[REVIEW] SAVOY BROWN • Blue Matter (1969)

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Beatnik
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[REVIEW] SAVOY BROWN • Blue Matter (1969)

Beitrag von Beatnik »

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War Chris Youlden anfangs noch der neue Sänger in der Band, der für den Schwarzen Sänger Price Porteous gekommen war, eroberte er sich seinen Platz innerhalb der Band-Hierarchie allmählich auch bei den Kompositionen und den Arrangements als gleichwertiger Partner von Kim Simmonds. Und das bekam man auf der dritten Savoy Brown LP "Blue Matter" bereits zu hören. Denn mit dem Songwriting-Anteil von Chris Youlden erhielt der Bluesrock der Band noch einmal eine neue, nun auch leicht jazzig orientierte Note. War Chris Youlden zuvor in Shakey Vicks' Blues Band lediglich am Mikrophon geduldet, konnte er nun erstmals auch seine Leidenschaft für den Crooner-Jazz ausleben, wofür ihm Mastermind Kim Simmonds und seine Mitmusiker das passende musikalische Korsett verpassten. Simmonds verstand es ausgezeichnet, sich in bestimmten Kompositionen angenehm zurückzunehmen, und weil mit Bob Hall's Pianospiel eine weitere leicht jazzig ausgerichtete Note in den Sound der Band kam, kann man beim Album "Blue Matter" durchaus vom ersten Savoy Brown BAND-Album sprechen, wo bei den Alben zuvor eigentlich vor allem Gitarren-orientierter, auf Kim Simmonds zugeschnittener Sound zu hören war. Diese Bereicherung muss Kim Simmonds sehr inspiriert haben, denn in späteren Jahren, als sich das Personal-Karrussell weiter wie wild drehte, liess er auch immer die jeweils beteiligten Musiker zu ihren Credits kommen, sei das im kompositorischen, wie auch im Arrangement-Bereich der Stücke.

Noch während der Aufnahmen zum Album "Blue Matter" drehte sich das angedeutete Personal-Karrussell erneut: Der eher jazzorientierte Bassist Rivers Jobe quittierte den Dienst, und Tony Stevens stieg bei der Band ein. Tony Stevens war wieder eher der knochentrockene Blues- und Rock-Bassist, der von filigranem Jazz-Spiel wenig hielt. So passierte es noch während der Aufnahmen, dass einerseits ein Rückfall in die "Getting To The Point" Attitüde stattfand, die jazzige Ausrichtung, vor allem durch den nun grösseren Einfluss von Chris Youlden, nebenher aber weiter lief. Dadurch entstand am Ende der Sessions so etwas wie ein Jazz-Blues-Rock Album, und das wiederum auch gleich LP-Seiten getrennt. Die Studioaufnahmen wirkten lässiger, jazziger, und die B-Seite der LP reflektierte Savoy Brown mit dem neuen Bassisten als Live-Band, denn die Titel der B-Seite waren Aufnahmen, welche die Gruppe live in der aktualisierten Besetzung präsentierte. Es wird oft übersehen, dass genau dies die Klasse von "Blue Matter" erst ausmacht: Diese zwei Seiten der Band, mal leicht jazzorientiert, mal knochentrocken bluesig.

"Blue Matter" wurde erneut von Mike Vernon produziert, allerdings diesmal schon als Co-Produktion zwischen ihm und Kim Simmonds. Eine Begründung dafür liefert vielleicht der Umstand, dass Kim Simmonds die Aufsicht hatte über die Live-Aufnahmen am City of Leicester College of Education, von welchem die drei Stücke für die B-Seite der LP ausgesucht wurden. Mike Vernon produzierte die Studioaufnahmen auf der A-Seite des Albums. Interessant ist auch die Tatsache, dass der zuvor neu in die Band eingetretene zweite Gitarrist, Lonesome Dave Peverett, auf den Live-Aufnahmen den Gesang übernahm. Chris Youlden sang bei jenem Konzert nicht, da er zu der Zeit an einer Mandelentzündung litt, und diese ausgerechnet zu jener Zeit behandeln lassen musste. Den Lead-Gesang im Studio (Stücke der LP Seite A) übernahm aber Chris Youlden, noch bevor die Live-Aufnahmen aufgezeichnet wurden. Im Studio fungierte Lonesome Dave Peverett lediglich als Rhythmusgitarrist.

