[REVIEW] Walter Egan • Hi-Fi (1979)
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[REVIEW] Walter Egan • Hi-Fi (1979)
In der langen und oftmals ebenso skurrilen wie tragischen Geschichte der Rockmusik stösst man immer wieder auf Figuren, die so originell wie erfolglos, so hoffnungsvoll wie enttäuscht, so engagiert wie frustriert waren. Eine dieser Figuren heisst Walter Egan. Der hatte in den späten 70er Jahren die Idee, für die in seinen Augen schönste Rockmusikerin der Welt, nämlich Fleetwood Mac's Stevie Nicks, einen Song zu schreiben. Dieser Song hiess "Magnet And Steel" und Egan's Idee war, dass seine Angebetete auf dem Stück auch singen möge. Also lud er die Musikerin ins Tonstudio ein, und siehe da: Stevie Nicks fand den Song gut und trällerte munter mit. Nach dieser Aufnahme ging Walter Egan verliebt wie ein Teenager und glücklich wie auf Wolke Sieben nach hause, wohlwissend, dass er das Privileg hatte, mit der schönsten Rock-Frau der Welt Musik gemacht zu haben. Und es kam, wie es kommen musste: Der Song wurde zu einem der grossen Hits in Amerika im Jahre 1978. Das Stück "Magnet And Steel" verkaufte sich nicht zuletzt dank der Mithilfe von Stevie Nicks ausgezeichnet und Walter Egan konnte seinen Plattenvertrag mit Columbia Records festigen. Egan datete Stevie Nicks später, als diese sich von Lindsey Buckingham getrennt hatte, doch ihre Affäre war von kurzer Dauer: Der Song "Magnet And Steel" war wesentlich nachhaltiger erfolgreich als die Liebschaft der beiden. Leider endete mit der Beziehung zu Stevie Nicks auch Egan's musikalischer Erfolg, trotz einiger weiterer hervorragender Alben, von denen ich persönlich das 1979 erschienene Werk "Hi-Fi" für das Beste halte - besser noch als die LP "Not Shy" von 1978 mit dem grossen Hit "Magnet And Steel".
Walter Egan kam in New York City zur Welt und lebte dort auch während seiner Kindheit. Nach der Schule absolvierte er ein Studium der Bildhauerei und erlangte den Bachelor Of Fine Arts an der Georgetown University in Washington D.C. als einer bereits in jungen Jahren sehr angesehenen Künstler der Gegend. Egan startete seine Karriere daher in der Kunst, konzentrierte sich dabei auf Kunstdrucke und das Malen, ausserdem begann er auch, sich für die Musik zu interessieren. Anfang 1969 begann er, semiprofessionell Gitarre zu spielen und Songs zu komponieren. Weil er seinen College-Abschluss noch nachholen wollte, ging er zurück auf's College und gründete dort mit College-Kumpeln seine erste Band, genannt Sageworth and Drums, auch bekannt als Sageworth. Die Gruppe entstand aus einer Gruppe von Leuten, die sich an den Wochenenden mit Parties organisieren und technischem Gerät zur Verfügung stellen ein kleines Zubrot verdienten. Die Gruppe erarbeitete sich innert relativ kurzer Zeit einen höchst professionellen Status, spielte auch als Headliner an Konzerten in und um Washington D.C. und wurden immer häufiger für Auftritte gebucht. Ausser Walter Egan an der Leadgitarre spielten bei Sageworth auch Peter Barry Chowka als zweiter Gitarrist und Leadsänger, John Zambetti als weiterer Gitarrist und Background Sänger, Tom Guidera als Bassist und Background Sänger, sowie Matthew Sheppard als Schlagzeuger. Im Herbst 1971 zogen Sageworth nach Boston um und spielten während der nächsten zwei Jahre von dort aus im gesamten Nordwesten der USA, bevor sie sich 1973, ohne den erhofften Durchbruch erlangt haben zu können, trennten. Walter Egan zog danach um nach Los Angeles, wo er sich kurz darauf auf eine angestrebte Solokarriere konzentrierte.
