[REVIEW] Jeremy Spencer & The Children • Jeremy Spencer & The Children (1972)
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[REVIEW] Jeremy Spencer & The Children • Jeremy Spencer & The Children (1972)
Wer bei den Stichworten "Beatles-Klau", "Wishbone Ash-Kopie", "Fleetwood Mac-Zitate" und "Sekte" schon genügend die Nase rümpft, der sollte hier vielleicht besser gar nicht weiterlesen. Folgt man den damaligen Stimmen der Kritiker, so war diese LP nämlich so unnötig wie ein Kropf. Stellt sich die Frage, warum ein Querdenker wie ich dann darauf kommt, es könne sich bei dieser Scheibe um ein alternatives Meisterwerk handeln ? Dazu muss man einige Eckdaten aus der Biographie von Jeremy Spencer kennen, und man muss auch ein bisschen die Zeit erlebt haben, als diese Platte 1972 erschienen war und alles andere als hohe Wellen schlug. Jeremy Spencer, am 4. Juli 1948 in Hartlepool (England) geboren, ist eines der Gründungsmitglieder der ursprünglichen Blues Band Fleetwood Mac. Entdeckt wurde er von Produzent und Musiker Mike Vernon bei einem Auftritt mit seiner Band, den The Levi Set Blues, in Birmingham. Obschon Vernon keine Zukunft für den Rest der Band sah, war er von Spencers Slidegitarrenspiel äusserst beeindruckt: "Jeremy really blew me away". Jeremy war eher klein, mit schwarzen lockigen Haaren, nicht anders als Peter Green, und spielte Slide mit einer grossen halbakustischen Gitarre. Vernon, der wusste, dass Peter Green einen Gitarristen für seine Band suchte, arrangierte ein Treffen der beiden. Bald danach fingen sie an, zusammen mit dem Schlagzeuger Mick Fleetwood und dem Bassisten Bob Brunning zu proben. Jeremy Spencer war erst 18 Jahre alt, als er bei Fleetwood Mac - wie sich die Band später nannte - einstieg.
Spencers Beitrag zur Band bestand aus Coverversionen von Bluestiteln des legendären Elmore James. Er imitierte Elmore James so perfekt an der Gitarre, dass Mick Fleetwood einmal sagte: "Jeremy ist wie ein Chamäleon, im besten Sinne des Wortes natürlich". Die Fähigkeit Spencers, Rock'n'Roll-Grössen wie Elvis, Little Richard oder Buddy Holly nachzuahmen, brachte die Band dazu, Parodien von bekannten Popsongs aus den fünfziger Jahren zu spielen. Trotz seiner unterhaltenden Parodien war Spencer ein Musiker, dem es nicht unbedingt lag, eigene Songs zu schreiben, was er immer abgelehnt hatte. Im Januar 1970, nach der Veröffentlichung der LP "Then Play On", zu der Spencer lediglich eine kleine Klavier-Passage ("Oh Well Part Two") beisteuerte, veröffentlichte er ein Soloalbum mit Rock'n'Roll-Satire, auf dem er von Rockabilly über Boogie, Elvis Presley bis hin zu Pink Floyd alles parodierte. Das Album wurde zusammen mit den anderen Fleetwood Mac-Mitgliedern eingespielt. Es gab sogar ein Gespräch zwischen Peter Green und Spencer, zusammen eine epische Platte mit religiösen Themen aufzunehmen, aber dazu kam er nie.
Nachdem Peter Green Fleetwood Mac im Mai 1970 verlassen hatte, nahm Jeremy noch eine letzte Platte ("Kiln House") mit der Band auf. Er war mit seiner (und Danny Kirwans) Aufgabe, das Loch zu füllen, das Peter Green hinterlassen hatte, recht unzufrieden. "Alles, was ich spielen kann, ist Rock'n'Roll. Peter war ein entwickelter Musiker. Ich könnte nicht das Material liefern, das die Leute jetzt von uns erwarten." Zwei Wochen später, bei ihrer Tour zur Präsentation des Albums, verschwand Jeremy Spencer in Los Angeles. Er hatte das Hotel um drei Uhr nachmittags verlassen, um eine Buchhandlung auf dem Hollywood Boulevard zu besuchen. Auf dem Weg dorthin wurde er auf der Strasse von einem Mitglied der religiösen Sekte "Kinder Gottes" angesprochen. Da er am Abend des Konzertes nicht auftauchte, wurde die Polizei eingeschaltet. Fünf sorgenerfüllte Tage später liess sich Jeremy's Spur bis zum Hauptquartier der Sekte "Kinder Gottes", einem Lagerhaus im Stadtzentrum von Los Angeles, verfolgen. Um Spencer sehen zu können, musste sein Manager Clifford Davis eine Geschichte über eine ernsthafte Krankheit von Jeremy's Frau Fiona erfinden. Laut der Aussage eines Roadies von Fleetwood Mac, der mit dabei war, ging Spencer benommen herum wie ein Zombie, ganz als hätte man ihn einer Gehirnwäsche unterzogen. "Es tat mir innerlich weh, ihn so zu sehen. Sein Kopf war rasiert und er antwortete jetzt auf den biblischen Namen Jonathan". Davis und Spencer unterhielten sich drei Stunden lang, während Mitglieder des Kultes Jeremy's Arme rieben und wiederholt "Jesus liebt dich" sangen. Ganz wie Peter Green fühlte sich auch Jeremy der ganzen Verehrung unwürdig, die er mit der Band erhalten hatte. Ironischerweise baten die restlichen Bandmitglieder Peter Green, für Jeremy einzuspringen, was dieser auch tat.
