[REVIEW] Ben • Ben (1971)
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[REVIEW] Ben • Ben (1971)
Es gibt Platten, die will man einfach mal hören, weil sie legendär und sagenumwoben sind. Meistens sind solche sagenumwobenen Platten irgendwelche Machwerke, hinter denen sich womöglich hinter einem Pseudonym ein bekannter Musiker verbirgt. Oder es handelt sich um Platten, die einfach keiner im Bekanntenkreis in der Sammlung hat, weil sie unbezahlbar sind und im Original zu Mondpreisen gehandelt werden. In diese Kategorie fällt die einzige LP der ansonsten völlig unbekannten Jazz Gruppe Ben, die 1971 ihre einzige Platte auf dem legendären Vertigo Swirl Label veröffentlicht hat. Ben haben auch überhaupt nicht in den musikalischen Katalog des Swirl Labels gepasst, obschon auf dem progressiven Label auch jazzige Acts wie Ian Carr und seine Band Nucleus, die Gruppe Catapilla oder Graham Bond eine Plattform erhielten. Die drei Genannten haben aber auch Sachen eingespielt, die manchmal auch schon nahe am Rock angesiedelt waren. Ben gar nicht, die haben wirklich Jazz gespielt. Vielleicht ist es dem Umstand zu verdanken, dass ich einfach ein brettharter Sammler von Vertigo Swirl Platten bin, dass auch ich diese LP unbedingt haben wollte.
Zu dem legendären Plattenlabel hatte ich mal eine längere Abhandlung niedergeschrieben, hier nochmal einige Infos zu diesem insbesondere in Sammlerkreisen hochgschätzten Label: Die Plattenfirma wurde 1969 von der Philips Phonographic Industry gegründet und sollte sich auf Progressive Rock spezialisieren. Bis 1973 erschienen diverse Singles und LPs mit jungen und modernen Künstlern, darunter auch die später berühmt gewordenen Black Sabbath, Gentle Giant, Status Quo, Rod Stewart und Uriah Heep. In späteren Jahren wurde das Programm kommerzieller, unter anderem mit Thin Lizzy, Dire Straits und Metallica. In den 90er Jahren verlor das Label zunehmend seine Selbständigkeit und ging schliesslich in Mercury Records auf. Die Polygram-Gruppe wiederum wurde von Philips an die Universal Music Group verkauft, die ihrerseits in Vivendi Universal aufging. Die Vertigo-Veröffentlichungen der Ära von 1969 bis 1973, die sogenannte 'Swirl-Phase' gelten heute als wegweisend für die Entwicklung der progressiven Rockmusik. Die meisten der klassischen Aufnahmen sind inzwischen wiederholt auf CD erschienen. Zu Beginn des neuen Jahrtausends begann Vivendi Universal mit einer Reaktivierung des alten Labels, wobei die musikalische Ausrichtung sich von den Anfängen erheblich unterschied.
Die historischen Veröffentlichungen werden gelegentlich als 'Vertigo-Swirl' oder 'Spiral Vertigo' bezeichnet. Bei diesen LPs war der Papiereinleger in der Mitte (das Label im eigentlichen Sinne) gemeint. Auf der A-Seite dieser Platten war auf dem Label das Vertigo-Logo gross abgebildet, auf der B-Seite das Logo in klein mit den Angaben zu Interpret, Titel und Songs. 1973 erfolgte die Umstellung auf das von Roger Dean entworfene sogenannte 'Ufo'-Label ('Spaceship Vertigo'). Das Ende der Swirl-Phase leitete die zuvor beschriebene Kommerzialisierung des Labels ein. Zu Beginn des Labels stand der Progressive Rock, der zu dieser Zeit eine Hochphase durchlebte, im Mittelpunkt der Veröffentlichungen. Typisch waren durchkonstruierte, lange Songs, die sich nicht selten über eine komplette Schallplattenseite erstreckten. Dementsprechend konzentrierte sich das Label auf zumeist progressiv ausgerichtete, auch dem damals üblicherweise als Underground Rock bezeichnete Alben, von denen bis 1973 ('Swirl-Phase') insgesamt 89 erschienen. Single-Veröffentlichungen waren in der Minderheit. Im gleichen Zeitraum gab es lediglich 44 Vertigo-Singles in Grossbritannien, die darüber hinaus fast durchwegs die Charts verfehlten, bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel Black Sabbath's "Paranoid", Uriah Heep's "Lady In Black" oder Status Quo's "Paper Plane". Neben den Progressive Rock-Veröffentlichungen bot Vertigo auch Jazz-inspirierten Bands wie Colosseum und Nucleus eine Heimat. Graham Bond verband auf Vertigo Jazz und Progressive Rock. Mit Tudor Lodge und Mike Absalom gab es ferner auch Musik aus der Folk-Szene. Durch die Veröffentlichung der Aufnahmen von Black Sabbath, Warhorse und Uriah Heep war Vertigo auch massgeblich an der Entwicklung des Früh-70er Hard Rock und Heavy Metal beteiligt.
