[REVIEW] Various Artists • White Mansions (1978)

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Beatnik
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[REVIEW] Various Artists • White Mansions (1978)

Beitrag von Beatnik »

Ein Abriss der amerikanischen Geschichte des Bürgerkriegs von 1861 bis 1865 war das Konzept einer von Produzent Glyn Johns musikalisch umgesetzten Geschichte aus der Feder von Paul Kennerley, der auch sämtliche Songs zu dem Album komponierte. Für das ehrgeizige Projekt konnte eine Handvoll erlesener Musiker aus dem Country- und Rock-Bereich rekrutiert werden, was dazu führte, dass bei diesem prachtvollen Album eigentlich alles stimmte: Geschichte, Gestaltung und musikalische Umsetzung. Bei "White Mansions" handelt es sich um eines der wenigen Konzept-Werke aus dem erweiterten Umfeld der Country-, resp. Country Rock-Musik, dem eine Story aus der amerikanischen Geschichte zugrunde liegt. Ein Konzept, das in ähnlichen Varianten meist eher aus dem Bereich der Rockmusik hätte vermutet werden können.

Der Sezessionskrieg oder Amerikanische Bürgerkrieg war der von 1861 bis 1865 währende militärische Konflikt zwischen den aus den Vereinigten Staaten ausgetretenen, in der Konföderation vereinigten Südstaaten und den in der Union verbliebenen Nordstaaten (Unionsstaaten). Ursache war eine tiefe wirtschaftliche, soziale und politische Spaltung zwischen den Nord- und den Südstaaten, die sich vor allem in der Sklavereifrage öffnete und sich seit etwa 1830 immer weiter vertieft hatte. Als Reaktion auf die Wahl Abraham Lincolns – obwohl nur gemässigter Sklavereigegner – zum US-Präsidenten traten im Winter 1860/61 die meisten Südstaaten aus der Union aus. Der Krieg begann am 12. April 1861 mit der Beschiessung von Fort Sumter durch die Konföderierten. Er endete im Wesentlichen mit der Kapitulation der konföderierten Nord-Virginia-Armee in Appomattox Court House am 9. April 1865. Die letzten Truppen der Konföderierten kapitulierten am 23. Juni 1865 in Texas. Nach dem Sieg des Nordens wurden die Südstaaten im Rahmen der sogenannten "Reconstruction" wieder in die Union aufgenommen. Die wichtigsten Folgen des Krieges waren die Stärkung der Zentralmacht und die endgültige Abschaffung der Sklaverei in den USA, sowie die verstärkte Ausrichtung des Landes als Industriestaat.

Dieser Krieg diente Paul Kennerley als Vorlage zu einer musikalischen Geschichte, in welcher die beteiligten Musiker in ihren Liedern jeweils verschiedene Charakteren darstellten und es wurde versucht, den Bürgerkrieg aus der Sicht von Menschen aus den Südstaaten abzubilden und zu verarbeiten. Der ursprüngliche Werbeberater Paul Kennerley wurde erstmals musikalisch aktiv im Jahre 1972, als er mit der Rockband Holy Roller im soeben neu eröffneten Manor Studio in Monmouth (das später weltberühmt wurde unter anderem als Geburtsstätte von Mike Oldfield's "Tubular Bells") Stücke aufnahm, die im Grunde erste Demoversionen des später erscheinenden Konzeptalbums waren. Dabei standen ihm beispielsweise Tom Newman oder Philip Newell zur Seite - zwei Musiker, die zu den Studiomusikern des Manor Houses gehörten. Tom Newman sang sämtliche Songs dieses Demo-Tapes, mit welchem Paul Kennerley später auf die Suche nach einer Plattenfirma ging. Doch erst knapp 6 Jahre später war Kennerley erfolgreich. Die Geschichte inzwischen perfekt auskomponiert und durcharrangiert, zeigte sich das sowohl in England, wie auch in Amerika aktive Plattenlabel A&M Records interessiert, das Projekt professionell umzusetzen und zu veröffentlichen. Dazu wurde Produzent Glyn Johns aufgeboten, jener Produzent, der schon Alben für die Eagles, oder auch für Led Zeppelin realisiert hatte. Zu der Zeit, als er die Aufgabe übernahm, das "White Mansions" Projekt umzusetzen, war er gerade sehr erfolgreich als Produzent von Eric Clapton, mit welchem er die beiden Alben "Slowhand" und "Backless" realisiert hatte und kommerziell zwei Volltreffer landete. Was lag dabei näher, als Eric Clapton in dieses Projekt miteinzubeziehen ?

