[REVIEW] Lotus • Fruitage (1997)

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Beatnik
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[REVIEW] Lotus • Fruitage (1997)

Beitrag von Beatnik »

Man würde heute dieses tolle Schwedische Hardrock Trio vermutlich in der Stoner Rock Ecke platzieren. 1997 befindet sich dieser Musikstil jedoch noch in seinen Kinderschuhen, weswegen Lotus folgerichtig zu den sogenannten Hard Psychedelic Rock Bands zählen, die sich am bleischweren Hardrock der frühen 70er Jahre orientieren. Lotus klingen dabei wie ein Gemisch aus Leslie West's Mountain und der Band Stray, jedoch mit einer gehörigen Portion hartem Funk mit bei. Tonnenschwer wie Black Sabbath, aber tief in den Blueswurzeln wie Mountain knarzt sich das Trio durch zehn tiefdröhnende Titel, die sich oft an der Grenze zum Zeitlupen-Rock bewegen, durch ihre powervolle Bauch-Tiefe aber jederzeit wachrütteln. Der Gitarrist und Sänger Niklas Börjesson, der Bassist Tomas Modig und der Schlagzeuger Hans Eriksson wandeln stilsicher auf den Pfaden des frühen 70er Hardrock, und auch ihr Outfit, das sehr sympathisch und hoffnungslos gestrig aus psychedelischen Rüschenhemden, Flokati-Mänteln und Blumenhosen besteht, zeigt ihre Verbundenheit mit der Aera des Underground Rocks von Anfang der 70er Jahre.

Das Trio erregt erstmals Aufmerksamkeit, als es für eine EP mit dem Titel "A Taster For The Big One" den Thin Lizzy-Gitarristen Brian Robertson verpflichetet. Mit diesem prominenten Namen im Gepäck wird die Rockwelt relativ schnell auf das Trio aufmerksam. Die Band veröffentlicht insgesamt drei Platten, die allesamt auch international vermarktet werden. Lotus spielen an vielen Open Airs und auch ihre Konzertreisen unter eigener Flagge sind stets gut besucht und führten dazu, dass sich die Gruppe bald schon eine relativ grosse Fangemeinde aufbauen kann. "Fruitage" ist das zweite Album der Gruppe, die zuvor mit dem Erstlingswerk "Taster" noch wesentlich progressiver agiert. Anfangs sind eher Bands wie Iron Butterfly, Cactus oder frühe Deep Purple der Hauptfokus der Gruppe, die sich da noch stärker an den ausgehenden 60er Jahren orientiert. Mit "Fruitage" geht die Band vorwärts in Richtung Anfang 70er Jahre. Die damit verbundene stärker gewordene Elektrifizierung und auch der Anteil an Doom-Elementen, wie sie beispielsweise auch Black Sabbath von Anfang an verwendeten, macht den Sound von Lotus insgesamt wesentlich härter, dreckiger und bedrohlicher. Das zweite Album "Fruitage" ist dann aber trotzdem eine Ueberraschung, weil die Gruppe hier sich eher am Songwriting etwa von Leslie West orientiert und nicht nur akustische Drohkulisse spielt. Bärenstarke Gitarrensounds, die den Gegenpol bilden zu den aus der Feder von Felix Pappalardi stammenden Rockballaden mit leicht mystischem Flair: So in etwa kann man das zweite Album von Lotus umschreiben. Allerdings wie eingangs bereits erwähnt, noch mit einem kleinen Schuss hartem Funk.

Alle Songs stammen aus der Feder des Trios, sind gemeinsam konzipiert und arrangiert worden, und da und dort gibt es kleinere Gastauftritte etwa von Börje Olofsson, der mit seinen Congas den leichten Funky-Touch in die bleischweren Gitarren-Songs hinein bringt, oder Anders Rimpi, der mit seiner Flöte im Song "Fruitful & Beautiful World" für wunderbare psychedelische und ein bisschen folkig-vernebelte Momente sorgt, die sich wohltuend vom harten Rock der anderen Songs abheben. Die ganze Platte wird in der ersten Woche im Februar 1997 im J&M Studio in Mölnlycke eingespielt, von Martin Kronlund und Stefan Elmgren. Ihre fette Produktion macht die Platte zu einem hervorragenden Hardrock Dokument zu einer Zeit und in einem Land, da der bleischwere Rock alles andere als hip ist. Vielleicht kann sich die Band deshalb so eine grosse Fanbase schaffen, weil sie sich an einem Sound orientiert, der zu diesem Zeitpunkt so hoffnungslos out of fashion wie originell klingt. Heute veröffentlicht, würde diese Platte auf jeden Fall ziemlich grosse Aufmerksamkeit erhalten, denn heute hat sich diese Spielart des Rock in ihrer eigenen, längst etablierten Schublade bequem eingerichtet.

