[REVIEW] Blodwyn Pig "Getting To This" (1970)

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Louder Than Hell
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[REVIEW] Blodwyn Pig "Getting To This" (1970)

Beitrag von Louder Than Hell »

Blodwyn Pig "Getting To This" -1970-

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Es ist immer problematisch, wenn sich zwei Alphatiere innerhalb einer Band befinden, die sich über die Ausrichtung der künftigen musikalischen Gestaltung ihrer Gruppe in die Haare bekommen. So geschehen bei Jethro Tull, also hieß es Abschiednehmen und Mick Abraham gründete eine neue Band namens "Blodwyn Pig". Trotzdem sollte der musikalische Einfluss von Mick Abraham bei den Aufnahmen von "This was" keinesfalls unterschlagen werden, denn er war letztlich erheblich. Eine derartige bluesige Ausrichtung hatten Jethro Tull danach nicht mehr.

Trotzdem fiel der Gute in kein Loch und paarte mit den Herren Andy Pyle, Ron Berg und Jack Lancaster fähige und innovative Musiker um sich. Heraus kam eine Melange aus bluesigen Rock, die sich mit progigen Jazzelementen verknüpfte. Wem die erste Einspielung "Ahead Rings Out" aus dem Jahre 1969 zusagte, wird geradezu erfreut über die Entwicklung ihrer zweiten Einspielung "Getting To This" gewesen sein. Noch flüssiger, einfühlender hatte die Band ihren eigenen Musikstil verfeinert, auf der jeder der Musiker seine Duftnoten setzen "durfte". Vielleicht ist es der Einfluss der "Westcoast-Music", der diese Einspielung so fluffig wie eine perfektes "Souffle" werden ließ. Und gerade diese Einzigkeit, dieses Feeling der eingespielten Musikstücke der zweiten Platte hatte man in der damaligen Zeit bei amerikanischen Bands dieses Genre vorgefunden, weniger in Europa. Die walisische Gruppe "Man" fällt mir in diesem Zusammenhang spontan als Ausnahme ein.

Das Album:

„Drive Me“ eröffnet schwungvoll das Album und bewegt sich in einem dahin strömenden Rhythm & Blues Fahrwasser. Die tragende Säule ist hier sicherlich das Saxophonspiel von Jack Lancaster, der immer wieder Fixpunkte zusetzen vermag. Auch die rauchige Stimme von Mick Abraham rundet das Gesamtgeschehen ab. Es ist ein perfekter Opener, der den Hörer gleich mit auf die Reise nimmt.

Das folgende Stück „Variation On Nanos“ beginnt wesentlich verhaltener und versprüht einen gewissen psychedelischen Touch, wie er typisch für diese Zeitepoche war. Jack Lancaster ist hier wieder der Musiker, der das Farbenspiel des Stückes dominiert, hier allerdings mit seiner Querflöte. Eine gewisse Nähe zu Jethro Tull ist nicht von der Hand zu weisen. Auch das Slidespiel schimmert von Mick Abraham bisweilen wohltuend hervor.

Der dritte Song „See My Way“ startet fragil und einschmeichelnd, um sich rasch in seiner Intensität zu steigern und zeigt auf, dass Mick sowohl in den leisen als auch kraftvollen Passagen songdienlich seinen Gesang einbringen kann. Auch das anschließende auf Augenhöhe ausgetragene Duell zwischen Saxophon und Gitarre ist ein weiterer Höhepunkt dieses Musikstücks, gefolgt von einer längeren Gitarrenpassage. Man kehrt nochmals zum verhaltenen ruhigen Eingangsthema zurück, um nochmals das beschriebene Sax- und Gitarrenduell als Abschluss einzuweben. Für mich es ist einer der Favoriten des Albums.

Der „Long Bomb Blues“ bietet den anderen Mitspielern der Band Zeit zum Verweilen, denn auf dem kleinen Zwischenstück agiert lediglich Mick auf seiner Slidegitarre und singt dazu.

Der fünfte Song „Squirrling Must Go On“ ist ein im Midtempo treibender Song, der von dem sich immer steigernden Gitarrenspiel Micks dominiert wird. Faktisch eine wahre Spielwiese zum Austoben, zudem bildet hier die Rhythmussektion eine gesunde Basis zum Gelingen dieses druckvollen Songs.

Kernstück des Albums ist der achtminütge Longtrack „San Francicso Sketches“, der eine musikalische Nähe zu Jethro Tull offenbart. Es gliedert sich in insgesamt vier unterschiedlichen Abschnitten. Eingeläutet wird es durch das feinfühlige Querflötenspiel von Jack Lancaster, folgend von Micks bisweilen ruppigen und zugleich jazzigen Solo. Dem schließen sich ruhige Harmoniegesänge an, die bei spürbar steigerndem Tempo von Micks Gitarre unterfüttert werden, der sich hier fordernd in den Mittelpunkt rückt. Abschließend schließt sich eine jazzige Passage an, die aufzeigt, welch gefühlvoller Saxophonspieler Jack Lancaster ist.

Das 7. Stück „Worry“ beweist, dass die Band auch hart rocken kann. Ron Berg und Andy Pile bieten hier gleichermaßen den Teppich für den Fluss des Stückes mit all seinen Tempowechseln. Besondere Duftmarken setzten Mick und Jack mit ihren kurzen aber feinen Solis.

Beim folgenden „Toys“ rückt Mick wieder in den Mittelpunkt. Neben dem Gesang ist hier die Akustikgitarre sein Begleiter. Insgesamt ist es ein sehr verhaltenes Musikstück.

