[REVIEW] SAVOY BROWN • Wire Fire (1975)
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[REVIEW] SAVOY BROWN • Wire Fire (1975)
Eine gewisse Ernüchterung dürfte sich schon breit gemacht haben bei Bandleader Kim Simmonds, als knapp ein Jahr nach dem noch für Furore sorgenden "Boogie Brothers" Album, das zu einem der grössten Erfolge des Bluesgitarristen wurde, der Nachfolger "Wire Fire" erschien. In England wurde die Platte erst gar nicht veröffentlicht, in Amerika lediglich unter dem London-Label, dem Unterlabel von Decca Records Amerika. 1975 war ein Jahr, in welchem mal wieder wie schon öfters in der Vergangenheit, die Band Savoy Brown komplett auseinanderfiel. Stan Webb (vormals von Chicken Shack) gründete die kurzlebige Band Broken Glass, Miller Anderson lancierte die genauso kurzzeitige Geschichte Dog Soldier (mit Keef Hartley) und auch Eric Dillon und Jimmy Leverton gingen andere musikalische Wege. Kim Simmonds holte den Keyboarder und Gitarristen Paul Raymond wieder zurück, der nach der "Jack The Toad" LP (mit dem fabelhaften Sänger Jackie Lynton) ausgestiegen war, und mit Andy Rae gesellte sich ein neuer Musiker hinzu, der zuvor in den Diensten der Gruppe Rare Bird stand. Zusammen mit dem Schlagzeuger Tommy Farnell, der für den praktisch nicht mehr im Einsatz stehenden, gesundheitlich inzwischen schwer angeschlagenen Dave Bidwell in die Band kam, entstand ein Album, das sich vor allem durch eine sehr saubere Produktion und eine grosse stilistische Vielfalt auszeichnete. Tommy Farnell spielte zuvor bei der Rockband Mongrel und kurzzeitig auch bei Fairport Convention.
Zum erstenmal seit der 1970 erschienenen Platte "Looking In" waren hier auch wieder dezent jazzige Klänge zu hören, der Einsatz eines Saxophons als zusätzlichem Instrument verdeutlichte dies. Da es sich bei den spärlich eingesetzten Bläsersätzen lediglich um Gastbeiträge von angemieteten Studiomusikern handelte, wurden diese auch nicht namentlich erwähnt. Etwas stossend, denn die Beiträge waren doch teilweise bemerkenswert songbestimmend. Besonders zum tragen kam diese neuerliche jazzige Note bei den Stücken "Ooh What A Feeling" und "Born Into Pain", durchaus zwei der interessanteren Songs im Gesamtrepertoire der Gruppe um Mastermind Kim Simmonds.
Man darf Simmonds auch ein gutes Händchen bei der Namensgebung dieser Platte attestieren, denn selten passte der Titel einer LP so gut zum Inhalt, für den der Musiker seit vielen Jahren schon stand: Ein "Saitenfeuer" im wahrsten Sinne des Wortes. Das Artwork der Platte besorgte diesmal nicht wie in den vergangenen Jahren David Anstey, sondern Glenn Ross, und dieses Artwork war wirklich spektakulär und passte hervorragend zum Titel der Platte und natürlich ebenso zu deren Inhalt. Den Einstieg in das Album bot mit "Put Your Hands Together" ein feiner Soul Raveup ganz im Stil des Marvin Gaye-Klassikers "Can I Get A Witness" als eine Art rhythmische Kampfansage gegen den ganzen bleischweren harten Bluesrock des Vorgängers "Boogie Brothers". So leichtfüssig und durchaus tanzbar klangen Savoy Brown bislang nicht. Da hüpfte ein bisschen sogar der Swing mit. "Deep Water" wiederum zeigte einen tollen laidbacken, und trotzdem vorwärtstreibenden Soul Rock-Groove, der wiederum jede Härte vermissen liess, dafür tief im Southern Soul verwurzelt war. Man mag mutmassen, woher bei Kim Simmonds dieser stilistische Sinneswandel kam. Eindeutig festmachen lässt sich dies nicht, denn mit den britischen Musikern folgte er höchstens dem damaligen Trend, wonach auch andere Bands ihrem vormals eher harten Bluesrock ein etwas leichtfüssigeres Klangbild verpassten. Funky war das trotzdem nicht, sondern schon immer noch tief im Blues und Rock verwurzelt.
