[REVIEW] Bacamarte • Depois Do Fim (1983)

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Beatnik
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[REVIEW] Bacamarte • Depois Do Fim (1983)

Beitrag von Beatnik »

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Es war das Jahr 1983, die Zeit, als der klassische progressive Rock von vielen Experten praktisch für tot erklärt wurde. Das Gegenteil war der Fall, bloss schafften es viele gute Bands aus diesem musikalisch stets spannenden Bereich nur selten, eine gewisse Popularität zu erlangen, geschweige denn viele Platten zu verkaufen, und insbesondere fehlte vielen Bands und Musikern eine gut geölte Promotion-Maschinerie, sodass eine grössere Hörerschaft hätte erreicht werden können. Dass es auch das andere Extrem gab, bewies der just in der Zeit aufkeimende Neo Prog Rock, deren Initialzündung wohl schon Marillion hiess, jedenfalls für die breiteste Hörerschaft in jenem Jahr. Es gab aber auch in den sehr synthetischen 80er Jahren viele hervorragende und erinnerungswürdige exotische Ausnahmen, wie zum Beispiel die leider nur wenig bekannte brasilianische Band Bacamarte, die mit dem Album "Depois Do Fim" einen wahren Genre-Klassiker schuf. Die Band existierte während zehn Jahren, wurde im Jahre 1974 von drei ehemaligen Schulfreunden gegründet. Die Gruppe bestand allerdings nicht sehr lange, und erst nach drei Jahren wurde sie schliesslich reformiert und hatte nun auch Bestand. Der Multi-Instrumentalist Mario Neto, der unter anderem die elektrischen und akustischen Gitarren, das Piano, viele weitere Keyboards, den Bass, das Schlagzeug und sogar den Gesang beherrschte, scharte neue Musiker um sich herum und begann mit dem Schreiben der Songs zum Album "Depois Do Fim".

Bereits 1978 waren die Titel zum Album fixfertig eingespielt und abgemischt, jedoch dauerte es weitere fünf Jahre, bevor die LP überhaupt erstmalig erscheinen konnte. Zu dem Zeitpunkt der Einspielung der Songs war gerade eine andere Art von Musikkultur angesagt, sodass Neto seine Stücke mehr oder weniger gewollt oder bewusst zurückhielt, da er sich von einer Veröffentlichung eher wenig Erfolg versprach. Erst im Jahre 1982 überredete ihn ein Freund, das Tape mit den originalen Songs einem Radiomoderator zu übergeben, der einige Stücke der späteren Platte ausgiebig im brasilianischen Rockradio spielte. Damit wuchs das Interesse der Zuhörer, was schliesslich dann doch noch zu einer Veröffentlichung der Songs führte.

Die Musik auf diesem Bacamarte Album ist reich und symphonisch, von wundervollen Keyboardsounds und einer ausgezeichneten Flöte geprägt, die den durch die Bank weg grossartigen Kompositionen stets etwas Erhabenes verleihen. Die Band bezieht ihren grössten Einfluss von der klassischen italienischen Schule des Progressive Rock. Ihre Titel tragen die Handschrift vieler italienischer Prog Bands wie etwa Locanda Del Fate, Premiata Forneria Marconi und Quella Vecchia Locanda. Auch die guten alten Banco standen Pate.

Das Album wird durch "UFO" mit einigen schönen Akkorden, gespielt von einer akustischen Gitarre eröffnet. Die Musik gleicht einer Art musikalischem Ständchen, das von Flötenklängen wunderbar gesüsst wird. Danach nimmt die Band Fahrt auf und rockt sehr anmachend, bietet mit einem opulenten und fast majestätischen Synthesizer den Einstieg in die Symphonik Rock Welt von Bacamarte. Ein Auftakt nach Mass. "Smog Alado" zeigt deutliche Einflüsse von Jethro Tull, Camel und Emerson Lake & Palmer. Der Gesang von Jane Duboc erinnert hier stark an Annie Haslam und verströmt damit den angenehmen Geist von Renaissance, klingt sehr symphonisch und eingängig. Das Stück "Miragem" eröffnet mit einigen wundervollen orientalischen Elementen und entwickelt sich zu einem veritablen Rock, toll gesungen, bis eine herrliche Flöte kurzzeitig die Dominanz im Song übernimmt, bevor die wie eine Lokomotive ruhig dahintuckernde Rhythmusgitarre diesen wundersamen Track zu Ende rollt.

Weiter geht es mit dem musikalischen Kleinod "Passaro De Luz". Ein Lied, speziell für die Stimme von Jane Duboc gemacht, eine träumerische und angenehm entspannte Nummer, getragen von akustischen Gitarrenklängen, ein idealer Song, um die Platte, die bislang nur Fahrt aufgenommen hat, für einen kurzen Moment angenehm zu entschleunigen. "Cano", noch ein eher kurzes Lied auf dem Album, bedeutet mehr oder weniger ein gegenseitiger instrumentaler Austausch und ist ein an Dynamik wieder zunehmendes Potpurri an Gitarren-, Keyboard- und Flötensounds. Der Longtrack "Ultimo Entardecer" ist der längste Song auf dem Album und klingt episch, ausufernd und besticht durch ein ausgefeiltes Arrangement, das sich über mehrere verschiedene klangliche Ebenen ausbreitet. Ein herrliches Stück, das perfekt den Symphonischen Rock der 70er Jahre noch einmal nachzeichnet, ohne dabei jedoch irgendwie antiquiert zu wirken. Vielmehr werden hier einige Spannungsbögen aufgebaut, die sich ineinander verzahnen und am Ende in einem wundersamen Amalgam aus lieblicher Stimme, mondändem Klavier und expressionistischer Gitarre verschmelzen. Der mit Anbstand beste Titel auf diesem tollen Werk. Textlich werden Tod, Wahnsinn, Angst und Hoffnung zum Ausdruck gebracht - musikalisch sind diese vier Stimmungen perfekt umgesetzt, man spürt diese verschiedenen Empfindungen in jeder gespielten Note.

