[REVIEW] The Freddy Jones Band • North Avenue Wake Up Call (1995)

Antworten
Benutzeravatar

Topic author
Beatnik
Beiträge: 7018
Registriert: So 9. Apr 2023, 18:11
Wohnort: Zwischen den Meeren
Has thanked: 8054 times
Been thanked: 8683 times
Kontaktdaten:

[REVIEW] The Freddy Jones Band • North Avenue Wake Up Call (1995)

Beitrag von Beatnik »

Bild

Obwohl während der gesamten 90er Jahre hindurch aktiv, kannte ich die Freddy Jones Band nicht mal dem Namen nach. Ich musste mich erst ernsthaft mit dem sogenannten Jam Band-Sound befassen, und bekam dadurch immer wieder so den einen oder anderen Band-Tipp von Freunden. Einer dieser Tipps war dann schliesslich auch die Freddy Jones Band, die sich selbst jedoch eher als Roots Rock Band sieht. Nun, Grenzen sind ja mitunter fliessend, und so unterscheidet sich die Freddy Jones Band insofern von den klassischen Jam Bands, dass ihre Songs zumeist eher kompakt bleiben - sowohl in deren Studio-, wie Live-Versionen. Lustigerweise bin ich über eine andere Gruppe der 90er Jahre, der Band The Samples, auf die Freddy Jones Band aufmerksam geworden. Sie wurde mir empfohlen als eine Combo, die stilistisch ebenfalls in die Richtung der Samples aus Boulder, Colorado geht. Aber wie so oft, hören andere Ohren meist andere Dinge heraus, und so stelle ich heute fest, dass die Freddy Jones Band nicht allzuviel Aehnlichkeit mit den Samples hat. Viel eher geht das hier Gebotene in Richtung Allman Brothers. Dazu vielleicht noch ein leichter Touch von typisch amerikanischem Springsteen/Mellencamp/Hiatt-Heartland Rock, aber nur bedingt. Denn auch bei der Freddy Jones Band stehen fliessende, längere Gitarrenparts an erster Stelle. Die Band ist zwar ansatzweise kommerziell, schielt aber glücklicherweise nicht zwingend mit Chartsnotierungen und verfügt auch nicht über den manchmal etwas arg patriotisch wirkenden Springsteen/Mellencamp-Pathos.

Die Freddy Jones Band stammt zwar aus Chicago, hat aber mit Blues nix am Hut. Drei Gitarristen, ein Bassist und ein Schlagzeuger bilden das Fundament dieser leidenschatlichen Southern Jam Band, die mich persönlich durchaus auch an die "Avocado"-Hatters erinnert (Kennt die noch Jemand ?). Die Gruppe gilt seit über drei Jahrzehnten als eine der bemerkenswertesten und angesehensten Festival-Acts Amerikas. Vergangenes Jahr feierte die Band den 30. Jahrestag ihres grössten Hits "In A Daydream", der Mitte der 90er Jahre die Mainstream Rock Charts anführte. Um diesen Hit gebührend zu feiern, veröffentlichte die Freddy Jones Band eine brandneue Version von "In A Daydream", sowie zwei weitere neue Singles mit den Titeln "Connected" und "Mirror Ball". Lustigerweise gibt es in der Freddy Jones Band gar keinen Musiker dieses Namens. Als Leader der Band gilt das Gründungsmitglied Marty Lloyd, zu dem eine wahre All Star-Besetzung hinzukommt, zu der auch der Bassist Rich Ross gehört, welche viele Jahre mit The Samples auf Tour war, wodurch die Brücke zu den Samples gleich wieder hergestellt ist.