"Hero To Zero," eine exzellente Bluesnummer mit einer tollen Interaktion zwischen Kim Simmonds and Tastenmann Paul Raymond konnte ebenfalls überzeugen, während "Born Into Pain," eine Simmonds-Solokomposition ein hartes Keyboard-Riffing zu Beginn des Songs präsentierte. Mit fast telepathischem Verständnis spielten sich Simmonds und Raymond auch hier gegenseitig die instrumentalen Spielbälle zu: Wenn der eine solierte, setzte der andere die punktgenau platzierten Filling-Akzente. Dabei spielten beide, und natürlich auch der Rest der Band, stets songdienlich und versuchten nicht, sich solistisch zu profilieren oder in den Vordergrund zu spielen. Homogenes Spiel auf hohem Niveau war das, oder besser: "It's the Song, not the Actor": Der Song sagt, was er braucht. Das passte auf alle Songs des "Wire Fire" Albums eigentlich perfekt. Keinen Ueberflieger und keinen Durchhänger hatten Kim Simmonds und seine reformierten Savoy Brown hier abgeliefert.
Die Titel zwei und drei des Albums, "Stranger Blues" und "Here Comes The Music" zeigten eindrücklich die beiden Blues- und Rock-Seiten der Band. Der "Stranger Blues" geriet zum leichtfüssigen unspektakulären Midtempo-Blues, den Kim Simmonds adäquat und unaufdringlich sang und dazu eine tolle, recht verhallte Sologitarre spielte, während der Bluesrocker "Here Comes The Music" schnell und mit viel Drive gerockt wurde. Hier bewies Simmonds vor allem auch mal wieder eindrücklich seine Qualitäten als Slide-Gitarrist. Ein dunkles, düsteres und durchaus leicht bedrohlich wirkendes Gitarrenspiel präsentierte er dann beim Titel "Can't Get On", bei dem man sich durchaus vorstellen könnte, dass das Stück noch ein Ueberbleibsel der "Boogie Brothers"-Sessions gewesen sein könnte, was es ja aber nicht war. Vielmehr versuchte Kim Simmonds hier vermutlich, den harten Rock nochmals quasi nunmehr als Kontrapunkt auf dem Nachfolgerwerk zu platzieren. Letztlich stand "Can't Get On" einmal mehr für den stilistischen Reichtum des kompositorischen Schaffens von Kim Simmonds und Paul Raymond, die bis auf eine Ausnahme alle acht Titel des Albums gemeinsam geschrieben hatten.
Das Album "Wire Fire" verkaufte sich eher schlecht als recht, erreichte in den USA immerhin noch einen respektablen Rang 153 in den Billboard Charts. Insgesamt während sieben Wochen stand das Wek in den US-Charts. In England konnte die Platte nicht reüssieren, was logischerweise auch damit zusammenhing, dass Savoy Brown inzwischen in Amerika beheimatet waren und die Platte in England von Decca Records nicht mehr veröffentlicht worden war. Savoy Brown waren durch den Umzug von Kim Simmonds nach Oswego am Lake Ontario von einer urbritischen Bluesband zu einer amerikanischen Mainstream Bluesrock-Band geworden, und in diesem musikalischen Bereich hatten sie es ungleich schwerer, wie die kommenden Jahre noch zeigen sollten. "Wire Fire" wurde kein Klassiker im Portfolio der Band, aber es war in jedem Fall ein grundsolides, exzellent gespieltes und sehr vielfältiges Album, das wesentlich besser war als es der magere Erfolg vielleicht suggerierte, und: Es ist bis heute nach der "Lion's Share" mein ultimatives Lieblingsalbum von Savoy Brown, und dies aus mehreren Gründen: Die Songs waren allesamt exzellent, die Produktion klasse, die Musiker spielerisch auf Top-Niveau und selbst die gesanglichen Darbietungen von Kim Simmonds waren nie so gut wie auf diesem Album.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)