1977 ergab es sich, dass Egan einen Plattenvertrag mit Columbia Records ergattern konnte, aufgrund der Begeisterung der Talentscouts für Demoaufnahmen, die Egan dem Label präsentiert hatte. Aufgrund der musikalischen Stilrichtung, die einen lockeren Westcoast-Poprock mit einer guten Portion Power Pop zeigte, wählte das Label den Fleetwood Mac Gitarristen Lindsey Buckingham, um das erste Album "Fundamental Roll" mitzuproduzieren, um den typischen sonnigen Poprock-Sound der damals äusserst erfolgreichen Fleetwood Mac einzufangen. Das Resultat war eine hervorragend produzierte LP, die jedoch noch nicht nennenswerten Erfolg brachte, bis zu dem bereits erwähnten Versuch, mit Stevie Nicks den Song "Magnet And Steel" aufzunehmen. Dieser Song katapultierte ihn nach ganz oben. Egan betätigte sich nebenbei auch als Songschreiber für andere Künstler, zum Beispiel den Titel "Hearts On Fire", den Gram Parsons auf seinem Album "Grievous Angel" präsentierte, oder auch "Hot Summer Nights", das zum ersten Hit der Band Night avancierte, auf welchem so bekannte Sessionmusiker wie Nicky Hopkins oder Robbie McIntosh mitspielten. Egan selbst konnte neben dem grossen Hit "Magnet And Steel" auch mit seiner eigenen Version von "Hot Summer Nights" einen kleineren Erfolg feiern, ebenso wie mit den Singles "Only "The Lucky" und "Fool Moon Fire". Ein weiterer grosser Hit gelang ihm aber nicht mehr.
Sein drittes Album "Hi-Fi" spielte Walter Egan mit seiner eingespielten Begleitband "The Professional Band" ein. Diese bestand aus dem Bassisten John Selk, dem Schlagzeuger Mike Huey, dem zweiten Gitarristen Monte X Moncrieff, dem Keyboarder Skip Edwards und Walter Egan als Leadgitarrist und Sänger. Die Basic Tracks der neuen Platte wurden am 15. November 1978 aufgenommen, und zwar in Stevie Nicks' inzwischen leergeräumtem alten spanischen Haus am El Contento Drive in Los Angeles. Stevie Nicks wohnte dort, zog dann aber um und überliess das riesige Haus Walter Egan als Jam-Room, bis es verkauft werden sollte. Die endgültigen Aufnahmen der Songs zogen sich immer wieder hinaus, dies, weil Egan immer wieder auf Tournee gehen musste, auch nach Europa. Ende Januar 1979 beispielsweise spielte er mehrere Konzerte in England und in den Niederlanden, sodass die neue Platte erst im Juni 1979 erscheinen konnte. Die Platte wurde ein Opfer seiner Zeit: Power Pop der Extraklasse war inzwischen nicht mehr stark gefragt, und der grösste Fan der Musik von Walter Egan, der bei Columbia Records für den Künstler verantwortliche Manager Don Ellis, wechselte seinen Arbeitgeber, ging zu RCA Records und wurde durch einen Marketing-Angestellten namens Jack Crago ersetzt. Dessen erste Frage war dann: "Wo sind Stevie Nicks und Lindsey Buckingham ?". Der neue Betreuer ging wohl davon aus, dass es das Fleetwood Mac-Doppelgespann schon richten würde mit dem Erfolg und er nicht viel dafür arbeiten müsste. Egan reagierte mit Verärgerung darauf. Schliesslich war er es, der bei Columbia Records den Plattenvertrag erhalten hatte, nicht dank irgendwelcher Beziehungen zu prominenten Musikern. Auch war er Alleinverantwortlicher für die ganzen Aufnahmen der neuen Platte "Hi-Fi".