Der vorletzte Track „To Rassman“ ist zugleich auch das kürzeste Stück des Albums und muss in seiner Reggaedarbietung als Gimmicksong mit Humorcharakter angesehen werden.

„Send Your Son To Die“ rundet das Album ab und zeigt nochmals die leicht jazzrockige Ausrichtung der Band auf. Abermals glänzen Mick und Jack mit kurzen und zugleich markanten Solis, unterstützt durch eine glänzend aufgelegte Rhythmussektion. Textlich werden mahnenden Worte in Richtung der USA hinsichtlich des herrschenden Vietnamkrieges gesandt.

Fazit:

Leider war die schöne Zeit nach diesen beiden Einspielungen bereits vorbei. Trotzdem haben die Mannen um Mick Abrahams etwas erschaffen, wozu andere Bands viele Jahre und zum Teil diverse Einspielungen benötigen, nämlich etwas Eigenes zu erschaffen, etwas zu kreieren, was andere in dieser dargebotenen Form noch nicht getan haben. Und dieses ist sicherlich auch einer der Gründe, warum die Musik von "Blodwyn Pig" nicht in Vergessenheit geraten ist. Wer sich von dieser Musik nicht infizieren lässt, dem ist in meinen Augen auch nicht zu helfen.

Musiker:

Mick Abrahams: Guitar, Vocals, 7 String Slide Guitar
Jack Lancaster: Flue, Violin, Tenor, Baritone, Soprano Sax, Brass Arrangements
Andy Pyle: Electric Bass, Six-String Bass
Ron Berg: Drums
Graham Waller: Piano ("Drive Me", "Beach Scape")

Songs:

01 Drive Me – 3:19 (Abrahams)
02 Variations on Nainos – 3:47 (Abrahams)
03 See My Way – 5:04 (Abrahams)
04 Long Bomb Blues – 1:07 (Abrahams)
05 The Squirreling Must Go On – 4:22 (Abrahams/Pyle)
06 San Francisco Sketches – 8:11 (Lancaster)
a) Beach Scape
b) Fisherman's Wharf
c) Telegraph Hill
d) Close the Door, I'm Falling Out of the Room
07 Worry – 3:43 (Pyle)
08 Toys – 3:03 (Abrahams)
09 To Rassman – 1:29 (Berg)
10 Send Your Son to Die – 4:25 (Abrahams)

Songbeispiele:









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BRAIN
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Re: [REVIEW] Blodwyn Pig "Getting To This" (1970)

Beitrag von BRAIN »

Die Scheibe fehlt mir noch, danke für den exzellent geschriebenen Reminder. :yes:
Die Songbeispiele gehen mir sofort ins Ohr, sehr guter Heavy-Psych-Prog mit Sax, Flöten, Schlagzeugbreak und galoppierendem Bass.
Dieses Ensemble beherrschte perfekt ihre Instrumente.
Ein paar satte Gitarren und Fuzz hätten mich vielleicht noch glücklicher gemacht, aber ich kenne ja nur die Clips hier.
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Beatnik
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Re: [REVIEW] Blodwyn Pig "Getting To This" (1970)

Beitrag von Beatnik »

Fein geschrieben! Ich fand von Blodwyn Pig immer diese Gegenüberstellung von Blues und Jazz einzigartig. So in sich stimmig haben das nur wenige Bands hingekriegt. Entweder dominierte der Blues, oder dann eben der Jazz. Savoy Brown hatten etwa zeitgleich auch mit diesen beiden Stilen experimentiert. Dies gelang dort auch ziemlich gut, und auch nur über ein einziges Album ("Raw Sienna"), doch auch dort waren die beiden Musikstile nicht so gekonnt zusammengewoben worden wie bei Blodwyn Pig. Es ist eigentlich schade, hat sich Mick Abrahams danach umorientiert und sich wieder verstärkt dem Blues zugewandt.

Interessant ist, dass Andy Pyle nach einem kurzen Gastspiel bei Juicy Lucy auch bei Savoy Brown landete, ohne dort jedoch über mehr als einen Bassisten-Job hinauszukommen. Ebenso Ron Berg, der mit ihm zog und bei Juicy Lucy und Savoy Brown immerhin exzellente Schlagzeug-Akzente setzen konnte. Bei ihm machte sich der Swing in seinem Trommelspiel definitiv auf der Savoy Brown LP "Jack The Toad" bemerkbar.

Mick Abrahams erstes Soloalbum, das er 1971 veröffentlichte, war wieder stärker dem Blues zugewandt, aber noch immer sehr interessant. Danach jedoch verlor seine Musik zunehmends an Gehalt, und als er in den 90er Jahren Blodwyn Pig reaktivierte, war die Gruppe nur noch eine unter vielen, die versuchten, den alten Schwung von damals noch einmal aufleben zu lassen. War aber dann nicht mehr meins. Die beiden Blodwyn Pig Alben jedoch sind einmalig gut. :yes:
Es müssen nicht immer neue Wege sein.
Man kann auch alte neu entdecken.

Das Leben ist zu kurz für Fragezeichen.

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nixe
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Re: [REVIEW] Blodwyn Pig "Getting To This" (1970)

Beitrag von nixe »

Gesehen im beatclub & begeistert gewesen!
Die ist auf alle Fälle besser als das Debut. Ansonsten bin ich aber der Tull Fan!
Tschüß
nixe

Musik hat die Fähigkeit uns geistig, körperlich & emotional zu beeinflussen!

!!!I like Prog!!!

!!!Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten!!!
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