[REVIEW] SAVOY BROWN • Raw Sienna (1970)

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Beatnik
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[REVIEW] SAVOY BROWN • Raw Sienna (1970)

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Die bereits aufgrund des überraschenden Erfolges ihres Albums "A Step Further" in den USA bestrittenen Konzerte zahlten sich für Savoy Brown weiterhin aus. Trotzdem entschied sich die Band um Mastermind Kim Simmonds und den brillianten Sänger Chris Youlden dazu, ein weiteres Album erneut in ihrer Heimat England aufzunehmen. Durch ein bereits früher geschlossenes Agreement zwischen ihrer Plattenfirma Decca Records und dem amerikanischen Parrot Label waren schon im Vorfeld der nächsten Aufnahmen die Weichen gestellt: Sowohl Decca wie Parrot gaben schon grünes Licht für die Veröffentlichung des fünften Albums von Savoy Brown, bevor überhaupt klar war, welche musikalische Richtung das nächte Werk einschlagen würde. Ein Arbeitstitel für das kommende Projekt war von Anfang an bestimmt: "Raw Sienna". Die spätere endgültige Veröffentlichung trug dann ebenfalls diesen Titel.

Durch die feste Zusage bereits im Vorfeld der Aufnahmen fühlten sich die Musiker schliesslich ermuntert, die Aufnahmen zwar wiederum in ihrer Heimat England einzuspielen, jedoch in den USA zu mixen und mastern. So entstand das erste quasi 'amerikanische' Album der Gruppe. Die Songs wurden im Recorded Sound Studio im Londoner West End aufgenommen. Der finale Mixdown und das Mastering fand jedoch auf der anderen Seite des grossen Teichs statt, und zwar im Bell Sound Establishment im Big Apple, dem Herzen New Yorks. Die Idee war, den Songs ein unverwechselbar amerikanisches Feeling angedeihen zu lassen, und damit einhergehend einen weiteren Schritt weg vom typisch britischen Bluesrock zu vollziehen. Ob sich dies kommerziell auszahlen würde, war jedoch alles andere als sicher, denn der Vorgänger "A Step Further" erwies sich in den USA als grosser Erfolg: Das Album schaffte am 13. September 1969 den Einstieg in die Billboard Top 200 Charts, kletterte bis auf Position 71 und hielt sich insgesamt 14 Wochen in den Billboard Charts.

Durch die geplante, verstärkte Neuausrichtung auf den amerikanischen Musikmarkt entschieden sich Kim Simmonds und Chris Youlden dazu, die neue Platte nicht mehr von Mike Vernon, dem Top-Produzenten von Decca Records, produzieren zu lassen, sondern "Raw Sienna" selbst zu produzieren. Eine gewagte Entscheidung, die ein grosses Risiko darstellte, waren doch die Namen Mike Vernon und Savoy Brown bislang untrennbar miteinander verbunden. Trotzdem wagten Savoy Brown diesen Schritt, der auch eine Zäsur in der bisherigen Arbeitsweise bedeutete, denn Kim Simmons setzte bei den Songs zum "Raw Sienna" Album verstärkt auf Jam-Elemente, und bei diesen vor allem auf amerikanische Jazz-Muster. Das Kompositions-Gerüst war ebenfalls neu: Es gab auf "Raw Sienna" nicht mehr wie zuvor Kollaborationen zu hören etwa zwischen Kim Simmonds und Chris Youlden. Stattdessen trugen beide Musiker unabhängige eigene Kompositionen bei, welche die Band im Verbund arrangierte und einspielte. Ein Novum waren auch die Brass- und Streicher-Elemente.

Bei den Songs des Albums zeigte sich, dass Chris Yopulden's Kompositionen wesentlich zugänglicher ausfielen: "A Hard Way To Go" bot einen wunderbar lockeren Jazz-Schmiss, "Needle And Spoon" geriet zu einer Art jazzigem Blues, "A Little More Wine" war grossartiges Jam-Feeling und "I'm Crying" ein opulent mit Bass-Instrumenten arrangierter Jazzrock-Song. Die coolste Nummer jedoch war "Stay While The Night Is Young", ein verhaltener, dennoch fiebriger Jazzblues-Titel, den Chris Youlden meisterlich inszenierte und der ein ganz spartanisches Arrangement erhielt. Das finale "When I Was A Young Boy" wiederum fügte dem jazzigen Grundton noch eine kleine Prise Folk-Würde bei. Kim Simmonds zeigte sich mit seinen Beiträgen wesentlich experimentierfreudiger. "Master Hare" ist ein waschechter Brass Rock mit Jam-Einlagen: Sehr viel Drive und exzellente Gitarrenarbeit - ein Instrumental-Titel, perfekt zugeschnitten auf den Bandleader. "That Same Feelin'" erinnerte an den Jazzrock des ersten Blodwyn Pig Albums, während "Is That So", erneut ein Instrumental, ein feiner Jazztitel war, dessen Kern im Grunde von Simmonds' subtiler Solo-Spielweise lebt.