Als Single wurde zunächst "You're The One" ausgewählt, der Song mit der in Egan's Augen prägnantesten Hookline zum mitsingen. Der Titel kam auch in die Charts, war aber weit vom Erfolg der Single "Magnet And Steel" entfernt. Egan ging nach der Veröffentlichung des Albums auf US-Tournee und war letztlich enttäuscht über die teils geringe Nachfrage nach Tickets in den Vorverkaufsstellen. Er war auch zunehmends frustriert über die mangelnde Promotionsarbeit von Columbia Records durch ein offensichtlich überfordertes Team aus der zweiten Reihe, das seiner Meinung nach viel zu wenig tat, um das Album zu pushen. Da ist bestimmt ziemlich viel Wahrheit dahinter, denn das Album sprüht vor tollen Songs. "Hi-Fi" ist bestimmt das ausgewogenste Album von Walter Egan - die sonnigen Poprock-Songs und die catchy Power Pop-Titel klingen allesamt hochkarätig. Die Kompositionen sind hervorragend und die Arrangements punktgenau und wohldurchdacht. Egan zeigte sich besonders mit den ersten drei Songs von seiner perfekten Songschreiber-Seite. Der Rocker "I Can't Wait", das nachfolgende "That's That" und die dritte Nummer "Little Miss It's You" gehen sofort in den Kopf und ins Herz und bleiben dort fest verankert. Das Titelstück "Hifi Love" beendet die LP A-Seite mit einer Melodie, die genauso in der Erinnerung hängen bleibt wie praktisch alle Songs der B-Seite des Werks. Dass er die ausgewählte Single "You're The One" erst als zweitletztes Stück der Platte insgesamt präsentiert, spricht dafür Bände. Selbst noch der letzte der zwölf Songs, "Bad News T.F." zeigt Egan's gesamtes Talent: Perfektes Songwriting, hervorragendes Arrangement und eine taffe und kompetente musikalische Umsetzung.
Walter Egan landete später bei Polydor Records, veröffentlichte weiter gute Alben und tourte kurzzeitig auch mal als Live-Mitglied der Gruppe Spirit. In späteren Jahren hat er beispielsweise Sachen wie etwa Eminem's Hit-Single "We Made You" mitkomponiert. Der Produzent Dr. Dre sagte, der Song wäre von der Basslinie des Egan-Stücks "Hot Summer Nights" inspiriert gewesen und hätte deshalb Samples dieses Stücks von Walter Egan verwendet. Walter Egan ist der Musik treu geblieben, tritt immer noch regelmässig auf und hat 2014 das Werk "Myth America" veröffentlicht, auf welchem sich der Musiker teils sehr melancholisch gibt, etwa in Songs wie "Faith Comes Crashin' Down", "What Lurks Inside A Heart", "Nothing Can Save Us Now" oder "Can't Cry No More". Walter Egan's Platte "Hi-Fi" gehört zu den grossen vergessenen Alben aus einer Zeit, als es in der Musik zu grossen Umbrüchen kam. Das ist sehr schade, denn mit Walter Egan hatte die Poprock-Welt einen grossartigen Songschreiber, der hier zwölf seiner schönsten Kompositionen präsentierte, die so zeitlos geblieben sind, dass man sie sich heute noch mit viel Genuss anhören kann.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] Walter Egan • Hi-Fi (1979)
Ich muss eingestehen, dass mir der Name Walter Egan zwar bekannt war, aber nicht seine Musik.
Zudem finde ich es immer wieder äußerst interessant, wie du den biografischen Background von Bands und Künstlern in deine Rezi's einbindest. Das zeugt von einer großen Fleißarbeit und vermittelst so dem Lesenden persönliche Bilder aus deren Schaffenszeit, so geschehen auch in dieser Rezi.
Der Karriereverlauf von Walter Egan muss man wohl als tragisch beschreiben oder es sollte nicht sein, was hätte sein können. Hier zeigt sich einmal mehr, wie abhängig die Musiker von ihren Plattenfirmen und ihrem Management sind.
Und wie das im Leben immer so ist, alles hat seine Zeit. Die Hochzeit des Power Pops näherte sich Ende der 70er dem Ende hin und es waren andere musikalischen Spielarten angesagt.
Zudem finde ich es immer wieder äußerst interessant, wie du den biografischen Background von Bands und Künstlern in deine Rezi's einbindest. Das zeugt von einer großen Fleißarbeit und vermittelst so dem Lesenden persönliche Bilder aus deren Schaffenszeit, so geschehen auch in dieser Rezi.
Der Karriereverlauf von Walter Egan muss man wohl als tragisch beschreiben oder es sollte nicht sein, was hätte sein können. Hier zeigt sich einmal mehr, wie abhängig die Musiker von ihren Plattenfirmen und ihrem Management sind.
Und wie das im Leben immer so ist, alles hat seine Zeit. Die Hochzeit des Power Pops näherte sich Ende der 70er dem Ende hin und es waren andere musikalischen Spielarten angesagt.