Neben Eric Clapton bot Glyn Johns auch einen seiner persönlichen Lieblingsmusiker auf: Waylon Jennings. Der Country Outlaw war begeistert von diesem Projekt, reflektierte es doch mit seinem geschichtlichen Hintergrund auch ein stückweit seiner eigenen familiären Wurzeln - Jennings wuchs als Farmers-Sohn in Texas auf. Ausserdem wurde die damalige Freundin von Waylon Jennings, Jessi Colter, in das Projekt miteinbezogen. Die einst mit Rock'n'Roll-Legende Duane Eddy verheiratete Countrysängerin war zu der Zeit ebenfalls als Künstlerin sehr erfolgreich, ebenso wie die Country Rock Band The Ozark Mountain Daredevils, welche mit John Dillon und Steve Cash zwei weitere Charakteren für die Geschichte stellten. In ihrer Eigenschaft als typische Südstaatler jener Tage agierten sie auf der Platte als Polly Ann Stafford (Jessi Colter), Tochter eines Diplomaten und Kriegsversehrten-Krankenschwester. Waylon Jennings trat in der Geschichte als "The Drifter" auf, der weise Mann, der nicht aktiv als Soldat am Bürgerkrieg teilnehmen konnte, von Ort zu Ort zog und die Bevölkerung jeweils über die neuesten politischen und kriegerischen Geschehnisse informierte. Als "The Drifter" führt Waylon Jennings nicht nur als Sänger, sondern auch als "Narrator", also als Erzähler durch die Geschichte. Mit seiner tiefen und warmen, sonoren und sehr einnehmenden Stimme eine perfekte Wahl für diese Rolle. Der Gitarrist und Sänger John Dillon übernahm die Rolle des Matthew J. Fuller, ein Baumwoll-Farmer und typischer Vertreter der Südstaaten-Aristokratie und sein Band-Kumpel bei den Ozark Mountain Daredevils, Steve Cash verkörperte als Caleb Stone einen rassistischen Gelegenheitsarbeiter ohne Beruf, ohne Land und ohne Geld, der sein Schicksal mit den Schwarzen im Süden teilte, als Aufseher auf Baumwollplantagen jedoch in rassistischer Weise die schwarzen Feldarbeiter drangsalierte und verhöhnte und sie quasi verantwortlich machte für sein eigenes Scheitern.

Die Musik zur Geschichte wurde eingespielt von den vier Hauptakteuren, unter Mithilfe von Eric Clapton, der die Slide- und die Resonatorgitarre beisteuerte, ausserdem Bernie Leadon, dem Gitarristen der Eagles und der Flying Burrito Brothers, dem Keyboarder Tim Hinkley (Jody Grind, Snafu, Vinegar Joe), dem Bassisten Dave Markee (Greenslade, Magna Carta) und dem Schlagzeuger Henry Spinetti (Gerry Rafferty, Pete Townshend). Obwohl das ganze Projekt perfekt umgesetzt war, die Akteure hervorragend performten und dem Album mit ihren detailverliebten und glaubwürdig umgesetzten Geschichten der Einzelschicksale der Charakteren unzählige Glanzlichter schenkten, geriet das Unternehmen zu einem grossen kommerziellen Flop, der auch von den Musikkritikern mehrheitlich negativ beurteilt wurde.

Zwei Jahre später versuchte der Initiant Paul Kennerley mit einem weiteren geschichtsträchtigen Epos über das Leben von Jesse James erneut ein Konzeptalbum, aber auch das stellte sich trotz erneuter Starbesetzung als musikalischer Misserfolg heraus. "The Legend Of Jesse James" wurde mit Top-Stars wie Johnny Cash, Emmylou Harris (mit der Paul Kennerley einige Zeit verheiratet war), Charlie Daniels, Albert Lee und Levon Helm wie sein Vorgänger "White Mansions" äusserst prominent besetzt - die Geschichte war wiederum sehr gut ausgedacht, die Songs klasse, aber erreichten das Publikum nicht wie erhofft. Desillusionieren liess sich Paul Kennerley deswegen jedoch nicht, riss aber in späteren Jahren keine eigenen Projekte mehr an und arbeitete vorwiegend als Songschreiber im Bereich der Countrymusik, und in dieser Eigenschaft war er sehr erfolgreich. Er komponierte Songs unter anderem für Tanya Tucker, The Judds, Juice Newton oder Patty Loveless. Mit einem eigenen Soloalbum reüssierte er ebenfalls. 1989 erschien sein einziges eigenens Mini 5 Song-Album mit dem Titel "Misery With A Beat", das leider ebenfalls komplett unterging.

Wer sich für beide Konzeptwerke von Paul Kennerley interessiert, dem sei die zwei CD-Variante empfohlen, welche sowohl "White Mansions", als auch den Nachfolger "The Legend Of Jesse James" bietet (Mercury Nashville Records 540791, 1999).

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Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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