[REVIEW] BRAINTICKET - COTTONWOODHILL (1971)

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BRAIN
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[REVIEW] BRAINTICKET - COTTONWOODHILL (1971)

Beitrag von BRAIN »

Als Cottonwoodhill 1971 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, waren auf der Hülle folgende Warnungen zu lesen:
"Nach dem Hören dieser Platte werden dich deine Freunde vielleicht nicht mehr kennen" und "Hör dir das nur einmal am Tag an.
Dein Gehirn könnte zerstört werden!".
Die Hülle selbst zeigte einen schreienden Frauenkopf in einem Strudel. Um ehrlich zu sein, sieht das ein bisschen scheiße aus.
Das Album selbst wurde in Deutschland von einer Gruppe aus Belgiern, Briten und Deutschen aufgenommen.
Der Nachfolger, Psychonaut, wurde in Italien von Amerikanern, Belgiern und Schweizern aufgenommen.
Das ist alles sehr mysteriös. Bekannt ist, dass Brainticket von Joel Vandroogenbroeck geleitet wurde, einem belgischen Pianisten mit klassischem und Jazz-Hintergrund, der die Band zusammen mit dem Gitarristen Ron Byer und dem Schlagzeuger Wolfgang Paap gegründet hatte, nachdem er von den neuen deutschen Bands - Amon Duul II, Can, Tangerine Dream usw. - beeinflusst worden war.
Cottonwoodhill hat noch zwei weitere Hauptakteure - Dawn Muir am Gesang und Hellmuth Kolbe an der Produktion und den Soundeffekten.
Kolbe ist relativ bekannt, da er in den 60er Jahren mit Stockhausen gearbeitet hat, aber über Muir finde ich im Internet kaum etwas.
Es scheint, als sei sie einfach aufgetaucht, habe eine der intensivsten Stücke auf der Platte abgeliefert und sei dann verschwunden.

Bild

Das Album beginnt ganz normal mit Black Sand - einem orgelbasierten Song mit stechender Leadgitarre.
Der einzige Hinweis auf das, was noch kommen wird, ist Vandroogenbroecks Einsatz eines Rotary Speaker für seinen Gesang.
Places Of Light beginnt ebenfalls ganz normal mit einem angenehmen, fast Acid-Jazz-artigen Feeling und Vandroogenbroeck bläst auf der Flöte los.
Dann taucht Dawn Muir zum ersten Mal auf, ebenfalls durch einen Rotary Speaker, und rezitiert eine Art Acid-Gedicht.
Das dreiteilige Brainticket ist der Punkt, an dem die Räder wirklich zu rollen beginnen.
Es handelt sich um einen etwa 26-minütigen Ein-Akkord-Freischwinger, der auf Gitarre und Orgel gespielt wird (Bass und Schlagzeug scheinen nicht vorhanden zu sein), während Muir und Produzent Kolbe versuchen, sich gegenseitig zum Ausrasten zu bringen.
Seltsame elektronische Klänge mischen sich mit dem Geräusch von jemandem, der sich die Zähne putzt.
Muirs Worte wirken wie durcheinandergewürfelte Funk-Nachrichten von einem abgestürzten Raumschiff.
Alles mit voller Überzeugung vorgetragen. Irgendwann, gegen Ende des zweiten Teils, erscheint ein Affe, gefolgt von Beethoven, dann Stille, dann fangen Byer und Vandroogenbroeck wieder an.
Byer und Vandroogenbroeck sind das Fundament des Stücks, sie sind immer da, um zurückzukommen oder um nach einer besonders intensiven Passage wieder Ruhe einzubringen.
Im dritten Teil, als Muir und Kolbe sich dem Wahnsinn nähern, haben sie jedoch kaum noch Kontrolle.
Ein seltsames elektronisches Geräusch erscheint und entpuppt sich langsam als eine Stimme, die "BrainticketBrainticketBrainticket" singt.
Muir gerät zunehmend in Panik ("It's not alright. Es ist alles falsch.", "Ich will allein sein. Aber nicht so allein."), bevor er in Tonbandschleifen untergeht.
Dann Stille.

