[REVIEW] Hilton Valentine • All In Your Head (1970)

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Beatnik
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[REVIEW] Hilton Valentine • All In Your Head (1970)

Beitrag von Beatnik »

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Es gab schon immer einen besonderen Platz im Herzen der Plattensammler für späte 60er Jahre Acid Rock Alben. Syd Barrett's Solo-Arbeit und Alexander "Skip" Spence's aussergewöhnliche Platte "Oar" sind wohl die bekanntesten Beispiele für dieses faszinierende Sub-Genre des ursprünglichen Psychedelik-Rock, aber es gibt durchaus ein paar weitere beachtenswerte Alben aus diesem musikalischen Bereich, vor allem Sky Saxon's Post-Seeds Abenteuer mit der religiösen Kult-Gemeinde Ya Ho Wha sind da zu nennen, oder der ehemalige Monkees-Songwriter Craig Smith und seine herausragenden Vinyl-Abenteuer unter dem Pseudonym Maitreya Kali. Irgendwie rutschte dabei Hilton Valentine's 1969 Sololauf, die psychedelische Folk-Trouvaille "All In Your Head" durch das Netz, in welchem meist verschrobene Alben aus jener Aera hängenblieben, um später als Kultalben unter Sammlern heiss begehrt zu sein. Indes kenne ich bis heute leider keinen Sammler oder Fan, der dieses Album noch kennt, geschweige denn in seiner Sammlung stehen hat und ihm diesen stillen Meisterwerk-Status attestieren würde. Wer aber war denn eigentlich Hilton Valentine ?

Fans der britischen 60's Band The Animals kennen ihn wahrscheinlich als einzige noch. Valentine war deren Gitarrist und schuf unter anderem das bis heute wohl weltberühmte Gitarrenriff zu deren Song "The House Of The Rising Sun". Auch die prägnanten Akkorde beim Animals Hit "We've Gotta Get Out Of This Place" stammen von ihm. Sein typisches Arpeggio übte eine geradezu seismische Wirkung auf eine Armada von Nachwuchsgitarristen der damaligen Zeit. Als die Animals sich erstmals in Wohlgefallen auflösten, konnte sich Hilton Valentine noch einige Zeit mit Acid- und Psychedelic Rock über Wasser halten, bis diese Aera buchstäblich davongeschwommen war. Gegen Ende der Hippie-Dekade stand er mit abgesägten Beinen da. Seine Drogensucht wirkte nicht gerade förderlich auf dem Weg der musikalischen Weiterentwicklung, weshalb er folgerichtig nicht einen Schritt vorwärts, sondern rückwärts machte, indem er sich seiner eher im Folkbereich liegenden Roots erinnerte und leicht anpsychedelisierten Folkpop, resp. Folkrock spielte, der ihm immerhin die Möglichkeit eröffnete, gegen Mitte des Jahres 1969 einen Plattenvertrag mit Capitol Records zu ergattern.

Hilton Valentine nutzte die Gunst der Stunde und legte sein ganzes Können, sein Feeling und vor allem seine grosse Erfahrung in die Aufnahmen zu dem Album "All In Your Head" und kredenzte der Musikwelt eine einmalige Mischung aus folkloristischen Pop- und Rock-Kleinodien, die noch leicht verworren und nebelverhangen wirkten, aber doch eher im Hier und Jetzt verankert waren als im süsslichen Haschischnebel der Späthippies. Etwaige Vergleiche mit Syd Barrett's Solowerk sind legitim, Soundähnlichkeiten auch nicht von der Hand zu weisen. Wie Barrett gelang es Valentine sehr gut, sich von den Fesseln seiner übermächtigen Band zu lösen und jeglichen Animals-Charakter aus den Stücken herauszuhalten, was ihm aber leider nicht half, denn noch gab es zu viele Animals Fans, die sich auf ein Werk gefreut hatten, die den Geist der alten Zeiten noch einmal heraufbeschwören würde. Für einen Animals-Fan musste das Werk daher eine herbe Enttäuschung darstellen. Der Anteil Rhythm'n'Blues war gleich null, und da und dort klang das Album schon eher wie eine frühe Platte von Donovan, oder eben von Syd Barrett, dessen trübsinnig-traurige Melancholie genauso durch die Lieder von Hilton Valentine weht.

Nichts desto trotz präsentierte Valentine auf "All In Your Head" eine ergreifend schöne Sammlung von alle Sinne öffnenden Songperlen, die mit teils barocken Arrangements eine herrliche Grandezza in die Lieder legte, die doch in ihrer Schlichtheit an sich so sehr puristisch und unschuldig wirkten. Hinter den Zeilen jedoch verbarg sich das Leid in seiner vollen Wucht. Die Songs wirkten nicht tragisch, sie waren es. Manch ein Song wirkte fast kindlich, während andere wiederum das fühlbare kalte Grausen verströmten, das ein unschuldiges Herz erfassen kann, wenn es sich völlig alleine und verloren in einem dunklen Wald wähnt. Da die Verkaufszahlen der zeitgleich veräffentlichten Animals-Singles rückläufig waren, versuchte Capitol Records gar nicht erst, Hilton Valentine's Solowerk stärker zu promoten, weshalb es die Platte kaum auf irgendwelche Neuheiten-Listen schaffte, von Radio Airplay ganz zu schweigen. Die Platte erschien damals nur in Amerika und Kanada, wo sie praktisch kaum zur Kenntnis genommen wurde. Selbst heute, nach so vielen Jahrzehnten seit ihrer Veröffentlichung, wissen noch nicht einmal viele Animals-Fans überhaupt von der Existenz dieses Albums.

