"Border Blaster" - so nannte und nennt man die mexikanischen Piraten-Radiosender, die vor allem zwischen den 30er und den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihre Blütezeit erlebten und es mexikanischen Radiomachern erlaubte, dank teils enormen Funkleistungen mit bis zu gigantischen 500'000 Watt starken Transmittern von Mexiko aus weit ins US-amerikanische Innere zu senden, obwohl die amerikanische Regierung nur eine maximale Sendestärke von 50'000 Watt erlaubte. Die ersten Piratensender, die jedoch nicht als solche bezeichnet wurden, entstanden in den 1920er Jahren in Mexiko an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. In den USA hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine kommerzielle, auf den Verkauf von Werbung ausgerichtete Radiokultur entwickelt. Sie bediente einen Massengeschmack. Da sie jedoch häufig zum Verkauf fragwürdiger Produkte, politischer Propaganda und anderer Verstösse gegen das US-Recht dienten, wurden die Sendelizenzen einiger Anbieter nicht verlängert. Diese wichen auf extrem leistungsstarke Sender an der mexikanischen Grenze aus, die in englischer Sprache sendeten und grosse Teile der USA erreichten. Als Auslandssender waren sie für die Hörer daran erkennbar, dass die Rufzeichen wie bei allen mexikanischen Sendern stets mit einem X begannen, während US-amerikanische Sender je nach Standort mit einem W oder einem K begannen (und nach wie vor beginnen). In den USA ist es üblich, dass sich Rundfunksender On Air mit ihrem Rufzeichen und nicht mit einem selbstgewählten Sendernamen identifizieren.
Insbesondere in den frühen 30er Jahren begannen US-amerikanische Country- und Blues-Künstler diese "X"-Sender zu entdecken und kamen so erstmals in Kontakt mit der urtypischen mexikanischen Folklore. Als wenig später der sogenannte Country-Blues entstand, bedienten sich nicht wenige amerikanische Musiker auch dieser mexikanischen Einflüsse, wie zum Beispiel Jimmie Rodgers, einer der berühmtesten Country-Blues Musiker einst bestätigte. Auch Cowboy Slim Reinhart und Hank Thompson, Stars der Szene in den 30er Jahren bestätigten, dass diese Border Radios eine der wichtigen Inspirationsquellen für ihre Musik darstellten. Als Texaner waren sie schon rein geographisch, aber teilweise auch kulturell wesentlich näher an Mexiko als an den Vereinigten Staaten. Einer dieser Sende-Pioniere war der Entwickler John R. Brinkley, der die Stadt Del Rio in Texas berühmt machte mit seinem Border Blaster XER (später umbenannt in XERA). Der ziegenbärtige Arzt nutzte seine Radio Station vor allem für die Werbung und Verbreitung eines von ihm entwickelten Viagras, das Brinkley "Goat Gland Proposition" nannte: Er transplantierte dünne Scheiben von Geschlechtsdrüsen von Ziegenböcken in den männlichen Hodensack, wo sich - so seine Vorstellung - das Ziegenbock-Gewebe mit demjenigen des Mannes assimilieren und ihm eine erhöhte Potenz und verbesserte Zeugungsfähigkeit verleihen sollte.
Diese Sendeanlagen waren manchmal von einer dermassen extremen Leistung, dass fliegende Vögel, die zu nahe an einer entsprechenden Antenne vorbeiflogen, tot vom Himmel fielen, Glühbirnen sich selbst entzündeten und die berühmte Countrymusikerin June Carter Cash meinte einmal, man hätte zu der Zeit überall draussen auf den Kuh-Weiden dem Stacheldraht entlang Countrymusik hören können, die praktisch aus dem Stacheldraht heraus zu spielen schien. Einige dieser Sender waren selbst in Australien und Europa noch zu hören. DJ Paul Kallinger vom Sender XERF, der wohl erste Radio-Marktschreier am Mikrophon sagte beispielsweise einmal, die Leute würden sich sowieso nur für drei Dinge interessieren: Gesundheit, Sex und Religion. Deshalb machte er es zu seinem Markenzeichen, zweiminütige Werbedurchsagen zu halbstündigen reisserischen Vorträgen aufzublähen, nur um vielleicht eine Packung Pillen an den Mann oder die Frau zu bringen oder er machte Werbung für eine sensationelle neue Schellackplatte mit den originalen Tonaufnahmen des letzten Abendmahls und wer sofort beim Sender anrief, erhielt zusätzlich noch eine von Jesus Christus eigenhändig unterschriebene Photographie. Dazwischen lief immer wieder Cowboyromantik im typischen Sound des Grenzgebietes von Texas und Mexiko.
Für die Entwicklung der amerikanischen Countrymusik kommt diesen Piratensendern eine wichtige Rolle zu, denn sie waren eine von vielen Inspirationsquellen für die kulturelle Entwicklung der ruralen amerikanischen Musik, wie wir sie heute kennen, und deren typischen Eigenheiten, welche bis heute in die Musik einfliessen. Die Stilrichtung Tex-Mex zum Beispiel, welche zwischen Anfang und Mitte der 60er Jahre durch Musiker wie Freddy Fender oder Doug Sahm weltweite Popularität erlangte und ihre Blütezeit via Cowpunk in den 80er Jahren und dem Alternative Country bis in die heutige Zeit transportieren half, geht letztlich ein stückweit auf das klassische Border Radio zurück.
