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"Shake Down", die erste LP von Savoy Brown, wurde in gerade mal drei aufeinanderfolgenden Tagen in 30 Stunden gemieteter Studiozeit eingespielt. "Shake Down" war eine Kollektion zumeist weniger bekannter Coverversionen berühmter schwarzer Bluesmusiker wie B.B. King, John Lee Hooker oder Willy Dixon. Das Paradestück der LP war ihre Interpretation des Traditionals "Shake 'Em On Down" in Ueberlänge, ein schnell und hektisch gespielter Boogie, der Savoy Brown's späteren eigentümlichen Blues/Boogie-Stil vorwegnahm. Der Song hatte mit 6 Minuten Laufzeit bereits 1967 eine Ueberlänge, mit der andere Bands zu der Zeit noch nicht arbeiteten, ausser vielleicht John Mayall mit seinen Bluesbreakers. Zum Zeitpunkt der Vorbereitung zu den Aufnahmen waren die Musiker als Begleitband für John Lee Hooker unterwegs und absolvierten in dieser Eigenschaft in 21 aufeinanderfolgenden Tagen 24 Konzerte. Die Band war im Sommer 1967 längere Zeit in Dänemark unterwegs, und in dieser Zeit bekam Bandleader Kim Simmonds ein Drogenproblem, was zur Folge hatte, dass Kim's Bruder Harry Simmonds, der für die Band das Management besorgte, Kim nach der Rückkehr nach England aus der Band Savoy Brown feuerte.
Allerdings kam er schon einige Zeit später zurück in die Band, und blieb bis zu seinem Tod im vergangenen Dezember die einzige personelle Konstante. Man kann daher sagen: Kim Simmonds ist Savoy Brown. Spielten neben Simmonds in der Anfangsphase der Gruppe und auch auf deren Erstlingsalbum "Shake Down" noch die weiteren Musiker Brice Portius (Gesang), Martin Stone (Gitarre), Ray Chappell (Bass), Leo Mannings (Schlagzeug) und der bekannte Pianist Bob Hall als Gastmusiker mit, so setzte in der Uebergangsphase von ihrer ersten LP "Shake Down" 1967 zum Zweitling "Getting To The Point" von 1968 bei Savoy Brown ein Trend ein, der sich in der Zukunft wie ein roter Faden durch die Bandhistorie ziehen würde: Die Gruppe wurde von zahlreichen Personalwechseln heimgesucht, sodass sich der Musikstil von Savoy Brown in den folgenden Jahren dramatisch verändern sollte. Eine Konstante in stilbildender Hinsicht war bei Savoy Brown während ihres gesamten Bestehens daher nie auszumachen. Die Band konnte immer wieder mit neuen Besetzungen und damit einhergehend neuen musikalischen Ausrichtungen überraschen. Rein musikalisch war die Veränderung gegenüber dem Debutalbum bei "Getting To The Point" noch nicht so dramatisch. Personalpolitisch dagegen sehr.
Ray Chappell und Brice Portious waren die ersten Musiker, welche die Band verliessen. Der schwarze Sänger Brice Portious wurde ersetzt durch Chris Youlden, für Bassist Ray Chappell kam Bob Brunning, der zuvor für einige Wochen bei Fleetwood Mac beschäftigt war. Chris Youlden war zuvor bei Shakey Vick's Big City Blues Band als Sänger engagiert. Als nächstes verliess der Schlagzeuger Leo Mannings die Band und wurde ersetzt durch Hughie Flint, der zuvor bei John Mayall's Bluesbreakers und in der Band von Alexis Korner beschäftigt war. Schliesslich ging auch noch Martin Stone, der zweite Gitarrist neben Kim Simmonds. Er wurde ersetzt durch Lonesome Dave Peverett. Rivers Jobe am Bass und Roger Earl am Schlagzeug waren dann erneute Personalwechsel, und diese Wechsel gingen alle innerhalb von nur einigen Monaten von statten.