Überwiegend waren britische Künstler bei Vertigo unter Vertrag, es wurden aber beispielsweise auch Aufnahmen von Kraftwerk aus Deutschland und Flame Dream aus der Schweiz veröffentlicht. Neben der Musik sorgten die häufig aufwändig gestalteten Schallplattencover für Aufsehen: Ein schönes Beispiel für ein solch ungewöhnlich gestaltetes Cover war etwa die LP "Space Hymns" der Band Ramases, einer Gruppe, von welcher später einige Musiker bei der erfolgreichen Band 10cc landeten. Das Cover zeigte eine Rakete, die ins All startete. Das Cover liess sich sechsfach aufklappen ('6-fach FOC'). Dabei entpuppte sich die Rakete als Kirchturmspitze einer riesigen Holzkirche, die in einem Feuerball ins All abhob. Wie bei diversen anderen Vertigo-Veröffentlichungen der Zeit wurde dieses Cover von Roger Dean entworfen, jenem Künstler, der auch die frühen Alben der Gruppe Yes designed hatte. Häufig übernahm auch der Fotograf Marcus Keef die graphische Gestaltung. Seine Cover zeigten in der Regel normale Bilder (oft Landschaften), denen etwas Obskures oder Nichtnatürliches hinzugefügt war. Beispielhaft wären hier die ersten beiden Black Sabbath-Alben zu nennen. Während einige der Bands aus der 'Swirl'-Phase schnell in Vergessenheit gerieten, sind die Plattencover und ihre Gestalter heute noch bekannt.
Viele der Swirl-LPs zählten aufgrund der geringen Produktions- und Verkaufszahlen bald zu grossen Raritäten. Als seltenste Exemplare gelten heute die Platten von Dr. Z ("Three Parts To My Soul" (Okkult) und Ben (Jazz). Auch die LPs von Tudor Lodge (Folk), Dr. Strangely Strange (Folkrock, mit dem damals noch weitgehend unbekannten Gary Moore als Gastmusiker), Mike Absalom (Singer-Songwriter), beide Alben von Cressida (Progressive Rock) und beide LPs von Catapilla (progressiver Jazzrock) zählen zu den besonders seltenen und gesuchten Platten, nicht zu vergessen das Album von Affinity und jenes der Sängerin Linda Hoyle, die auch bei Affinity sang. Der Wert des originalen Vinylalbums von Ben steht inzwischen selbst für eine in en frühen 90er Jahren nochmals aufgelegte Wiederveröffentlichung jenseits der 1000 Euro-Grenze für ein exzellent erhaltenes Exemplar, bis zu sagenhafte 3000 Euro werden indes für eine Original-LP im Neuzustand fällig. Das macht natürlich neugierig: Welcher Sammler zahlt für eine Jazz LP so einen hohen Preis ? Die LP ist inzwischen bereits mehrmals auch auf CD erschienen, und die empfehlenswerteste Version ist beim italienischen Label Akarma erschienen, in Form eines Mini Books im Hardcover. Diese Version kann man durchaus empfehlen, zumal man hier auch für bezahlbare 30 Euro eine klanglich hervorragend restaurierte CD bekommt.
Aber wie klingt diese Musik nun ?
Also erstmal muss man zu Ben sagen, dass es sich bei der Band um ein Projekt von ehemaligen Musikern der Keith Jarrett Band handelt. Leichtfüssig bis verkopft wie Jarrett also ? Nein, angenehmerweise eher fluffiger, ziemlich leichtfüssiger (nicht seichter) Jazz, dessen hektische Teile durchaus als progressiv bezeichnet werden können, nicht nervend, sondern immer sehr geschmeidig, edel, äusserst angenehm. Das ist irgendwo für mein musikalisches Empfinden überhaupt nicht verkopft, obwohl die Musik sehr anspruchsvoll wirkt. Ein bisschen erinnert der Sound von Ben an das Mammuttprojekt Centipede, an den Flöten-Jazz eines Herbie Mann, allerdings ohne jeden Anflug von funkigen Klängen. Besonders der Schlagzeuger David Sheen, der gerne auch perkussive Instrumente dazunimmt, um den Groove zu optimieren, oder da und dort gezielt Congas einsetzt, macht den Sound irgendwie lässig-locker. Ein Leader in der Band Ben ist nicht auszumachen, die Band spielt wie eine homogene Truppe, in welcher jeder Instrumentalist seinen Freiraum findet, um zu solieren. Peter Davey macht dies mit Alto-, Sopran- und Tenor Sax, Flöte und Klarinette, während Alex MacLeery Keyboards beisteuert, und zwar Electric Piano, Moog Synthesizer und Cembalo. Ausser den beiden Multi-Instrumentalisten spielen bei Ben noch der Gitarrist Gerry Reid an akustischer und elektrischer Gitarre, sowie Len Surtees am Bass.