Diesmal kehren Byer und Vandroogenbroeck nicht zurück, und in dieser Stille wird mir klar, dass ich mir nicht sicher bin, ob es mir überhaupt gefallen hat.
Es ist nicht die Art von psychedelischem Album, dass man auflegt, um im Garten zu liegen und die Wolken zu betrachten.
Und schon gar nicht, wenn Sie an einem Sonntagnachmittag ein Nickerchen machen wollen.
Es hat sich herausgestellt, dass die leicht beschissene Hülle eigentlich sehr anschaulich ist - eine ausgeflippte Frau, die in einem elektronischen Albtraum ertrinkt

Seite 1:
1. "Black Sand" (Ron Bryer, Joel Vandroogenbroeck) – 4:05
2. "Places of Light" (Bryer, Dawn Muir, Vandroogenroeck) – 4:05
3. "Brainticket, Pt. 1" (Bryer, Kolbe, Muir, Vandroogenbroeck) – 8:21

Seite 2:
1. "Brainticket, Pt. 1: Conclusion" (Bryer, Kolbe, Muir, Vandroogenbroeck) – 4:36
2. "Brainticket, Pt. 2" (Bryer, Kolbe, Muir, Vandroogenbroeck) – 13:13

Ron Bryer – guitar
Werner Frohlich – bass, bass guitar
Hellmuth Kolbe – keyboards, sound effects
Cosimo Lampis – drums
Dawn Muir – vocals
Wolfgang Paap – percussion, tabla
Joel Vandroogenbroeck – organ, flute, keyboards, vocals

TechniK:
Hellmuth Kolbe – producer, engineer, electronics, supervisor, generator
Elso Schiavo - artwork
Robert Lattmann - assistant engineer
Heinz Walti - cover photo photography
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Beatnik
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Re: [REVIEW] BRAINTICKET - COTTONWOODHILL (1971)

Beitrag von Beatnik »

Ein einzigartiger Trip, dieses Album ? Naja, da schieden sich die Geister schon immer. Lange kannte ich nur "Black Sand", denn der Song schaffte es bei uns damals in der Schweiz sogar in den Charts (!). Und das hatte einen Grund: Brainticket war im Grunde eine Schweizer Band. So zumindest wurde sie damals verkauft, denn die Platte wurde von Hellmuth Kolbe und Robert Lattmann im Sunrise Studio in Kirchberg (Kanton Bern) aufgenommen. Kolbe war der Gründer der damals grössten Schweizer Plattenfirma und des dazugehörigen Vertriebs Phonag mit Sitz im Schweizerischen Zug. Er war zwar Deutscher, wurde aber in Zug geboren und starb in Zürich. Er betrieb zwischenzeitlich während 12 Jahren ein Tonstudio in Wien, kehrte dann aber wieder zurück in die Schweiz, wo er erst mit Volksmusik-Produktionen begann, später dann aber mit dem Sunrise Studio zusammenarbeitete, dessen Tonverantwortlicher Robert Lattmann war. Im Sunrise Studio wurden etliche, heute legendäre Rock-Produktionen gefahren, so zum Beispiel Alben von Embryo (D), Nautilus (CH), Grauzone (CH), Elastic Rock Band (D), Univers Zero (F) und viele weitere.

Zur Band selbst: Brainticket war eigentlich das 'Projekt' von Joel Vandroogenbroeck, einem belgischen Keyboarder, der 1962 in Basel hängengeblieben war und dort seine Band The Third Eclipse gründete, bevor es 1970 zur Gründung einer weiteren Band kam: Brainticket. Zusammen mit dem Basler Schlagzeuger Cosimo Lampis und dem ebenfalls aus Basel stammenden Bassisten Werner Fröhlich spielte er dann das legendäre "Cottonwoodhill" Album ein, bevor Cosimo Lampis und Werner Fröhlich die Gruppe Toad gründeten, eine der erfolgreichsten Schweizer Rockbands neben den ziemlich zeitgleich agiernden Krokodil. Den Gitarristen Ron Bryer hatte Joel Vandroogenbroeck zu den Aufnahmen hinzugezogen, da er mit diesem schon in den 60er Jahren bei Berry Window And The Movements zusammengespielt hatte (ebenfalls eine Basler Band), welcher auch eine zeitlang der Jazz-Gitarrist Barney Wilen angehörte, der mal in der Begleitband von Miles Davis gespielt hatte. Die Sängerin, oder sollte man besser schreiben: die Schreierin und Spoken Word-Lieferantin Dawn Muir war ebenfalls in Basel beheimatet, heisst mit bürgerlichem Namen Patricia Kleis und hatte sich während ihrer mehrjährigen Zusammenarbeit mit Joel Vandroogenbroeck auch mal Patricia Dawn Cleis genannt.

