[REVIEW] Eugene McDaniels • Headless Heroes Of The Apocalypse (1971)

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Beatnik
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[REVIEW] Eugene McDaniels • Headless Heroes Of The Apocalypse (1971)

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Der äusserst vielseitige Musiker Eugene McDaniels war für mich immer schon eine der interessantesten Entdeckungen aus dem Bereich Soul, Folk, Psychedelik-Jazz, oder wie immer man diese mitunter etwas seltsame Musik auch nennen soll. Natürlich ist auch Eugene McDaniels die klassischen Stationen einer Musikerkarriere gegangen: Gospelchor als Kind, dann Soulsänger und schliesslich Hippie. Er hat sich vor allem textlich mitunter weit hinausgelehnt, sodass dieses 1971 veröffentlichte Album sogar im Weissen Haus diskutiert wurde. Der Legende nach soll kein Geringerer als der damalige amerikanische Vizepräsident Spiro Agnew höchstpersönlich bei Atlantic Records insistiert haben. Genützt hat es indes wohl nichts und heute gilt das Werk als Kultalbum besonders unter Hip Hoppern, die sich wohl zig Teilen dieses Albums bedient haben und im Laufe der Jahre etliche Samples verwendeten.

Musikalisch kann ich diese äusserst vielfältige Platte kaum festmachen und das wird der Grund sein, warum sie mir so gut gefällt. Nicht nur diese LP übrigens, auch Eugene McDaniels' Vorgänger, das ein Jahr zuvor veröffentlichte Album "Outlaw": Genauso textlich bissig wie musikalisch aussergewöhnlich. Eine der Aussagen von Eugene McDaniels ist bezeichnend und die zieht sich wie ein roter Faden zumindest durch diese beiden Platten:

"We have killed the very earth beneath our feet...yet we still kill each other and speak of the future".

McDaniels bezog sich mit diesem Statement natürlich auf die damaligen weltweiten Konfliktherde, so eine Aussage ist aber auch heute noch brandaktuell. Mit Mitmusikern wie beispielsweise Miroslav Vitous oder Alphonse Mouzon hat er auch kompetente Begleiter hier, und obschon es sich um eine Platte eines Musikers handelt, hat man an vielen Stellen des Albums den Eindruck, dass es sich hierbei um das Werk einer gleichberechtigten Band handelt. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass Eugene McDaniels oft nur spricht, rezitiert. Sein Singsang ist manchmal eher wie Beiwerk eingefügt in die Musik, wodurch meiner Meinung nach die Texte gleich noch einmal zusätzliches Gewicht erhalten, weil sie manchmal schon fast in einer Art mahnendem Prediger-Stil vorgetragen werden: Eindringlich und nachhaltig.

Eugene Booker McDaniels begann schon als kleines Kind im Kirchenchor zu singen, und mit elf Jahren wurde er Mitglied in einem Gospelquartett. Er wuchs in Omaha, Nebraska, auf und studierte am dortigen Musik-Konservatorium. Als das Gospelquartett nach New York ging, wurde McDaniels Leiter der Gruppe. 1954 siedelte McDaniels nach Los Angeles um, wo er sich in den Jazzclubs schnell einen guten Namen als Jazzsänger machte. Seinen ersten Plattenvertrag schloss McDaniels im Jahre 1960 bei Liberty Records ab, wo Tommy Gerret sein Produzent wurde, der ihn mit Werken aus dem Brill Building unter anderem von Burt Bacharach und Carole King versorgte. Im Frühjahr 1961 konnte McDaniels, dessen Vorname auf den Plattenlabels mit Gene angegeben wurde, mit dem Popsong auf seiner dritten Single "A Hundred Pounds Of Clay" einen Spitzenhit landen, der ihn bis auf den dritten Platz der amerikanischen Charts brachte. Im Herbst desselben Jahres kam er mit "Tower Of Strength" auf den fünften Platz. Die Plattenerfolge dauerten bis in das Jahr 1963, in dieser Zeit konnten sich die Platten von Gene McDaniels sieben Mal in den Top 100 platzieren. 1962 spielte er zusammen mit Chubby Checker, Gene Vincent und Del Shannon in dem britischen Film 'It’s Trad Dad' mit, in dem auch sein "Song Another Tear Falls" vorkam. Eine Tournee durch Australien verlief unbefriedigend, und so konzentrierte sich McDaniels weiter auf seine Plattenproduktionen.

1965 lief sein Plattenvertrag bei Liberty aus und nach zwei erfolglosen Plattenaufnahmen bei Columbia Records liess er sich erneut in New York nieder und machte wieder Jazzmusik, unter anderem mit Herbie Hancock. 1967 ging McDaniels für zwei Jahre nach Europa und betätigte sich dort als Songschreiber. Diese Tätigkeit bestimmte seine Karriere auch nach der Rückkehr in die Staaten. Er schloss mit der Plattenfirma Atlantic Records einen Vertrag als Sänger und Komponist ab, hatte dabei aber erst im Jahre 1974 mit dem von Roberta Flack gesungenen Titel "Feel Like Makin‘ Love" einen Nummer 1 Hit. Zwischen 1974 und 1979 war McDaniels auch als Produzent aktiv und arbeitete mit mehreren namhaften Solisten wie etwa Nancy Wilson oder Gladys Knight zusammen. 1996 gründete er zusammen mit Carolyn E. Thompson eine eigene Firma, die Numoon Disc Company.

Seine beiden frühen Platten, die er für Atlantic Records aufgenommen hatte, sowohl "Outlaw" (unter anderem mit Mother Hen, Ron Carter, Eric Weisberg und Hugh McCracken) als auch die "Headless Heroes Of The Apocalypse" sind unbedingt empfehlenswert. Aufgrund der Wichtigkeit für die spätere Musikszene und der bisweilen stark polarisierenden subversiven Songtexte würde ich aber die "Headless Heroes" bevorzugen. Musikalisch sind beide gleichermassen spannend und aussergewöhnlich und von stilistischer Vielfalt. Neben Einflüssen zeittypischer Folkmusik streift Eugene McDaniels auch die psychedelische Musik der Hippiezeit und experimentiert gerne auch mit der Tanzmusik der Schwarzen, streut in unnachahmlicher Weise Soul- und Jazz-Muster in die Songs ein, die durch diese aussergewöhnlichen Essenzen in ihrer Gesamtheit eine Vielseitigkeit erfahren, die damals nicht unüblich war, weil stilistische und kompositorische Grenzen längst aufgebrochen waren. Gene McDaniels starb am 29. Juli 2011 nach kurzer Krankheit im Alter von 76 Jahren in seinem Haus in Kittery Point.





Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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