Produzent Mike Vernon arrangierte Studioaufnahmen für die Band, mit dem Ziel, die nächste LP für Decca Records einzuspielen. Mit lediglich zwei Fremdkompositionen diesmal, dafür mit sieben selbst verfassten Titeln konnte man die LP "Getting To The Point" als das Album bezeichnen, mit welchem Savoy Brown zunächst ihren eigenen Stil gefunden hatten. Die eigenen Nummern hatten aber immer noch sehr viel von den klassischen Blueskomponisten wie Willie Dixon und John Lee Hooker. "Mr. Downchild" war ein grandioser Blues, bei welchem Chris Youlden schon früh seine grosse Klasse zeigen konnte. Fast schon theatralisch und plakativ setzte er hier einen Gesangsstil ein, der die nächsten Jahre so manchen Savoy Brown-Titel prägen sollte.
Auch auf dem zweiten Album gab es wieder einen schnellen Boogie/Blues, diesmal hiess der Titel "You Need Love" und markierte einen der zahlreichen Höhepunkte dieser auf der einen Seite recht ausgereiften, aber auch immer noch sehr rohen, archaischen Platte, die aber schon eindeutig dem Begriff 'British Blues Rock' zugeordnet werden konnte, zumindest dem, was man zu dem damaligen Zeitpunkt, etwa ab Mitte 1968 unter diesem Begriff verstand. Es war die Geburtsstunde einer neuen Bewegung, die sich musikalisch an den Wurzeln des Blues orientierte. Junge Musiker, die den alten Blues für sich neu entdeckten. Bands wie Chicken Shack, Fleetwood Mac oder als Pioniere dieser neuen Spielweise des Blues Alexis Korner's Blues Incorporated förderten diese Rückbesinnung, die schliesslich viele neue Talente hervorbrachte und lange nachhallte.
Erste Bluesplatten kamen im Verlauf des Zweiten Weltkriegs durch amerikanische Soldaten nach Grossbritannien. Schon in den 50er Jahren war Blues, besonders Ma Rainey und Bessie Smith sowie Boogie Woogie, bei Jazzfans bekannt und geschätzt. Schon damals erkannten die Plattenfirmen den wachsenden Markt und veröffentlichten, meist auf Decca Records, einem Unterlabel von EMI Records, Blues- und Jazzplatten. Bekannt wurde der Blues auch durch die Skifflemusik Ende der 50er Jahre. Der Musiker Lonnie Donegan coverte Bluesnummern von Leadbelly. Als der Skiffle-Boom zurückging, wendeten sich viele Musiker dieser Stilrichtung dem reinen Blues zu. Zu diesen Musikern zählten Cyril Davies und Alexis Korner, die beide bei Chris Barber spielten. Davis gehörte der Londoner 'Skiffle Club at the Roundhouse Public House'. Hier traten die ersten amerikanischen Bluesmusiker auf, wie zum Beispiel Big Bill Broonzy. Nach diesen musikalischen Erfahrungen beschlossen die beiden, den Club zu schliessen und ihn einen Monat später als 'The London Blues And Barrelhouse Club' wieder zu eröffnen. Bisher war der British Blues vom akustischen Countryblues beeinflusst, was sich aber nach dem Auftritt von Muddy Waters 1958 änderte. Davis und Korner steckten ihre Instrumente an und gründeten die Gruppe Blues Incorporated.
Bei Blues Incorporated begann die spätere Prominenz der englischen Musikszene, es war bei der Gruppe üblich, dass jeder, der gerade Lust hatte, bei den Auftritten einsteigen konnte. Bei Blues Incorporated spielten unter anderem Mick Jagger, Charlie Watts und Brian Jones von den Rolling Stones, die späteren Mitglieder von Cream Jack Bruce und Ginger Baker sowie Graham Bond und Long John Baldry. Wenn man diese Liste von Musikern betrachtet, wird Korner's Titel 'Vater des britischen Blues' verständlich. Die Band übersiedelte später in den Marquee Club und nahm im Juni 1962 das erste britische Bluesalbum "Rhythm'n'Blues From The Marquee" mit Nummern von Muddy Waters, Jimmy Witherspoon und Leroy Carr auf, das allerdings nicht im Marquee, sondern in den Decca Studios im Londoner Stadtteil West Hampstead eingespielt wurde. Am Jahresanfang 1963 verliess Cyril Davis Blues Incorporated und gründete seine eigene Band, die mehr in Richtung Jazz tendierte (Cyril Davis' All Stars). Die Tradition des elektrischen Blues führten dann Bands wie The Rolling Stones, The Yardbirds, The Animals, Fleetwood Mac, Cream und auch Savoy Brown fort. Diesen gelang dann auch der Durchbruch in den Mainstream-Markt.