Das kurze, an einen waschechten Bossa Nova erinnernde Intermezzo "Controversia" erinnert entfernt an eine lockere Jam Session, wirkt entspannend und bereitet den Hörer vor auf das Titelstück "Depois Do Fim" ("Nach dem Ende"), einer wiederum grossartigen, echten Symphonie, die diesen Begriff auch wirklich verdient. Hier wird wieder mit der ganz grossen musikalischen Kelle angerührt. Die Grundstimmung des Stücks ist düster, energetisch und behandelt die Thematik des Endes aller Zeitalter, der sogenannten Apokalypse. Ein beeindruckendes und sehr dynamisches Stück, das nachhaltig wirkt. "Mirante Das Estrelas", der letzte Song, wirkt insgesamt wie eine Reprise, weil sie den gesamten Inhalt des Albums, Stück für Stück noch einmal zusammenfasst, wie ein Puzzle, dass schlussendlich mit dem richtigen Aneinanderreihen der einzelnen Teilchen, gelöst werden kann. Alle Melodien und Akkorde, die zuvor bei den Stücken auf dem Album zu hören waren, werden noch einmal in einem rasanten Potpurri wiederbelebt. Die melancholische und fast traurige Stimmungsfarbe am Ende des Songs mündet schliesslich in einen letzten langen Ton der Ruhe und des Friedens.

"Depois Do Fim" ist ein wahres Juwel, das den Progressive Rock Liebhaber begeistern kann. Es ist auf jeden Fall eine Platte, die ausserhalb Brasiliens, von wo die Band stammte, wesentlich mehr Liebhaber hatte als im eigenen Land, weshalb dieses Werk bis zum heutigen Tag immer wieder einmal aufgelegt wurde, als CD gar in Japan.





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Pavlos
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Re: [REVIEW] Bacamarte • Depois Do Fim (1983)

Beitrag von Pavlos »

Jaaaa, da ist eine meiner liebsten Scheiben aus den 80ern. Ein Klassiker des südamerikanischen Prog Rocks, der noch stark nach den 70ern klingt und sich nicht vor den namenhaften Bands und Platten aus Übersee verstecken muss. Große Worte, I know, aber wer die Scheibe kennt, wird mir beipflichten. Analoge Keyboards, (nicht zu) verspielte Strukturen, gaaaanz viel Gitarren (elektrisch, akustisch, neoklassisch - ich fühle mich oft an 70er Rush erinnert, just listen to 'Smog Alado') und das leicht süßliche Element südamerikanischer Klänge bzw. Rhythmen - das sind die Zutaten, die hier gekonnt vermischt wurden. Die Flöte kommt oft zum Einsatz, aber weniger im fragilen Stile Camels, sondern mehr auf die "wildere" Art und Weise, wie sie oftmals im Rock Progressivo Italiano vorkommt. Die Songs sind durchweg melodisch gehalten, harmonisch ausbalanciert, gesungen wird selten, dann aber in Portugiesisch (von einer Frau). Gitarrist Mario Neto galt in seiner Heimat als Gitarrengott, und das absolut zurecht, wie der guitar driven Symphonic Rock Bacamartes beweist. Sehr feiner Tipp, Herr Beatnik!!
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BRAIN
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Re: [REVIEW] Bacamarte • Depois Do Fim (1983)

Beitrag von BRAIN »

ein Sahneteil aus Brasilien und nur eines vieler südamerikanischer Progrock Raritäten.
Auch wenn die Musik sehr komplex und virtuos gespielt wird wirkt sie nie gestückelt oder seelenlos.
Der weibliche Gesang wirkt sehr entspannt und trotz vieler Rhythmus-, Takt- und Stimmungswechseln kommt alles sehr harmonisch rüber.
Garniert wird das Ganze durch dezente Folkeinflüsse mit Flöte und Akkordeon und einer treibenden Perkussionsfraktion.
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Vombatus ursinus
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Re: [REVIEW] Bacamarte • Depois Do Fim (1983)

Beitrag von Vombatus ursinus »

Da kann ich nur beipflichten, was wäre auch der Review von Beatnik und den beiden anderen Posts noch hinzuzufügen?
Das Album kann man in der Tube sogar mit ordentlicher Qualität komplett hören, sogar beim großen Onliner per Stream.
Die Stimme der Sängerin ist übrigens richtig toll, eigentlich schon richtig schön jubilierend.
Wenn ich Haarspalterei betreiben würde, könnte ich eventuell behaupten, die portugiesische Sprache ist nicht unbedingt mein allererster Favorit, wenn es um solche Musik geht. Aber bitte....kann man natürlich auch überlesen. ;)
Das Leben ist eins der Härtesten
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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] Bacamarte • Depois Do Fim (1983)

Beitrag von Louder Than Hell »

Dann zähle ich mich zu den Unwissenden hier im Forum, weil ich weder die Band, noch das Album kannte. Aber Unkenntnis kann man durch deine wieder bestens geschriebene Rezi und den Songbeispielen ausgleichen.

Und im nachhinein frage ich mich, wie konnte dieses im 70er Jahre Stil gehaltene Progalbum an mir vorbeirauschen. Denn bärenstarke Musik schallt einem entgegen, sowohl von den Kompositionen, als auch von der Instrumentierung her.

Ich muss mal schauen, ob man das Album irgendwo günstiger abgreifen kann, denn die Preise bei Amazon und Discogs sind schon gewaltig.
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