Im Jahre 1998 entschlossen sich einige der berühmtesten texanischen und mexikanischen Musiker aus der Country- und Americana-Szene, diese traditionelle Musik wieder aufleben zu lassen. Auf einem ersten Album, das den Titel "Los Super Seven" trug, spielten Topmusiker wie Freddy Fender, Flaco Jimenez, Joe Ely, Ruben Ramos, Ricardo Ramirez, Rick Trevino, Doug Sahm und eine Abordnung der aktuellen Los Lobos-Besetzung ein erstes Album ein, das sich im Wesentlichen noch darauf beschränkte, klassisches mexikanisches Liedgut, sogenannte Traditionals, neu einzuspielen. Dieses Konzept wiederholten sie drei Jahre später anlässlich des zweiten Albums "Canto", das den Schwerpunkt auf traditionelle mexikanische "Cantos" legte, in der Regel längere, vertonte Gedichte, meist vorgetragen mit typisch mexikanischen (Saiten-)Instrumenten wie Mariachi, Banda, Nortena und Ranchero, sowie mit Violine und Harfe.
Die dritte, 2005 erschienene Platte, war dann den mexikanischen Piratensendern gewidmet, den "X"-Stationen. Dieses Projekt war das eigentlich ambitionierteste Werk der Musiker, da sie für dieses dritte Projekt einige zusätzliche, sehr prominente Musiker von der texanischen Seite des Grenzgebietes rekrutierten, weil sie diesmal auch verstärkt den amerikanischen Anteil am Border Radio Sound abbilden wollten. Dies waren beispielsweise Clarence "Gatemouth" Brown, ein Bluesmusiker, der aufgrund seines Alters noch einer jener Künstler war, der selbst aktiv mithalf, das Border Radio einst zu etablieren und populär zu machen. Dazu gesellten sich die Szene-Superstars Rodney Crowell, Lyle Lovett, Delbert McClinton und Raul Malo, der Sänger der Mavericks, John Hiatt, Augie Meyers und Charlie Sexton, der dieses brilliante Album auch produzierte.
Auf dieser Platte hört man nun sowohl mexikanische als auch amerikanische Musik, wobei hier das Schwergewicht nun auf dem typischen Tex-Mex Sound lag, der vor allem in den 60er und 70er Jahren als der klassische Border Radio Sound bekannt und weltberühmt wurde. Es gibt einige neu interpretierte Klassiker aus der Feder von beispielsweise Willie Dixon oder Blind Lemon Jefferson und Buddy Holly, welche den Sound der 40er bis 60er Jahre reflektieren sollen, dann auch Kompositionen neueren Datums aus der Feder von etwa Doug Sahm (mit dem bis heute berühmtesten Vertreter des Tex-Mex Sounds, dem Sir Douglas Quintet) oder Frank Beard (das Titelstück "Heard It On The X" stammt im Original von Z.Z. Top) und natürlich wiederum traditionelle mexikanische Stücke wie "Ojitos Traidores", "Cupido" oder "El Burro". Eine wunderschöne Hommage an das klassische Border Radio aus dem Grenzgebiet von Texas und Mexiko und ein aus diesem Bereich der populären Musik eher unübliches echtes Konzeptalbum im klassischen Sinne.
[REVIEW] Los Super Seven • Heard It On The X (2005)
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Re: [REVIEW] Los Super Seven • Heard It On The X (2005)
Hallöchen, das war ja praktisch Nachhilfeunterricht in Sachen Piratensender jenseits der amerikanisch/ mexikanischen Grenze und ich hätte diese Zusammenfassung noch endlos weiter lesen können. Mäse, es ist schon erstaunlich, wo du diese Geschichten jenseits des täglichen Mainstreams findest und entsprechend mit deinen Worten verpackst. Und der enthaltene Detailreichtum in phänomenal.
Stark finde ich auch in den Zusammenhang, dass Musiker grenzüberschreitend zueinander gefunden haben, um gemeinsam zu musizieren bzw. ihre separaten Musikstücke auf einem Tonträger zu platzieren.
Die beiden Songbeispiele von dir sind jedoch sehr unterschiedlich, weil sie zum einen moderneren Rock und zum anderen etwas Bluesiges präsentieren. Aber vermutlich zeichnen die Alben gerade diese Stilvielfältigkeiten aus.
Stark finde ich auch in den Zusammenhang, dass Musiker grenzüberschreitend zueinander gefunden haben, um gemeinsam zu musizieren bzw. ihre separaten Musikstücke auf einem Tonträger zu platzieren.
Die beiden Songbeispiele von dir sind jedoch sehr unterschiedlich, weil sie zum einen moderneren Rock und zum anderen etwas Bluesiges präsentieren. Aber vermutlich zeichnen die Alben gerade diese Stilvielfältigkeiten aus.