Ueber die beteiligten Musiker ist nichts näher bekannt, es scheint, als hätten sich die Musiker nur gerade für dieses eine Album zusammengetan, denn auch über Konzerte kann man keine Infos finden im Netz. Allerdings kann man etwas über die beteiligten Musiker im Netz finden, was nur bedingt mit Musikschaffen zu tun hat. So hat beispielsweise der Saxophonist Peter Davey eine Technik herausgefunden, wie er mittles eines Saxophons Wasser zum kochen bringen kann (mit Tönen!). Zu schräg eigentlich, um sowas glauben zu können, scheint aber in der Tat wahr zu sein.
Ueber den Keyboarder Alex MacLeery kann man nichts in Erfahrung bringen, ausser dass er in der Band von Keith Jarrett beschäftigt war. Bassist Len Surtees war mal bei den Nashville Teens mit dabei (!) und trat später Peter Green's Band Kolors bei. Der Schlagzeuger David Sheen schliesslich spielte in der Band von Graham Bond und war später mal in einer der zahlreichen Begleitbands von Kevin Coyne tätig.
Mein persönliches Fazit: Da die ausgefallene Platte eine sagenumwobene Aura umgibt, höre ich sie mir natürlich auch genau mit dieser Haltung an, und deshalb finde ich sie wirklich toll. Es ist eine jener Platten, über die erzählt wird, sie hätte sich zum Zeitpunkt ihres Erscheinens kaum verkauft. Man reicht da Stückzahlen herum, die von 50 bis 100 verkauften Exemplaren erzählen, was aber wohl nicht stimmen kann, denn offiziell wurden von Vertigo Swirl-Alben mit ganz wenigen Ausnahmen immer jeweils 1000 Exemplare gepresst. Es kann aber durchaus sein, dass die Platte damals schneller aus dem Verkehr genommen wurde, weil sie sich besonders schlecht verkaufte und gewisse Rückläufer-Exemplare in der Folge vernichtet wurden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen für das Original solch horrende Preise auf dem Sammlermarkt bezahlt werden. Es gibt nämlich inzwischen unzählige brettharte Vertigo Swirl Sammler weltweit, die das seltene und begehrte Original liebend gerne in ihrer Sammlung haben wollen.
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.
Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Re: [REVIEW] Ben • Ben (1971)
das ist für mich eine essenzielle, herausragende Platte.
Ein Glück, dass es Repertoire Records gibt/gab, die uns diese edlen Scheiben zugänglich macht.
Wieder eine Wonne deine Ausführungen zu lesen!
Ein Glück, dass es Repertoire Records gibt/gab, die uns diese edlen Scheiben zugänglich macht.
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Re: [REVIEW] Ben • Ben (1971)
Die Gruppe Ben habe ich Anfang/ Mitte der 80er kennengelernt, als eine klassische Counterfeit LP Ausgabe im Umlauf war. Das wusste ich aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Es war eine perfekte Gatefoldausgabe, nur die Brille schmückte rotes Brillenglas. Mittlerweile ist sie zum Glück auch als CD erhältlich.
Die Musik habe ich immer als anspruchsvollen jazzrock geprägten Prog mit einer leichten Canterbury Note empfunden. Das aus Longtracks bestehende Album bietet den Musikern auch genügend Raum, ihre musikalische Welt passend umzusetzen. Im Grunde ein Jammer, dass diese Gruppe seinerzeit sang- und klanglos untergegangen ist.
Deine Rezi wartet wieder mit vielen Details auf, die mir so noch nicht bekannt waren. Auch für mich war es wieder eine Freude, deine Rezi gelesen zu haben.
Die Musik habe ich immer als anspruchsvollen jazzrock geprägten Prog mit einer leichten Canterbury Note empfunden. Das aus Longtracks bestehende Album bietet den Musikern auch genügend Raum, ihre musikalische Welt passend umzusetzen. Im Grunde ein Jammer, dass diese Gruppe seinerzeit sang- und klanglos untergegangen ist.
Deine Rezi wartet wieder mit vielen Details auf, die mir so noch nicht bekannt waren. Auch für mich war es wieder eine Freude, deine Rezi gelesen zu haben.