Niklas Börjesson sagte einmal in einem Interview, dass die Idee eines klassischen Rocktrios von Anfang an geplant war, und dass auch eine Gruppe wie beispielsweise Cream zum Zeitpunkt der Bandgründung Pate stand: "I've always liked the idea of being only three people playing together. There's enough space for everyone in the band to fill out, and you also get a certain kind of energy out of a trio". Das Bemerkenswerte dabei ist, dass sich die Band dann an Konzerten nicht wie ein Trio anhört, sondern wesentlich fülliger und satter, als müssten da mindestens zwei weitere Musiker auf der Bühne stehen. Diese klassische Triobesetzung macht auch letztlich den Reiz dieser Musik aus: Wie Börjesson erklärt, kommen dabei alle drei Bandmitglieder zu ihren Freiräumen, in welchen sie sie sich entfalten können, was besonders in längeren Jams bei Triobesetzung natürlich vor allem der Gitarrist ist. Doch dank dem sehr intelligenten und äusserst perkussiven Schlagzeugspiel von Hans Eriksson und dem weite Melodiebögen präsentierenden Bassisten Tomas Modig, der sehr oft nicht nur ein geerdetes Bassfundament liefert, sondern auch Melodieen spielt, wirkt der Sound der Band üppig und dicht.

Was auf "Fruitage" an Power losgelassen wird, ist für mich als knochentrockener Hardrock zu bezeichnen. Die heute gängige Bezeichnung Stoner Rock passt meiner Meinung nach aber nicht zum Sound von Lotus, dafür spielt dieses Trio zu differenziert und vielfältig. Die Bezeichnung Stoner Rock wird dem Album daher letztlich nicht gerecht. Was eine gewisse Nähe zu dieser Musikart hingegen schon symbolisiert, ist der Umstand, dass viele der Songs auf diesem Album instrumental gehalten sind, was im Bereich Hardrock dann doch wieder eher ungewöhnlich, im Stoner Bereich aber durchaus Usus ist. Lotus sind auch keine typischen Rock-Protagonisten, sie dreschen sich roh, ungehobelt und perfid dröhnend durch die 41 Minuten Spielzeit des Albums ohne anbiedernde Superstar-Saitenakrobatik. "Fruitage" ist ein Album, das sich letztlich nicht kategorisieren lässt. Der Hörer bekommt knallharten Rock serviert, der so einige Elemente aus dem Funk bereithält, dazu tolle Gitarrenläufe ohne diese peinlichen 'Ich-bin-der-Schnellste'-Ergüsse - und manchmal, da beginnt man instinktiv mit dem Head zu bangen, allerdings weitgehend in Zeitlupe. Gefällt mir jedesmal, wenn ich mir die Platte auflege, wieder wie beim ersten Anhören damals.

Das Coverdesign, ein Werk des bekannten italienischen Malers der Spätrenaissance Giuseppe Arcimboldo, passt einerseits zum Titel der Platte, aber auch zum musikalischen Inhalt, der mehr als einmal eine vegetarische Grundausrichtung der Musiker (gewollt ?) verrät: Einige Titel des Album erhalten Namen wie zum Beispiel "Psychedelic Salad", "Green Power", "Rhubarb City", "Avocado Eldorado", "Pink Heaven", "Banana Head", "Tangerine", "Fruitage" oder "Fruitful & Beautiful World" (und das 1997, als die ersten brettharten Veganer noch Windeln trugen). Der Maler Arcimboldo hat schon einige Rockbands mit seinen Werken zu Plattencovers inspiriert, so beispielsweise die Gruppe Kansas, die das Bild 'Wasser' von ihm als Cover für ihr Werk "Masque" verwendete, ausserdem die amerikanische Poprock-Band Baby Grand, deren Albumcover "Ancient Medicine" das Bild 'Die 4 Jahreszeiten' von Arcimboldo ziert.

Ein fetter Tipp, genauso fett wie die gebotene Musik.

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Alexboy
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Re: Lotus • Fruitage (1997)

Beitrag von Alexboy »

Das Gemälde kenne ich, doch die dahinter verborgene Musik ist neu. Kommt dran, wenn ich mit Savoy Brown und den unzähligen anderen Anreizen durch bin. Versprochen! :beer:
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Beatnik
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Re: [REVIEW] Lotus • Fruitage (1997)

Beitrag von Beatnik »

Heute habe ich endlich mal das zweite Album von Lotus geordert, das im Jahr 2000 erschienene "Quartet Conspiracy". Da spielten die Gitarristen John Norum (Europe) und Brian Robertson (Thin Lizzy) mit. Letzterer produzierte das Album auch. Bin gespannt.

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