[REVIEW] SAVOY BROWN • Jack The Toad (1973)

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Beatnik
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[REVIEW] SAVOY BROWN • Jack The Toad (1973)

Beitrag von Beatnik »

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Gerieten sie in ihrer Heimat England in den frühen 70er Jahren zunehmends in Vergessenheit, so konnten sich die Bluesrocker Savoy Brown um den Gitarristen Kim Simmonds in den USA einer immer stärker wachsenden Popularität erfreuen. Ganz besonders als Live-Band waren Savoy Brown dort sehr begehrt, wurden an zahlreichen Festivals als eine der Hauptattraktionen gefeiert, spielten in Top Venues wie beispielsweise dem legendären Fillmore East in New York, dem Fillmore West in San Francisco oder auch dem Grande Ballroom in Detroit. 1972 waren Savoy Brown gar als Headliner an einem Open Air Festival in Boston aufgetreten. Als Anheizerr vor ihnen traten dort Fleetwood Mac und Rory Gallagher auf. Ironischerweise wechselte ein halbes Jahr nach diesem grossen Live-Ereignis der Sänger Dave Walker zu Fleetwood Mac, wo er jedoch nicht lange blieb. Walker verliess Savoy Brown am Vorabend einer weiteren grösseren US-Tournee, was dazu führte, dass die Gruppe um Kim Simmonds diese Tour ohne expliziten Leadsänger absolvierte. Abwechselnd sangen Kim Simmonds oder Paul Raymond die Songs. Nach seinem kurzen Gastspiel bei Fleetwood gründete Dave Walker seine eigene Band, The Dave Walker Band und wurde in den USA sesshaft. Auch seine eigene Band hielt nicht lange. Er war später einer der Kandidaten als Ersatz für Ozzy Osbourne bei Black Sabbath, absolvierte auch einige Konzerte mit ihnen, bevor er schliesslich zwischen 1987 und 1990 wieder als Leadsänger zu Savoy Brown zurückkehrte.

Savoy Brown suchten sich einen Ersatz für Dave Walker und fanden ihn in dem britischen Rock-Veteranen Jackie Lynton. Doch nicht nur die Position des Leadsängers wurde neu besetzt: Das Personalkarrussell drehte sich wie schon die Jahre zuvor weiter. So kam der Schlagzeuger Ron Berg für den langjährigen, aber gesundheitlich immer stärker angeschlagenen Dave Bidwell. In der Besetzung Kim Simmonds, Paul Raymond, Andy Pyle, Jackie Lynton und Ron Berg arbeitete die Band die folgenden Monate an einem Nachfolger für die insbesondere in den USA sehr gut verkaufte LP "Lion's Share". Dabei stellte sich schon nach kurzer Zeit heraus, dass Jackie Lynton's Songwriting perfekt zur Band passte. Während die Songs für das "Lion's Share" Album noch hauptsächlich von Kim Simmonds und Paul Raymond geschrieben worden waren, konnte sich Jackie Lynton mit seinen eigenen Songs profilieren. Kim Simmonds dazu: "Previously to Jack joining the band,most of the writing was done by Paul and myself. But Jack has a wealth of his own material which is both original and fits so well with the music we play".

Als John Bertram Lynton in Shepperton, Middlesex am 27. Februar 1940 geboren, begann Jackie schon im Kinderchor an der Schule zu singen. Rock'n'Roll wurde schon sehr früh zu seiner grossen Leidenschaft, er war ein glühender Verehrer von Elvis Presley und durch seine Schulfreunde lernte er viele Bands und Musiker kennen, denen er bald schon nacheifern wollte. So spielte er in seiner Jugend in verschiedenen Bands, mixte dabei populäre Songs mit Rock'n'Roll und die erste Single, die er veröffentlichte, war eine Coverversion des weltberühmten Songs "Over The Rainbow". Die Single wurde von Tony Hatch für das Pye Picadilly Records Label produziert. Es folgten einige weitere Singles für das EMI Columbia Records Label. Mit der Zeit wuchs sein musikalisches Knowhow, was ihm Konzerte und Engagements an der Seite von Billy Fury, Vince Taylor & The Playboys, Wee Willie Harris, Terry Dene und Screaming Lord Sutch & His Savages ermöglichte. Anfang der 70er Jahre legte Jackie Lynton eine Pause ein, arbeitete vorwiegend als Dekorateur und Maler, aktivierte zeitweilig eine eigene Band (The Jackie Lynton Band) und trat dann und wann in lokalen Pubs auf. An einem dieser sporadischen Auftritte sah ihn Harry Simmonds, Kim Simmond's Bruder und Manager. Jackie Lynton spielte im Greyhound Club in Fulham und fragte ihn nach dem Auftritt ganz spontan, ob er nicht als Leadsänger bei Savoy Brown einsteigen wolle. Lynton hielt das für einen Witz und lachte darüber. Doch Harry Simmonds liess nicht locker, kontaktierte Lynton mehrmals, traf ihn auch immer wieder, bis Jackie Lynton von der Ernsthaftigkeit des Angebots überzeugt war, seine eigene Band auflöste, seinen Job quittierte, die Koffer packte und bei Savoy Brown einstieg.

