[REVIEW] Dave Sharp • Downtown America (1996)

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Beatnik
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[REVIEW] Dave Sharp • Downtown America (1996)

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Dave Sharp's nächstes, wenn auch leider nur kaum beachtetes zweites Solo-Album, ist eine noch stärkere Abkehr vom hymnischen Anglo-Rock seiner ehemaligen Band. Wie der Titel schon verrät, ist hier die amerikanische Musik des kleinen Mannes am Start, eine Art Bob Dylan, vermischt mit dem wundervollen Flair des Heartland Rock, der aber trotzdem mit einem ausgeprägten europäischen, streckenweise an Billy Bragg erinnernden Kern ausgestattet ist. Die Anwesenheit von Ace-Gitarrist David Grissom (John Mellencamp, James McMurtry, und viele andere) zementiert die betonte 'rootsy' Atmosphäre zusätzlich. Quasi-politische Statements über Amerika und all dessen Unzulänglichkeiten, vor allem von einem Ausländer dargeboten, ist oft schwer zu nehmen, aber zum Glück singt Sharp, den man durchaus als vollendeten Liedermacher bezeichnen kann, mit einem untrüglichen Blick und messerscharfen Verstand aus Überzeugung, mit viel Ehrlichkeit, sodass er am Ende mit seinen Geschichten immer glaubwürdig klingt. Eigentlich wünschte man sich einmal ein Bob Dylan-Album, das genau so in Szene gesetzt wird. Musikalisch ist Dave Sharp's Universum natürlich kein wirkliches Neuland, aber die versammelten Musiker hier spielen einen unbändigen und hemdsärmligen, nichtsdestotrotz extrem melodischen Roots-Rock, der vor allem dank der hervorragenden und taffen Produktion von Prairie Prince über viel Dynamik verfügt, kombiniert mit Sharp's Whiskey getränkter Stimme jederzeit einen gewissen Gemütlichkeitsfaktor erhält, den manchmal Bob Seger mit seiner Silver Bullet Band in dessen besten Momenten zelebrierte.

Nachdem sich die Band The Alarm in den frühen 90er Jahren splittete, zog Dave Sharp nach New York. Er traf die Rockabilly-Band Barnstormers, und diese arbeitete mit ihm an seinem ersten Solo-Album "Hard Travellin'", das im Jahre 1991 erschien. Produziert von Bob Johnson, der mit Bob Dylan auf den klassischen Alben wie "Blonde On Blonde", "John Wesley Harding" und "Nashville Skyline" gearbeitet hatte, führte den britischen Musiker Sharp weg vom bisweilen recht hymnisch klingenden Sound seiner ehemligen Gruppe, hin zu typisch amierkanischen Roots-Rock und Folk-Mustern. "Hard Travellin'" wurde von Kritikern gelobt und die stilistische Nähe zu Dylan explizit erwähnt. Von 1991 bis 1993 tourte Dave Sharp die Vereinigten Staaten, sein zweites Album "Downtown America" erschien dann drei Jahre später.

Mit seinen Barnstormers machte sich Dave Sharp auf den Weg nach Grossbritannien. Die Tour wurde sehr gut aufgenommen, weshalb er sich Gedanken zu einem weiteren Album machte. Er beschloss, sofort nach dieser Tournee in die USA zurückzukehren, um mit der Arbeit an seinem zweiten Album zu starten. Der Musiker reiste nach New Orleans, das schien ihm der perfekte Ort zu sein, um an dem Nachfolger für "Hard Travelin'" zu arbeiten und obwohl nur geplant war, in New Orleans an den Songs für das Album zu arbeiten, liess sich Dave Sharp in der Stadt nieder, was dazu führte, dass er viel von der Geschichte und dem typischen Lebensgefühl der Menschen dort in seiner Musik und den Songtexten berücksichtigte. Nachdem die Aufnahmen im Kasten waren, ging Sharp mit den Bändern nach Kalifornien, um die Stücke mit seinem Produzenten Bob Johnston fertigzustellen. Die Arbeit mit den Barnstormers auf "Hard Travellin'" und mit Bob wieder auf "Downtown America" war erneut eine sehr inspirierende Erfahrung für den Musiker.