"Raw Sienna" erschien am 25. April 1970 zuerst in den USA (ein Novum bei einem Savoy Brown Album), bevor es am 8. Mai 1970 auch in England veröffentlicht wurde. Den Achtungserfolg des Vorgängers "A Step Further" konnte das neue, jazzige Album nicht wiederholen. "Raw Sienna" konnte sich zwar 18 Wochen lang in den US-Charts halten, kam aber nicht über Rang 121 hinaus. Noch schlechter sah es in ihrer Heimat England aus. Dort konnte die Platte den Sprung in die Charts nicht schaffen. Trotzdem veröffentlichte Decca Records in England neben dem Album auch eine Single. Dazu wählte sie den LP-Opener "A Hard Way To Go" und fügte als B-Seite einen Song der Vorgänger-LP hinzu: "Waiting In The Bamboo Grove". Promoted wurde die Platte in England leider kaum, es fanden ein paar Konzerte statt, einige davon im Verbund mit Ten Years After und Jethro Tull, mit welchen sich Savoy Brown das Konzertmanagement, die Chrysalis Agency, teilten. Erfolgreicher waren wie zu erwarten ihre Auftritte in den USA, die kurz darauf folgten.

Die langen Reisen quer durch die Staaten setzten der Band langfristig jedoch zu, was schliesslich dazu führte, dass Chris Youlden sich aus der Band verabschiedete. Er reiste noch während der laufenden US-Tour zurück nach England, wo er einige Monate später beim Label Deram Records (das zum Decca Konzern gehörte) einen Solo-Plattenvertrag unterzeichnete, in deren Folge er zwei Alben veröffentlichte, die von den Musikkritikern zwar hochgelobt wurden, jedoch völlig erfolglos blieben (Nowhere Road" 1972, "City Child" 1973). Chris Youlden drehte danach der Musikszene für lange Zeit den Rücken. Er opferte seine beruflichen Ambitionen als Musiker, um einen Abschluss in Soziologie zu machen. Erst mehr als eine Dekade später tauchte er in London's Bluesszene wieder auf, diesmal jedoch weit unter dem Radar irgendwelcher Kritiker, sang unter anderem in der hervorragenden Band von Shakey Vick mit, war als Gastsänger auf einem Album des Bluesgitarristen Mick Pini zu hören (Mick Wildman Pini, 1989) veröffentlichte mit Musikern aus Shakey Vick's Band auch ein weiteres 'Band'-Album unter dem Namen Waydown ("Greek Street", 2005).

Chris Youlden präsentierte nebenbei eine ganze Reihe meist sehr guter weiterer Soloalben, die jedoch allesamt kaum zur Kenntnis genommen wurden, wie zum Beispiel das Werk "Mantico", das er 1993 als eine Art Comeback verstanden haben wollte und dafür sogar eine eigene Band gründete mit dem Namen The Big Picture, die sich jedoch mangels Erfolg bald wieder auflöste, genauso wie sein nächstes Band-Projekt Maxwell Street, das es immerhin noch auf ein Mini-Album brachte ("Movin' Along", 2002). Mit The Slammers gab es noch ein weiteres Band-Projekt von Chris Youlden, das zwar brilliante Rhythm'n'Blues- und Bluesrock-Aufnahmen einspielte, für die sich jedoch kein Label fand. Die Aufnahmen wurden erst 2018 beim Kleinstlabel The Last Music Company erst- und einmalig in kleinster Auflage unter die Fans gebracht. Erwähnenswert ist letztlich noch sein Soloalbum "Second Sight" aus dem Jahre 1994, das zustande kam dank der grosszügigen Unterstützung von Uwe Tessnow (Line Records). Das Album enthielt einige hochkarätige Songs, die Chris Youlden scheinbar immer noch locker aus dem Hemdsärmel schütteln konnte, schreckte aber viele Musikhörer ab wegen der teilweise sehr kalten digitalen Produktion. Trotzdem lohnt sich hier ein Reinhören auf jeden Fall.

Es ist eigentlich ein Jammer, dass Kim Simmonds und Chris Youlden nicht weiter zusammen musiziert haben, da wäre ganz bestimmt noch das eine oder andere grossartige Projekt aus der Taufe gehoben worden. "Raw Sienna" gehört definitiv zu den besten Werken der Gruppe Savoy Brown.





Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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