Mit Jackie Lynton absolvierten Savoy Brown mehrere Konzerte der laufenden US-Tournee im Jahre 1972, die als Promotion für ihr Album "Lion's Share" gedacht war, das ja noch mit Dave Walker eingespielt wurde. Jackie erwies sich als Segen. Er sang nicht nur die bereits bestehenden Songs kompetent und stilsicher, sondern gab etlichen Stücken auch eine neue Note. Lynton's Markenzeichen war dabei immer seine hemdsärmlige, humorvolle und typisch britische Art, die überall gut ankam. Dass Lynton ausserdem ein ganz formidabler Sänger ist, beweisen etliche live mitgeschnittene Dokumente jener 1972er Tournee, die sich in Kim Simmonds' umfangreichem Live-Archiv befinden, und von welchen einige auch schon veröffentlicht worden sind. Kim Simmonds hatte 1999 bereits zwei Kollektionen veröffentlicht mit Liveaufnahmen, auf welchen alle drei Sänger jener Zeit zu hören waren: Chris Youlden, Dave Walker und Jackie Lynton. Die beiden Alben kamen unter den Bezeichnungen "Standing On The Outside" und "Jack The Toad Live" heraus, wobei die Klangqualität dieser Aufnahmen teilweise ausserordentlich schlecht war und im Grunde nur für beinharte Fans interessant gewesen waren. Später wurden diese beiden Alben noch einmal als Doppelalbum veröffentlicht unter dem irreführenden Namen "Hellbound Train Live 1969-72". Von Jackie Lynton waren dabei die beiden Stücke "Tell Mama" und "Let It Rock" zu hören.

Besonders interessant war die Tatsache, dass Savoy Brown anlässlich ihrer 1972er US-Tournee die damals gerade populär werdenden Status Quo als Vorgruppe mit dabei hatten. Status Quo revanchierten sich ein Jahr später, indem sie ihrerseits Savoy Brown als Vorgruppe bei ihrer "Hello!"-Tournee dabei hatten, was einen wesentlichen Anteil am erneuten Erfolg eines ihrer Alben bedeutete: "Jack The Toad" verkaufte sich zwar nicht so gut wie die vorherige "Lion's Share", doch die Band gewann einen Teil ihres inzwischen verlorenen englischen Publikums wieder zurück, auch wenn dieser Erfolg letztlich leider nur von kurzer Dauer war.Das Album "Jack The Toad" wurde vom ehemaligen Gründer des Plattenlabels Dawn Records, Barry Murray, produziert und präsentierte eine erfreulich lebendige Band, die dank dem zuzug von Jackie Lynton nun noch einmal ein gutes Stück vom traditionellen Bluesrock wergkam. Nicht zuletzt dank der Kompositionen von Jackie Lynton kamen nun auch etwas soulige Noten, ja gar einige Jazz-Elemente in den Sound der Gruppe, der sich auf diesem Album zusammen mit bewährten Bluesrockern und feinen bluesigen Balladen erfrischend revitalisiert zeigte. Schon der sehr soulige Rocker "Coming Down Your Way" zeugten vom hohen kompositorischen Potential von Jackie Lynton. Der herzhafte Rocksong wurde später von der amerikanischen Band Three Dog Night gar als Titelsong für deren gleichnamiges 1975er Album gecovert. Das groovig-jazzige "If I Want To" und vor allem der unglaublich tolle Blues "Just 'Cos You Got The Blues, Don't Mean You Gotta Sing" zeigten die Band spielerisch auf einem absoluten Top-Level. Das dem Album den Namen gebende Stück "Jack The Toad", ebenfalls eine Nummer aus der Feder von Lynton, erzählte die Gunfighter-Geschichte im Spaghetti Western-Stil, verpackt in ein hervorragendes, wiederum leicht soulrockiges Musikkostüm.