Sharp war lange Zeit von der Arbeit von Woody Guthrie inspiriert worden, und das politische Element seines Songwritings war mit den Jahren immer wichtiger für ihn geworden. Die Auflösung der Band ALARM wirkte daher sehr befreiend für den Musiker, der sich nun voll und ganz auf seine eigene künstlerische Ausdrucksform konzentrieren konnte und keinerlei kreative Kompromisse schliessen musste. Es war ihm durchaus bewusst, dass ihn dadurch eine Menge Arbeit erwarten würde, um sich als eigenständiger Singer/Songwriter profilieren zu können, zumal die Konkurrenz in diesem Bereich vor allem in Amerika ja nicht gerade klein ist. Die ganze amerikanische Landschaft, die bewegende und turbulente Geschichte dieses Landes, sowie seine Politik hat ihm letztlich dabei geholfen, sich auf relativ kritische Art mit allem auseinanderzusetzen, was ihn beschäftigte und was er damals fühlte. Zu Dave Sharp's persönlichen Highlights zählten die Farm Aid Konzerte und die sogenannten "Earth Day" Feiern, bei welchen er mit seiner Band gefeiert wurde. Sharp spielte auch in New York City im Juli 1992 vor 25000 Leuten im Central Park, die sich dort versammelt hatten, um den achtzigsten Geburtstag der Folk-Legende Woody Guthrie zu feiern.

Die Platte "Downtown America", aufgenommen im selben Tonstudio, in welchem die legendären Credence Clearwater Revival ihre Aufnahmen gemacht hatten, warf unverhofft zwei Underground-Hits ab: "The Ghost Of Preacher Casey" und "Give Me Back My Job". Beide Songs wurden im amerikanischen Radio oft gespielt und führten zu Fernsehauftritten zumeist in Country-Sendungen mit Connections nach Nashville. Neben den beiden populärsten Songs des Albums bot die Platte jedoch ein Füllhorn phantastischer Songs, die immer im Bereich Roots Rock, Country-Rock und Americana angesiedelt waren und nicht selten, wie etwa im wunderschönen "Twistin' Wind" an die guten alten Eagles erinnerten. Doch auch John Hiatt war zumindest stilistisch allgegenwärtig. Einige Songs wie zum Beispiel "It's A Mean Mean Hand" oder "The Last Fair Deal" könnten sich gut und gerne auch auf einem Hiatt-Album wiederfinden. Das leichte, durch die Perkussion von Tony Menjevar unterstützte "Road To Mexico" zeigte gar Latin Flair und vor allem konnte sich der weltberühmte Pianist Pete Sears (Quicksilver Messenger Service, Hot Tuna, Jefferson Airplane und Starship) perfekt in Szene setzen. Seine Piano- und Orgellinien verliehen allen Songs einen perfekten Glanz. Jimmy Pugh an der Hammond B3 setzte weitere bemerkenswerte Akzente, beispielsweise im tollen Roots Rocker "Drive These Blues Away" oder in "Give Me Back My Job". Pugh spielte in der Robert Cray Band und bei John Campbell, John Lee Hooker und B.B. King in deren Bands.

Der ausführende Produzent Prairie Prince, mit bürgerlichem Namen Charles Lenprere Prince Jr., der auf dem Album "Downtown America" auch Schlagzeug spielte, konnte seinerseits schon zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen zum Album auf eine lange Karriere zurückblicken. Er sang und spielte beispielsweise bei den Tubes, bei der Surf Legende Dick Dale, bei XTC und im breiteren Umfeld von Grateful Dead. Er war mit den uramerikanischen Sound-Traditionen bestens vertraut und Dave Sharp hatte daher für sein zweites Werk die optimale Crew zusammengetrommelt. Eigentlich ist es aus heutiger Sicht nur schwer zu verstehen, warum dieses brilliante Album, das zudem noch erstklassig klingt, nicht eine breitere Resonanz gefunden hat.

Dave Sharp hat sich damit allerdings nie schwer getan. Er spielt nachwievor seine hervorragende 'rootsy' Musik und hat über seine eigene Webseite auch immer mal wieder limitiert gepresste CDs für seine Fans nachgelegt mit Musik, die einfach Freude macht. Nur ein grösserer Deal mit einer Plattenfirma blieb ihm leider versagt.

Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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