Der akustische Blues führte im Gefolge des grossen Bluesbooms in den 60er Jahren ein Schattendasein und konnte nie kommerziell so erfolgreich werden wie die elektrischen Gruppen. Die bedeutendste Persönlichkeit des britischen Blues in den 60er Jahren war John Mayall, dessen Band The Bluesbreakers die wichtigsten englischen Musiker versammelte: Eric Clapton, Mick Taylor, Aynsley Dunbar, Jack Bruce, Mick Fleetwood, John McVie und Peter Green. Obwohl die Bluesmusik in den späten 60er Jahren hinter Bluesrock und Heavy Metal, zwei Stilrichtungen, die sich aus dem British Blues entwickelten, verschwand, blieb sie doch am Leben, da viele amerikanische Bluesmusiker regelmässig nach Grossbritannien kamen. Mitte der 80er Jahre bekam der Blues wieder einen grösseren Stellenwert, ausgelöst wurde der zweite Bluesboom durch The Blues Band, einer Gruppe, die aus vielen ehemaligen Musikern von Manfred Mann bestand, wie Paul Jones, Tom McGuinness, Hughie Flint und Gary Fletcher. Hughie Flint spielte für ganz kurze Zeit ja auch bei Savoy Brown in deren Phase des "Getting To The Point" Albums. Der akustische Blues wurde von den Geschwistern Dave Kelly und Jo Ann Kelly hochgehalten. Dave war später auch Teil der Blues Band. Der Bluesboom führte auch zur Entstehung von Bluesfestivals im ganzen Land.
Zurück zur 68er Platte "Getting To The Point": Noch während der Aufnahmen verabschiedete sich der Schlagzeuger Hughie Flint, und für ihn stieg neu Roger Earl in der Band ein. Produziert wurde die Platte vom damals sehr angesehenen Mike Vernon, der auch mit Fleetwood Mac zusammenarbeitete, nebst vielen anderen Vertretern des 'British Blues Boom'. Mit dem bereits beim Debutalbum eingesetzten Gast-Pianisten Bob Hall, der kurz darauf bei der Brunning Sunflower Blues Band einstieg, spielten Kim Simmonds und seine neuen Mitmusiker insgesamt neun Songs ein, die eine klare Weiterentwicklung gegenüber dem Debutalbum sichtbar machten. Der Blues wurde zum Bluesrock, durch das Schreiben eigener Songs erhielten die Nummern einen wesentlich weniger traditionellen Touch, sondern klangen stark modernisiert. Vor allem die Titel, welche Gitarrist Kim Simmonds zusammen mit dem neuen Sänger Chris Youlden geschrieben hatte, waren im damaligen Sinne durchaus als progressiv zu bezeichnen. Das bereits erwähnte "Mr. Downchild", aber auch das monotone, leicht theatralisch wirkende "Flood In Houston", welches das Album eröffnete, war neu in seiner Ausrichtung und klang nun doch anders als die Musik der grossen Meister aus den Vereinigten Staaten. Das rein instrumental gehaltene Titelstück, das Kim Simmonds beim gefühlvollen Solieren zeigte, oder auch die von Bob Hall zusammen mit Chris Youlden komponierte Klaviernummer "Big City Lights", die ausser Piano- nur noch Gitarrenklänge zeigte, konnte überzeugen. Schliesslich ist auch "Honey Bee" von Muddy Waters einer der Highlights auf "Getting To The Point", das genauso wie "Big City Lights" nur mit einem minimalistischen instrumentalen Arrangement auskam und so den Spirit der grossen Vorbilder zumindest teilweise noch zu transportieren vermochte.