Dass Jeremy Spencer sein Seelenheil in der Sekte der "Children Of God" fand, bewies er im Frühjahr 1973, als er zusammen mit Mitgliedern der Sekte, die allesamt sehr gute Musiker waren, eine neue Platte präsentierte, mit der keiner überhaupt gerechnet hatte. Spencer's Fähigkeit, sich musikalisch wie ein Chamäleon jeglicher Situation anzupassen, führte zu einem Werk, das man im weitesten Sinne als Folk Rock bezeichnen kann, das jedoch auch stark geprägt ist von den Soli, die Spencer schon zu Zeiten bei Fleetwood Mac populär machten. Grundsätzlich klingt die LP "Jeremy Spencer & The Children" wie ein Amalgam aus den mehrstimmigen Popsongs der Beatles und dem klassischen sogenannten "Twin Guitar" Sound der Gruppe Wishbone Ash. Das Songwriting war klar auf Jeremy Spencer's Gitarrenkünste ausgelegt, obschon die allermeisten Songs nicht aus seiner Feder stammten, sondern Kompositionen sind, welche hauptsächlich die Mitglieder der Sekte lieferten, inklusive natürlich der relativ stark missionarischen Songtexten. Wer allerdings über diese sektiererische Note hinwegschauen kann, der kriegt ein wundervolles, lockeres Hippiealbum zu hören, das zu der Zeit wohl stark antiquiert wirkte, denn die Blümchen in den Haaren der Hippies waren längst verwelkt, aber entgegen irgendeines nostalgischen Gedankens wirkte die Musik doch sehr zeitgemäss und wäre, wenn die religiösen Texte nicht gewesen wären, durchaus auch als ansprechende Folk Rock Platte durchgegangen.
Schon bei der mit einer unwiderstehlich im Ohr hängen bleibenden Hookline ausgetatteten Eröffnungsnummer "Can You Hear The Song", die auch als Single erschienen war, konnte man die typischen Beatles-Gesangsarrangements heraushören. Der Song selber war extrem hörerfreundlich, ein Pop der allerbesten Sorte. Aber auch die weiteren Stücke wie etwa "Let's Get On The Ball", "The Prophet" oder das unverschämt schöne "The World In Her Heart", das als Single B-Seite ausgesucht worden war, bot diese typisch beatleske Grundstimmung, dem wie bei fast allen Songs dieser typische, an Wishbone Ash erinnernde doppelstimmige Gitarrensound beigefügt wurde. Nicht wenige Songs klingen daher fast wie unveröffentlichte Wishbone Ash Songs aus jener Zeit. Der absolute Ueberflieger auf dem Album ist jedoch der Titel "War Horse", der perfekt auf die "Then Play On" Platte von Fleetwood Mac gepasst hätte. Ein langer, vorwärts treibender Folk Rock mit Betonung auf Rock, der Jeremy Spencer als hervorragenden Bluesgitarristen präsentiert. Im dieses tolle Album beschliessenden "I Believe In Jesus" tat Spencer noch einmal auf eindrückliche Weise seine Ueberzeugung kund, mit dem Beitritt zu den Kindern Gottes den für ihn richtigen Schritt im Leben gegangen zu sein.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] Jeremy Spencer & The Children • Jeremy Spencer & The Children (1972)
Die Background Geschichte des begnateten Fleetwood Mac Slidegitarristen Jeremy Spencer war mir bekannt. Trotzdem fragt man sich heute, wie ein talentierter Musiker und Gitarrist derart neben die Spur geraten und seine Erfüllung in einer Sekte finden konnte. Da muss sich sein Lebensgefühl aber schon erheblich neben der Spur befunden haben.
Lange Rede kurzer Sinn: Jeremy Spencer war ein Gitarrist, der auf den unterschiedlichsten Spielarten unterwegs war und letztlich auch den Erschaffenden in pures Staunen versetzen konnte. Somit darf er sich durchaus zu den Großen des Genres dazuzählen, auch wenn das Schreiben eigener Songs nicht unbedingt sein Ding war.
Aber diese Platte ist einfach nur gut. Sekte hin oder her, die Jungs konnten spielen. Ich bin erneut dankbar für deine Rezi und habe mir die CD soeben bestellt.
Lange Rede kurzer Sinn: Jeremy Spencer war ein Gitarrist, der auf den unterschiedlichsten Spielarten unterwegs war und letztlich auch den Erschaffenden in pures Staunen versetzen konnte. Somit darf er sich durchaus zu den Großen des Genres dazuzählen, auch wenn das Schreiben eigener Songs nicht unbedingt sein Ding war.
Aber diese Platte ist einfach nur gut. Sekte hin oder her, die Jungs konnten spielen. Ich bin erneut dankbar für deine Rezi und habe mir die CD soeben bestellt.