Kim Simmonds seinerseits steuerte mit dem Track "Ride On Babe" einen Titel bei, den er selber sang und bei dem er auch die Mundharmonika spielte, etwas, das er auf späteren Platten häufiger präsentierte. Simmonds ist neben seinen unbestreitbaren Qualitäten an der Gitarre auch ein kompetenter Bluesharp Player. Paul Raymond wiederum verfasste den Titel "Hold Your Fire", während das ebenfalls überzeugende "Some People" eine energetische Kollaboration der Bandmitglieder zeigte. Das Stück zeigte wiederum leicht jazzige Ansätze, wurde abwechslungsweise vom Klavier von Paul Raymond, aber auch von Kim Simmonds' Gitarre getragen. Dazu präsentierten Savoy Brown auf "Jack The Toad" zwei Coversongs, die ebenso überraschend anders als die Originale, wie auch eher unbekannt waren. Das aus dem Jahre 1950 stammende "Endless Sleep", ein düsterer Kassiker aus der Feder von Jody Reynolds, der damals zu einem Nummer 5 Charts-Hit wurde, den später auch Marty Wilde coverte, sowie das Stück "Casting My Speel", geschrieben von Edwin und Alvin Johnson. Das gesamte Album präsentierte die charmante musikalische Mixtur einer Bluesband, die eine fabelhafte Pub Rock Session spielte. Es erstaunt nicht, dass insbesondere in den USA, wo die Band inzwischen viele Anhänger hatte, das Album bis auf Rang 34 in den Billboard Charts stieg. Auch in England verkauften Savoy Brown wieder mehr Platten als einige Jahre zuvor.

Auf dem Album spielte Paul Raymond im übrigen das Mellotron, das der Gruppe The Moody Blues gehörte. Er lehnte sich das Instrument aus für die Aufnahmen zum Titelsong, für welchen zusätzlich auch der Sopran Saxophonist Stan Saltzman und der Perkussionist Frank Ricotti rekrutiert wurden. Auf dem Album sangen auch die versierten Backgroundsängerinnen Sue (Glover) und Sunny (Leslie) mit. Das Cover-Artwork von David Anstey, welcher schon die Savoy Brown Alben "Blue Matter", "Looking In", "Street Corner Talking" und "Hellbound Train", sowie später auch "Skin'N'Bone" designed hatte, gab dem Album jenen Spaghetti Western-Anstrich, den die Titelgeschichte in Jackie Lynton's Song erzählte. Obwohl das Album recht erfolgreich war, für Savoy Brown eine erneute Auffrischung ihres variantenreichen Bluesrocks bedeutete und die Zeichen für eine erfolgreiche Zukunft ausserordentlich gut standen, nahm sich Kim Simmonds im Winter 1973, kurz vor der Weihnachtszeit eine kreative Auszeit, nur um wenige Tage vor Weihnachten eine Pressemeldung via britische Musikzeitschriften zu verbreiten, die einschlug wie eine Bombe: "The new Savoy Brown, featuring Kim Simmonds, Stan Webb and Miller Anderson will hit the Stage in Spring 1974".

Das konnten viele Fans kaum glauben und waren deshalb äusserst gespannt, was daraus werden würde. Doch das ist eine andere Geschichte, die Geschichte der "Boogie Brothers". Jackie Lynton ging zurück in seine Heimat und reformierte seine eigene Jackie Lynton Band, während sich der Schlagzeuger Dave Bidwell aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme schliesslich ganz aus dem Musikgeschäft zurückzog. Paul Raymond wanderte weiter, landete schliesslich bei UFO, Andy Pyle ging zu The Kinks und später in die Band von Gary Moore, und der Schlagzeuger Ron Berg, der zuvor bei Blodwyn Pig und Juicy Lucy getrommelt hatte und für den erkrankten Dave Bidwell zu Savoy Brown gekommen war, spielte danach bei Alvin Lee und in der Band von Mick Clarke.





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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Jack The Toad (1973)

Beitrag von Louder Than Hell »

Das Album besitze ich gar nicht, sondern nur noch die beiden späteren Einspielungen "Boogie Brothers" und "Wire Fire".

Und wieder ist dir eine erfrischende Rezi gelungen Mr. Kim Beatnik. 8-)
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BRAIN
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Re: [REVIEW] SAVOY BROWN • Jack The Toad (1973)

Beitrag von BRAIN »

Louder Than Hell hat geschrieben: Fr 3. Nov 2023, 17:37

Und wieder ist dir eine erfrischende Rezi gelungen Mr. Kim Beatnik. 8-)
Ein genialer Überblick über das Savoy Brown-Werk!
Bis jetzt hatte ich noch keine so umfassende Behandlung der Band gelesen. :clap:
Und ich weiß jetzt was der Beatnik-Avatar bedeutet.
MAKE PROG NOT WAR ! ---> ---> My 2024 Album Faves
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