlich offener, stilistisch positiver und weitaus griffiger und vor allem rockiger als der Vorgänger "Looking In", der teilweise noch recht düstere Momente aufwies. "Street Corner Talking" bedeutete in der Tat eine Rundumerneuerung in der Musik von Savoy Brown, die auch näher am kommerziellen Rock angesiedelt war als je zuvor. Dies machte sich auch in den Verkaufszahlen und insbesondere auch in den Charts-Notierungen bemerkbar: Sowohl die ausgekoppelte Single "Tell Mama" (mit dem Stück "Let It Rock" als B-Seite), als auch das Album erreichten in den USA die Billboard Charts. Für das Album erhielten Savoy Brown eine Platin-Auszeichnung und die LP konnte sich während 17 Wochen in den Billboard Charts halten. Höchste Platzierung war Platz 75 am 18. September 1971. Die Single "Tell Mama" stieg am 6. November 1971 in den Billboard Charts ein und schaffte es bis auf Platz 83. Erstaunlicherweise gelang der Band ein Erfolg in dieser Dimension in ihrer Heimat England nicht. Dies führte schliesslich sogar dazu, dass Savoy Brown ihrer Heimat endgültig den Rücken kehrten und sich definitiv in den USA niederliessen.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
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(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Street Corner Talking (1971)
Schon erstaunlich, was Kim Simmonds nach dem Fortgang seiner Mitstreiter so schnell wieder auf die Beine gestellt hat. Offensichtlich ist er das klassische Stehaufmännchen, denn dieses Album solle in sehr kurzer Zeit eingespielt worden sein. Hut ab, kann ich zu dem Ergebnis nur noch sagen.
Die Hinwendung zu rockigeren Elementen in ihrer bluesig ausgerichteten Musik tat der Band richtig gut. Dieses ist zumindestens meine Einschätzung. Denn das Album bietet ein Füllhorn bester schmissiger Songs, die abgehen wie Schmidtchen's Katze. Einige davon hast du ja auch schon bei deinen Songbeispielen aufgelistet.
Abschließend sei angemerkt, dass Umbesetzungen durchaus einen positiven Effekt haben können und dieser ist hier vollends eingetreten.
Die Hinwendung zu rockigeren Elementen in ihrer bluesig ausgerichteten Musik tat der Band richtig gut. Dieses ist zumindestens meine Einschätzung. Denn das Album bietet ein Füllhorn bester schmissiger Songs, die abgehen wie Schmidtchen's Katze. Einige davon hast du ja auch schon bei deinen Songbeispielen aufgelistet.
Abschließend sei angemerkt, dass Umbesetzungen durchaus einen positiven Effekt haben können und dieser ist hier vollends eingetreten.