Das 1995 veröffentlichte Album "North Avenue Wake Up Call" war das dritte Studioalbum der Freddy Jones Band, welches, genauso wie drei weitere Alben in den 90er Jahren auf dem legendären Capricorn Records Label veröffentlicht wurde. Besonders in den 90er Jahren fanden sich bei Capricorn etliche wunderbare Jam und Southern Rock Bands, wie beispielsweise Widespread Panic, Cake, 311, Gov't Mule und Col. Bruce Hampton And The Aquarium Rescue Unit. Zu diesen Bands passte die Freddy Jones Band stilistisch ziemlich perfekt dazwischen. Auf dem Album präsentierte die Freddy Jones Band etliche tolle Songs. Schon der Opener "Waitress" machte dabei die Richtung klar: Mit Slide, elektrischer und akustischer Gitarre dockte der Titel im tiefsten Süden Georgias an. Ab dem zweiten Titel "Old Angels" gesellten sich dann auch schön abwechslungsreiche Keyboards hinzu: Wurlitzer, Hammond B3, Pump Organ, Clavinet oder Energy Module, und sogar die Drums liessen sich genial verfremden. Das nennte sich dann "Leslie Rotor Speed Controlled Drums", also Schlagzeugsounds über ein Leslie Cabinet wiedergegeben, das eigentlich für dastypische Hammondorgel-Wabern zuständig ist (klingt sehr geil!).

Auch bei den Saiteninstrumenten wurden sämtliche Kreativitäts-Register gezogen: Das reichte von normaler Stromgitarre, über die unvermeidbar Southern Rock Feeling verströmende Slide bis hin zum Dobro,der Mandoline, dem Banjo, einer Lap Steel und dann auch hier ziemlich Exotisches, wie eine sogenannte Big Boy Slide Guitar oder gar eine Rust Guitar und als ultimatives Saitengewitter eine Ultra Fuzz Super Orbit Guitar (leckomio). Und dazu dann noch die feinen Gewürze Akkordeon, Mundharmonika und Okarina. Aber eigentlich war das alles nur Beigemüse, das jedoch für wohlige Momente und ganz feine Akzente sorgte. Zur Hauptsache wurde schon deftig mit der Slide-Gitarre operiert.

Es gibt eine Menge toller Platten der Freddy Jones Band. Für mich ihre eindeutig Beste, weil sie hier schon Mitte der 90er Jahre (genauer gesagt 1995) den sattsam bekannten Bands (Widespread Panic/Jupiter Coyote u.a.) mindestens ebenbürtig waren, wenn nicht längst viel viel spannender: "North Avenue Wake Up Call". Ich denke, dieses Album sollte man sich unbedingt einmal angehört haben. Songs wie "Old Angels", "Hold On To Midnight", "Goodbye", "Deep In The Flow" oder "Wherever You Roam" sind wahre Perlen eines insgesamt absolut überzeugenden Southern Jam Band Werk, das zumindest für mich als Türöffner diente für eine schöne Sammlung mit weiteren Alben dieser leider viel zu unbekannten Gruppe, die bis heute unermüdlich durch die Staaten tourt.

Mir persönlich wird beim Anhören einer Freddy Jones CD klar, woher heutige Bands wie etwa Blackberry Smoke zumindest einen Teil ihrer Inspiration her haben. ;)





Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
Benutzeravatar

Louder Than Hell
Beiträge: 8290
Registriert: So 16. Apr 2023, 18:01
Wohnort: Norddeutschland
Has thanked: 9894 times
Been thanked: 9267 times

Re: [REVIEW] The Freddy Jones Band • North Avenue Wake Up Call (1995)

Beitrag von Louder Than Hell »

Quo Vardi, wohin soll der Weg dieses innovativen Forums in Sachen vorgestellter Bands noch führen. Sowohl die Playlists des Tages, sondern auch die Rezis bringen immer neue Lichtmomente ans Tageslicht, die ich zuvor gar nicht kannte. Dazu gehören sicherlich auch die Freddy Jones Band.

Wer sich der Durchsicht und Anhörung der einzelnen Titeln des Albums unterzieht, wird wahre Schätze an southern kompatiblen Songs mit den entsprechenden Hooklines entdecken und sicherlich auch wertschätzen. Ich bin geradezu begeistert von diesem Sound.

Mäse, mit deiner Rezi hast du mich nicht nur begeistert, sondern geradezu einen musikalischen Tsunamie empfacht.
Antworten

Zurück zu „Reviews“