Als Valentine sich an die Arbeit zu diesem Album anschickte, war er fest unter dem Einfluss von Donovan, weshalb es keine Überraschung war, dass in seinem Kopf die Ideen des keltischen Barden Ende der 60er Jahre durchaus eine inspirierende Vorlage lieferten: neuzeitliche Kinderreime mit einem starken Love & Peace Hippie-Ethos, sanft-traurige Stimmen, welche den lieblichen Songtexten mit unaufdringlichen Schrammelgitarren, barocken Orchestrierungen und einem allgemein den späten 60er Jahren geschuldeten psychedelischen Folk-Attitüde Rechnung trugen. Zwei der Songs hatten bereits einige Jahre zuvor das Licht der Welt erblickt, nämlich "Run Run Run" von Keith Shields und "It's All In Your Head" von Natasha Pyne. Aber auch die aktuell für das Werk komponierten Songs wie etwa "Girl From Allemagne", ein beschwingtes und bezauberndes Liebeslied, das Hilton geschrieben hatte, nachdem er in Deutschland gastierte und dort Jemanden kennengelernt hatte, mit dem er telepathisch kommunizieren konnte und folgedessen ein Lied darüber schrieb, hätten eigentlich jeden Folk- und Folkpop Fan begeistern müssen.

Stattdessen stellte selbst Hilton Valentine das Werk schon kurze Zeit nach den Aufnahmen selber in Frage. Er war nicht besonders glücklich über die Ausarbeitung der Songs, denen er sehr gerne ein etwas opulenteres Erscheinungsbild gegeben hätte, wenn die nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestanden hätten. Alelrdings kann man darüber im nachhinein schon fast glücklich sein, dass die Songs letztendlich in dieser schlichten und einfachen Form auf Platte gebannt wurden. Die Faszination, die von den tollen Kompositionen ausgeht, ergibt sich nicht zuletzt auch aus der teils minimalen und einfach gehaltenen Instrumentierung und der Arrangements, die sehr schlicht und manchmal fast spröde wirken. Ausserdem klingen Songs wie "Little Soldiers" durch dessen leichten Varieté-Charme, "Is There Anything But Love" mit diesem präzise gesetzten Bläsersound und besonders "Run Run Run" mit aussergewöhnlichen Didgeridoo-Klängen ganz besonders verbindlich und einnehmend. Dazu gesellen sich Titel, die vor allem viel vom musikalischen Flair eines Bob Dylan, aber auch der Byrds verströmen, insgesamt aber durch ihre instrumentale Schlichtheit oft eine gewollte Zurückgenommenheit, ja schon fast eine bewusst intime Umsetzung der kleinen Geschichten erzeugen und damit ausserordentlich glaubwürdig wirken.

Gemessen am Umstand, dass es ausgangs der 60er Jahre doch sehr viele Donovan-Klone gab, die alle mehr oder minder erfolgreich oder auch nicht versuchten, ihre teils einfachen Geschichten in ein folkloristisches Gewand zu kleiden, das irgendwie ansprechend aussehen sollte, sind es Musiker wie Hilton Valentine, die mit einfachen Mitteln, aber einer grossartigen Performance zu überzeugen wussten, auch wenn die grossen Plattenfirmen damals, wie hier im Falle des Labels Capitol, kein gutes Geld mit solchen Produktionen gemacht werden konnte, weshalb auch leider keine entsprechende Werbung für die eine oder andere Top-Platte gemacht wurde. Ein Jammer, denn es gibt noch so viele herrlich schöne Kleinodien aus jener Zeit zu entdecken, die damals durch das kommerzielle Raster fielen. Hilton Valentine hat Zeit seines Lebens keinen Frieden mit diesen Aufnahmen gefunden. Vielleicht liegt es aber nicht an den Songs, sondern schlicht am Umstand, dass der Künstler damals vom sehr bescheidenen Echo auf die Platte ganz einfach enttäuscht war. Mehr als vierzig Jahre nach dem erfolglosen Release seines ersten Soloalbums behauptete Hilton nämlich immer noch, dass er das Werk lieber vergessen würde. Das ist natürlich das Vorrecht des Künstlers, aber es gibt nichts über das äusserst charmante Erscheinungsbild der Platte "All In Your Head" zu sagen, das den Künstler Valentine in Verlegenheit bringen sollte. Aber so ist das Leben. It's All In Your Head: Hier ist alles in deinem Kopf; dieses schöne, sanfte, rätselhafte, manchmal etwas nebelverhangene 60er Jahre-Lebensgefühl. Hilton Valentine starb am 29. Januar 2021.



Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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BRAIN
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Re: [REVIEW] Hilton Valentine • All In Your Head (1970)

Beitrag von BRAIN »

Wieder mal ein starkes Review von einer mir unbekannten Scheibe! :yes:
Die Clips sprechen mich direkt an.
Da wird zukünftig das Auge offen gehalten.!
MAKE PROG NOT WAR ! ---> ---> My 2024 Album Faves
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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] Hilton Valentine • All In Your Head (1970)

Beitrag von Louder Than Hell »

Mit Hilton Valentine ergeht es mir ähnlich wie Andreas, mir sagt weder der Name etwas noch die Platte etwas.

Aber auch mir gefallen die beiden Songbeispiele, die nach meinem Geschmack keinen 0815 Folk bieten.

Dass der Gute mal bei den Animals gespielt hat, war mir nicht bekannt. Aber ich habe aber entdeckt, dass er mit Big Boy Pete eine Platte aufgenommen hat.

Abschließend kann ich nur noch anmerken, dass dir wieder eine starke Rezi mit vielen Details gelungen ist.
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