Das "Rolling Stone Magazine" schrieb zur Veröffentlichung über diese bemerkenswerte British Blues Platte damals folgendes: "Savoy Brown does not come on with complex technical artistry and does not attempt to overplay its music. Its strength lies in its group rapport and dynamics. Vocalist Chris Youlden is one of the better blues singers to emerge from England. His voice has the resonance and inflection so necessary to establish the power and emotion which is the Blues". Ich persönlich erachte die "Getting To The Point" als Savoy Brown's innovativen Startschuss, nachdem der Erstling "Shake Down" noch eine sehr traditionelle Verbeugung vor den alten Blues Meistern darstellte, wenngleich auch eine absolut Hervorragende, welche den frühen Fleetwood Mac und Chicken Shack Arbeiten sogar noch voraus ging (!).
[REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
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[REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
Sehr informativ und flüssig/süffig geschrieben
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
Honey Bee ist so ein Stück wo ich merke, dass mir die Antenne für Blues fehlt.
You need love läuft mir da schon anders rein.
Immerhin steht hier die Hellbound Train.
Da muss ich bei Gelegenheit mal anknüpfen "Getting To The Point" scheint mir da eine gute Ergänzung zu sein.
Danke für die fundierte Einführung.
You need love läuft mir da schon anders rein.
Immerhin steht hier die Hellbound Train.
Da muss ich bei Gelegenheit mal anknüpfen "Getting To The Point" scheint mir da eine gute Ergänzung zu sein.
Danke für die fundierte Einführung.
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
Welch umfassende und zugleich gelungene Einführung in die Welt der Band Savoy Brown. Sicherlich gehörten sie zu den wichtigen Wegbegleitern des Bluesbooms der 60er in England, verweilten aber ähnlich wie Chicken Shack oder Groundhogs in der zweiten Reihe. Diese Poleposition nahmen Fleetwood Mac oder John Mayall und seine Mitstreiter ein. Aber bekanntlich wurden auch aus der sogenannten zweiten Reihe heraus großartige Bluesplatten eingespielt. Und die Alben "Shake Down" und "Getting The Point" zählen auf jeden Fall dazu.
Interessant ist sicherlich auch der musikalische Sprung vom Debüt zum Folgealbum "Getting The Point". Weg von den zahlreichen Coverversionen und hin zu mehr Eigenständigkeit, sprich eigenen Kompositionen. Auch der Wechsel in der Gesangsposition mit Chris Youlden zahlte sich aus. Auch wenn mir das Debüt schon sehr gut gefallen hat, haben sie mit ihrem Folgealbum ein ganz anderes Päckchen geschnürrt. Die erarbeiteten Songs wirkten kompakter und aussagekräftiger und sind bis heute ein leuchtendes Beispiels für den Bluesrock der 60er.
Und wäre Kim Simmonds nicht im letzten Jahr verstorben, würde es diese Urgesteine vermutlich noch immer geben. Auch wenn sich die musikalischen Schwerpunkte im Verlauf der letzten 50 Jahre mehrfach verändert haben, Savoy Brown waren die treuen Gefährten, die die Bluesfahne immer hochgehalten haben. Hut ab sage ich dazu.
Interessant ist sicherlich auch der musikalische Sprung vom Debüt zum Folgealbum "Getting The Point". Weg von den zahlreichen Coverversionen und hin zu mehr Eigenständigkeit, sprich eigenen Kompositionen. Auch der Wechsel in der Gesangsposition mit Chris Youlden zahlte sich aus. Auch wenn mir das Debüt schon sehr gut gefallen hat, haben sie mit ihrem Folgealbum ein ganz anderes Päckchen geschnürrt. Die erarbeiteten Songs wirkten kompakter und aussagekräftiger und sind bis heute ein leuchtendes Beispiels für den Bluesrock der 60er.
Und wäre Kim Simmonds nicht im letzten Jahr verstorben, würde es diese Urgesteine vermutlich noch immer geben. Auch wenn sich die musikalischen Schwerpunkte im Verlauf der letzten 50 Jahre mehrfach verändert haben, Savoy Brown waren die treuen Gefährten, die die Bluesfahne immer hochgehalten haben. Hut ab sage ich dazu.
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
Dann spinnen wir die Geschichte doch einfach weiter...
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Getting To The Point (1968)
Bis zum Jahre 2020 wirst du dann ja noch einiges an Futter nachführen.