Es gibt wohl einige Hundert Psychedelik-Rockplatten aus den Jahren 1966 bis 1970, die immer mal wieder auftauchen und im Netz besprochen werden. Viele von ihnen waren selbst damals so unbekannt oder lediglich mit einem gewissen Lokalkolorit versehen, dass inzwischen wohl nur noch Sammlerfetischisten sie überhaupt noch kennen und manchmal frage ich mich, wem es von Nutzen sein kann, eine Platte enthusiastisch besprochen zu kriegen, die der Leser dann - einmal auf den Geschmack gekommen - gar nirgends finden kann, um sich auch akustisch davon ein Bild machen zu können. Und wenn das dann mal der Fall ist, folgt oft sogleich die Enttäuschung: Oh, da ist aber das Geschriebene vom tatsächlich Gehörten meilenweit entfernt. Aber so ist das nunmal bei den brettharten Fans: Ihre Lieblingsplatten sind einfach grossartig, outstanding, sensationell und phänomenal - und das alles gleichzeitig und im Doppel- und Dreifach-Superlativ, weil: Musik ist immer eine sehr subjektive Wahrnehmung, die auch enorm viel mit individuellen und höchst persönlichen Gefühlen zu tun hat. Jeder Hörer empfindet Gehörtes anders und das ist bei jeder Art von musikalischer Beschallung so. Ja, selbst für das Trommeln von Vorschlaghämmern auf öffentlichen Baustellen findet sich am Ende vielleicht noch ein Fan, der dieses Geratter als angenehm empfindet. Anyway: Es gibt also für jeden Geschmack letztlich etwas Akustisches, das hängen bleibt. Manchmal selbst über Jahrzehnte.
Genau deshalb versuche ich hier in meinem Blog auch stets, eine möglichst breit gefächerte stilistische Palette zu vermitteln, denn die schiere Vielfalt der Musik widerspiegelt auch mein eigenes Hörverhalten. Auch ich bin seit jeher allem gegenüber offen, versuche immer, auch für abstrusteste Sachen ein gewisses Interesse zu entwickeln und nicht zum vornherein etwas abzulehnen, nur weil mir etwa die Frisur eines Musikers, ein digitales Schlagzeug oder ein exaltierter Gesang nicht passt. Wenn solche Abseitigkeiten im Kontext zusammenpassen, dann ist es meistens auch wertvoll genug, sich damit zumindest einmal beschäftigt zu haben. Offen sein für alles hat ja manchmal den Beigeschmack, dass man nicht ganz dicht ist. Aha, ist das so ? Och, damit kann ich glaub ich ganz gut leben. Aber zurück zur heutigen Plattenempfehlung. Neben der bereits erwähnten Flut von psychedelischen Platten der ausgehenden 60er Jahre, die schon damals von kaum mehr als einer Handvoll Fans wahrgenommen wurden, gab und gibt es auch immer die sogenannten "Genre-Klassiker", also Platten, auf welche sich die sogenannten Musikexperten weitgehend einigen können. Eine dieser Platten stammt von der Band The Other Half, erschienen 1968, also in der Blütezeit des psychedelischen Rocks, als Grateful Dead, die Doors und Pink Floyd fröhliche Urständ feierten.
Die Gruppe um den Bassisten Larry Brown, ehemals bei den Fender IV und den Sons Of Adam beschäftigt, dem Gitarristen Randy Holden, der heute immer wieder mal als einer der besten Rock-Gitarristen bezeichnet wird (nicht zu Unrecht, wie ich finde!), dem Sänger Jeff Nowlen, dem zweiten Gitarristen Geoff Western und dem Schlagzeuger Danny Woods hatte von Beginn weg gute Karten, weil sie schon früh mit den grossen Bands der Hippie-Aera zusammenspielen konnten. Auftritte bestritten The Othe Half beispielsweise schon in ihrer Anfangsphase mit so illustren Bands wie Grateful Dead, Jefferson Airplane und Quicksilver Messenger Service. Obwohl sie sich öfters mal in Los Angeles in Szene setzte, gehörte die Gruppe nicht zur sogenannten Haight Ashbury Szene, obwohl sie beispielsweise im legendären Avalon Ballroom oder anderen Szene-Clubs in San Francisco begeistert aufgenommen wurde. Die Band schien mit ihrem eigenen Gebräu aus psychedelischem Sound und hartem Garage Rock ihrer Zeit weit voraus zu sein, denn obwohl mit MC5 und den Stooges der harte Garage Rock schon viele Musikfans wachrüttelte, gelang es insbesondere dem wie nicht von dieser Welt spielenden Gitarristen Randy Holden, bis zu 20 Minuten lange exaltierte Gitarrensolos zu spielen, die damals ausser dem jungen Jimi Hendrix noch kaum Jemand zu spielen wagte. Lärm- und Feedback-Orgien zogen sich bei Randy Holden bisweilen unerträglich in die Länge, und so manch ein Zuhörer mag wohl ziemlich zugedröhnt gewesen sein, dass er solch eine Dröhn-Orgie überhaupt verkraften konnte.