Der noch eher zaghafte Versuch, Brass-Arrangements hinzuzufügen, beschränkte sich, was zu der Zeit höchst unüblich war, auf die Mitwirkung von vier Trombonen-Spielern: Terry Flannery, Keith Martin, Alan Moore und Brian Perrin. Aufgenommen wurde die LP von Roy Thomas Baker, der Studio-Legende, welche auch Platten von den Rolling Stones, The Who, Santana, den Mothers Of Invention und vielen weiteren aufgenommen hat. Dazu ist zu sagen, dass Roy Thomas Baker bereits im Alter von 17 Jahren beim Label Decca Records als Haus-Toningenieur beschäftigt war, und zum Zeitpunkt dieser Savoy Brown Aufnahmen noch keine 20 Jahre alt war (!). Zu den Songs auf diesem dritten Album gehört er starke Opener "Train To Nowhere", die erste gemeinsame Komposition von Chris Youlden und Kim Simmonds, die sich als äusserst erfolgreich erweisen sollte: Der Song wurde noch im selben Jahr von Rare Earth übernommen und bescherte der Gruppe in den USA einen respektablen Singles Charts-Erfolg. Das feinste Jazz-Arrangement findet sich im von Chris Youlden alleine geschriebenen Stück "She's Got a Ring In His Nose and A Ring On Her Hand", einer relativ kurzen Nummer, welche als B-Seite der Single "Grits Ain't Groceries (All Around The World)" veröffentlicht wurde, wohingegen die Single A-Seite nicht für das Album "Blue Matter" berücksichtigt wurde (!).

Interessant auf der eher bluesig ausgerichteten Seite ist das John Lee Hooker-Cover "Don't Turn Me From Your Door", das Titelstück von Hooker's allerersten LP. Hier beweist Chris Youlden auch seine Fähigkeiten als versierter Blues-Sänger. Auf der LP B-Seite wiederum glänzen Kim Simmonds und vor allem Lonesome Dave Peverett mit einer tollen Coverversion des Elmore James-Titels "It Hurts Me Too". Dave Peverett griff den Titel einige Jahre später mit seiner eigenen Formation Foghat erneut auf. Der Titel blieb bis zu seinem Tod fester Bestandteil fast jeden Foghat-Konzerts. "Blue Matter" war das erste Album von Savoy Brown, das in den USA grosse Beachtung fand, weshalb die Band sich verstärkt auf den amerikanischen Markt fokussierten, was nur wenig später dazu führte, dass sich Savoy Brown aus ihrer Heimat England verabschiedeten. Doch das kam dann erst später.





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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Blue Matter (1969)

Beitrag von Louder Than Hell »

Wie ich bereits angemerkt habe, waren Savoy Brown sicherlich ein wesentlicher Eckpfeiler des britischen Blues Booms, auch wenn andere Bands sicherlich ein wenig mehr vom Kuchen abgebissen hatten und in der Gunst der der Hörer höher standen. Eines muss man der Band aber lassen, auch wenn Kim Simmonds letztlich die einzige Konstante in der Gruppe war, sie wirbelten weiter, als der eingangs beschriebene Boom bereits abgeebbt bzw. vorbei war.

Auch wenn sich das Personalkarussell auf den Folgealben ständig drehte, sie blieben ihren musikalischen Wurzeln treu. Natürlich kamen zum traditionellen Blues später größere Boogieelemente hinzu, aber der Blues blieb immer die Basis ihrer Alben.

Der auf dem dritten Album geprägte R & B Stil ruft geradezu Gänsehautstimmung hervor, wenn man den teils sehr langen Stücken folgt, was gründsätzlich im Bluesbereich nicht üblich war. Und hierbei ist es egal, ob man die Coverversionen heranzieht oder die Songs, die von Youlden und Simmonds entwickelt wurden. Das ist die Melange, die ein ausgezeichnetes Album auszeichnet.

Abermals schöne Rezi aus dem Norden .....
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Beatnik
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Blue Matter (1969)

Beitrag von Beatnik »

Danke Dir. Mich erstaunt heute noch diese Wandlungsfähigkeit, welche die Band immer wieder bewies, ohne dabei ihren eigenen roten Faden dabei zu verlieren. Was diese Offenheit angeht, waren sie den meisten anderen British Blues Boom Bands schon voraus. Ich meine: Einen Jazzsong von Peter Green zu hören, wäre doch zum Beispiel auch ganz sicher reizvoll gewesen. Wer sich mal an jazzige Sachen herangewagt hat, war Alvin Lee, und bei ihm klang das dann auch sehr sehr gut. :wave:
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