Ich muss der Musik auf diesem Album ehrlicherweise attestieren, dass sie ohne die seltsamen, bisweilen nervtötenden, in jedem Fall aber um Aufmerksamkeit heischenden Soundeffekte von Hellmuth Kolbe wahrscheinlich bloss eine stinklangweilige Endlos-Wiederholung eines einzigen Themas wäre. Aus meiner Sicht ist "Cottonwoodhill" ein Album, das sich zwar zum Klassiker seines Genres entwickelte, aber irgendwie doch eher als Effekthascherei, denn als gute Musik bei mir durchgeht. "Black Sand" als Standalone-Song ist ein Knaller, der Rest der Platte eine Endlosschlaufe desselben Themas. Ich selbst besitze die LP auf Cleopatra Records aus dem Jahre 2011 in gelbem Splatter-Vinyl, inklusive aufblasbarem Ballon (haha, nach 40 Jahren also nochmal ein gelungener Quark-Gag). Klanglich ist die Platte auch remastered noch immer etwa gleich gut, resp. gleich schlecht wie damals, je nachdem, wie man diese Musik bewerten mag.

Meine persönliche Wertung:

-3 Musik/Klang
-4 Idee/Umsetzung
-5 Komposition "Black Sand"

Ergibt also eine 12 (mit Drogen), resp. eine 4 (ohne Drogen)
Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
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nixe
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Re: [REVIEW] BRAINTICKET - COTTONWOODHILL (1971)

Beitrag von nixe »

Als ich das Ding das erste Mal hörte, sehr sehr lange her, 80-er?, ohne Drogen & ohne Alkohol!, hatte ich ein Brett vor'm Kopp & einen schweren Stein im Magen!
LongTrack gut & schön, aber hier? Diese Eintönigkeit kann man vielleicht als VorReiter des tekkno sehen oder hören? Aber immerhin, an die kurzen Songs kann ich mich nicht mehr erinnern.
Tschüß
nixe

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Re: [REVIEW] BRAINTICKET - COTTONWOODHILL (1971)

Beitrag von Beatnik »

nixe hat geschrieben: Fr 27. Okt 2023, 16:13 Als ich das Ding das erste Mal hörte, sehr sehr lange her, 80-er?, ohne Drogen & ohne Alkohol!, hatte ich ein Brett vor'm Kopp & einen schweren Stein im Magen!
LongTrack gut & schön, aber hier? Diese Eintönigkeit kann man vielleicht als VorReiter des tekkno sehen oder hören? Aber immerhin, an die kurzen Songs kann ich mich nicht mehr erinnern.
Naja, also "Black Sand" ist schon ein echt geiler Psychorock-Hammer. Aber mehr davon ist halt schon starker Tobak.

Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] BRAINTICKET - COTTONWOODHILL (1971)

Beitrag von Louder Than Hell »

Wer es trippig mag, sollte bei diesem Album zuschlagen. Wer auf jedwede Inkredenzien verzichten möchte, wird auch hier sein berauschendes Ziel erreichen, denn die halluzinogene Wirkung der Musik ist ansteckend. Hierzu bedarf es keinen Lehrmeister eines Timothy Leary, der auf irgendwelche LSD Erfahrungen hinweist. Genaugenommen enthällt das Album nur zwei richtige Musikstücke und zwar „Black Sand“ und „Places of Light“, die es aber in sich haben. Das Stück "Brainticket" hingegen ist ein verrückter Trip mit Achterbahncharakter, entweder man steigt mit ein oder man verlässt die Manege. Mit dem treibenden Beat des Eröffnungsstücks „Black Sand“ geht die Sonne auf und das powervolle Orgel- und Gitarrenspiel ebnen den Weg, ehe der verzerrte Gesang ein einheitliches Bild vermittelt. Das Folgestück „Places of Light“ ist aus einem anderen Holz geschnitzt und lädt den Hörer auf eine scheinbar verträumtere Reise ein, wandelt sich zu einer leicht jazzigen Komponente ehe Dawn Muirs mit ihren "Spoken Word Gesang" die Harmonie unterbricht, die anschließend je von krachenden Geräuschen unterbrochen wird. Und urplötzlich taucht der Longtrack "Brainticket" auf, der durch seine bizarren und eigenwilligen Soundkomponenten eine Melange aus dem Gesäusel von Muirs, teils flüsternd, teils schreiend, dem scheinbar endlosen Orgelriff eine scheinbar nicht zusammenpassende Einheit vermittelt und trotzdem dadurch den Nagel auf den berühmten Kopf trifft.

Oder so unterschiedlich können die Ansichten dieses Albums ausfallen. Für mich gäbe es in der Benotung eine dicke -4 Bewertung.
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