Dabei begann die Band im Jahre 1966 zuerst ohne Randy Holden in Clubs zu spielen. Manchmal gesellte sich zu solchen Club-Sessions dann Randy Holden dazu, bevor er, unglücklich über die sehr beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten in seiner Band Sons Of Adam, als festes Mitglied bei The Other Half einstieg. Das damals noch sehr kleine und mit wenig Budget ausgestattete Plattenlabel GNP/Crescendo Records nahm die Gruppe unter Vertrag und ermöglichte ihr die Veröffentlichung einer ersten Single mit dem Titel "Mister Pharmacist" und deren B-Seite "I've Come So Far" (GNP/Crescendo Katalognummer 378). Die heute als absoluter Genre-Klassiker geltende Single erreichte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nur relativ geringes Interesse seitens der Plattenkäufer, erregte jedoch das Interesse von Kenny Meyers, der die Gruppe prompt für das neu gegründete Plattenlabel Acta Records verpflichtete. Acta war als psychedelisches Unterlabel der grossen Plattenfirm DOT Records ins Leben gerufen worden. Auf Acta Records kam beispielsweise auch die LP der San Francisco-Psychedelikband The Neighb'rhood Childr'n heraus, eine der heute ebenfalls zu den grossen Klassikern zählende Platte.
Acta Records veröffentlichte zuerst die Single "Wonderful Day" mit der B-Seite "Flight Of The Dragon Lady" (Acta Records 801), welche sehr gute Kritiken erntete, jedoch wiederum nur spärlich verkauft wurde. Trotzdem stand das Label weiterhin hinter der Gruppe, finanzierte die Aufnahmen zu einem Album und waren guter Hoffnung. Trotz eines sehr schmalen Budgets, das kaum die Möglichkeiten bot, die damals schon üblich waren, gelang der Band ein hervorragendes Werk voller Dynamik, explosionsartiger Härte und versponnener Psychedelik auf der anderen Seite. Ein Glück, dass Acta Records die Platte ermöglichte. Das von der Gruppe weitgehend selbst arrangierte Album, produziert unter Mithilfe von Larry Goldberg, Leo De Gar Kulka und Hank Levine, geriet zu nicht weniger als einem echten Klassiker, der enorm viele musikalische Facetten aufwies. Immer getragen von Randy Holden's exzellenter Gitarrenarbeit spielte sich die Band durch ein Song-Repertoire, das neben im Yardbirds-Stil gespielten Blues Rock, rauhen Garage Rock Nummern und typischer West Coast-Psychedelia auch östliche Einflüsse vereinte, was zu einer einmaligen Sound-Mélange führte, die in dieser Art durchaus als einzigartig bezeichnet werden kann.
Höhepunkte auf dem Album sind sicherlich das an Arthur Lee-Kompositionen fürdessen Band LOVE erinnernde "Feathered Friend" mit einer ganz tollen Fuzz-Gitarre von Randy Holden, "Flight Of The Dragon Lady", das indisch angehauchte "I Need You" und das Paradestück am Ende des Werks "What Can I Do For You, The Other Half". Die Platte lebt natürlich fast ganz von Randy Holden's phantastischer Gitarrenarbeit, und es ist nicht erstaunlich, dass er als einziger Musiker der Band später grosse Popularität erlangte und eine Solokarriere startete, die sehr erfolgreich verlaufen würde. Wenn man sich die Platte von The Other Half heute anhört, kann man kaum glauben, dass sie damals schon nach kurzer Zeit nur noch in den Ramsch-Regalen landete und schlisslich kurz darauf ganz aus den Plattenläden verschwand. Heute extrem gesucht und entsprechend teuer gehnadelt als originale Vinyl-Scheibe, kann man die Platte aber auch als Neuauflage (Vinyl), wie auch als remasterte CD bekommen. Das als Single veröffentlichte Stück "Mr. Pharmacist" wurde auf zahlreichen Genre-Samplern kompiliert und war somit über Jahrzehnte das einzige Stück der Gruppe, das immer wieder mal regulär zu haben war. Spätestens mit der Veröffentlichung der Platte als klanglich bereinigte CD (auf Lion Records plus einigen weiteren Varianten auf Eva und Radioactive - allesamt jedoch inoffiziell!) kann man zumindest zu einem moderaten Preis dieses grandiose Stück Musik endlich noch einmal hören. Eine dicke Empfehlung für Jeden, der den psychedelischen US-Rock von Ende der 60er Jahre mag.
[REVIEW] The Other Half • The Other Half (1968)
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[REVIEW] The Other Half • The Other Half (1968)
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: The Other Half • The Other Half (1968)
Die steht auch als CD-Reissue hier.
So ganz ist sie bei mir noch nicht eingeschlagen, da laufen spätere Randy Holden Scheiben öfters.
Z.B. Population II.
Aber mit The Other Half werde ich mich auch noch eingehender beschäftigen.
So ganz ist sie bei mir noch nicht eingeschlagen, da laufen spätere Randy Holden Scheiben öfters.
Z.B. Population II.
Aber mit The Other Half werde ich mich auch noch eingehender beschäftigen.