[REVIEW] 13th Floor Elevators • Rockius Of Levitatum (2009)

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Beatnik
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[REVIEW] 13th Floor Elevators • Rockius Of Levitatum (2009)

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Diese hervorragend zusammengestellte und auch brilliant klingende Sammlung mit legendären Konzertaufnahmen einer der wichtigsten amerikanischen Psychedelic Rock Bands erschien erstmals 2009 ausschliesslich auf Vinyl. Berücksichtigt wurden Stücke von noch existierenden Bändern aus den Jahren 1966 und 1967, die neu aufbereitet werden konnten, weil sie sich noch in einem guten Zustand befanden und die Zeit in einem Archiv gut überdauert hatten. Den Einfluss, den Roky Erickson und seine Band auf die kommende Musiker-Generation in der Blütezeit der Hippies ausübte, war enorm. Viele Bands und Musiker orientierten sich an dem Sound-Gebräu, das mit damals revolutionären Klangverfremdungen und spacigen Arrangements zustande kam. Roky Erickson war vielleicht einer er wichtigsten experimentellen Musiker in den 60er Jahren und es ist gut möglich, dass wir heute Bands wie Pink Floyd oder Jefferson Airplane auch ein bisschen ihm zu verdanken haben.

The 13th Floor Elevators waren eine der beeindruckendsten psychedelischen Rockbands, die im Herbst 1965 in Austin Texas, von Roky Erickson, Tommy Hall, Bennie Thurman, Stacy Sutherland und John Ike Walton gegründet wurde. Der Bandname bezog sich auf den 13. Buchstaben des Alphabets, das M und dieses stand für Marihuana, das einen 'high' machte, also nach oben brachte, wie ein Aufzug (Elevator). Eine andere Interpretation besagte, dass aufgrund von Triskaidekaphobie bei der Geschosszählung vieler amerikanischer Hochhäuser auf die 12 die 14 folgte und der Bandnamen als Paradoxon stand. Die einzige Charts-Positionierung gelang der Single "You’re Gonna Miss Me". Sie erreichte im Jahr 1966 den 55. Platz in den Vereinigten Staaten. Eine erste Aufnahme dieses Songs hatte Roky Erickson bereits 1965 mit seiner alten Band The Spades veröffentlicht, die er kurz darauf verliess. Mit den 13th Floor Elevators kam es Anfang 1966 zu einer neuen Aufnahme des Songs und einer Veröffentlichung unter dem Contact-Label, die zu einem lokalen Erfolg wurde. Die Übernahme der Single durch das Houstoner International Artists Label im gleichen Jahr erreichte dann die Billboard Charts. Bald darauf folgte eine Einladung in Dick Clarks Fernsehsendung American Bandstand.

Noch im selben Jahr veröffentlichte die Band das erste Album "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators". Die Band war die erste, die sich selbst unter dem Begriff Psychedelic vermarktete. Nur zwei Wochen später griffen Grateful Dead den Begriff ebenfalls auf. Bis 1968 spielten die 13th Floor Elevators noch zwei weitere Studioalben ein. Die Elevators waren bekannt für ihren Konsum von Marihuana und LSD (letzteres war zur Anfangszeit der Band noch kurze Zeit legal), lediglich Schlagzeuger John Ike Walton distanzierte sich frühzeitig davon, nachdem er schlechte Erfahrungen mit seinem zweiten LSD-Trip gemacht hatte. Regelmässige Kontrollen durch die texanische Polizei waren die Folge. Nachdem Erickson, der schon im Vorjahr wegen Schizophrenie behandelt worden war, schliesslich im Jahre 1969 mit einer kleineren Menge Marihuana in Austin aufgegriffen worden war, plädierte er auf Rat seines Anwalts auf nicht zurechnungsfähig, um einer bis zu zehnjährigen Gefängnisstrafe zu entgehen (die Strafen für Marihuanabesitz wurden in Texas erst nach 1970 deutlich abgesenkt). Nachdem er mehrmals aus einer psychiatrischen Klinik in Austin entwichen war, wurde er schliesslich für mehrere Jahre in eine besser gesicherte psychiatrische Anstalt in Rusk überstellt, in der überwiegend schwere Gewalttäter, Vergewaltiger und Mörder einsassen. Die Band löste sich daher 1969 auf. Nach der Auflösung gab es einige Projekte der jeweiligen Mitglieder, jedoch nie eine ernsthafte Wiedervereinigung. Eine Tragödie ereignete sich zudem 1978, als Stacy Sutherland bei einer schweren Auseinandersetzung mit seiner Frau von dieser erschossen wurde.

Die Musik der Band war deutlich vom Rhythm & Blues geprägt und mit dem Stil der Rolling Stones und dem jungen Frank Zappa in den 60er Jahren vergleichbar. Ungewöhnlich jedoch war die energisch kreischende Stimme von Roky Erickson und der mit einem Mikrophon elektrisch verstärkte Jug von Tommy Hall. Der Jug steht in der Tradition des Blues und ersetzte vornehmlich während der 30er Jahre den sperrigen und teuren Kontrabass. Im Grunde handelte es sich dabei um eine grössere, bauchige Flasche, in die hinein geblasen wurde. Solche Bands wurden als Jug Bands bezeichnet. Tommy Hall erzeugte damit hohe, rhythmische Stakkatotöne, deren Frequenz und Tonlage leicht variierte. So entstand ein Klangteppich im Hintergrund der Musik, welcher der Band einen einzigartigen und ungewöhnlichen Charakter verlieh. Zusammen mit den Amazing Charlatans waren sie die erste Band, die unter Einfluss von LSD live spielte. Die 13th Floor Elevators sahen sich selbst allerdings als bessere Live-Band. Ausserdem hatten die 13th Floor Elevators externe Songwriter. Unter anderen waren das Tommy Hall's Frau, Clementin Hall ("Splash 1", "I Had To Tell You") und Powell St. John ("Kingdom Of Heaven", "Monkey Island", "You Don’t Know", "Take That Girl", "Right Track Now") der in den 60er Jahren auch Einfluss auf viele andere Musiker in Austin, Texas, hatte. Die Stücke "You’re Gonna Miss Me" und "Slip Inside This House" sowie das Album "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators" zählen heute zu den Klassikern des Garagenrock, respektive dem Psychedelic Rock.

Die Zusammenstellung "Rockius Of Levitatum" enthält 15 bisher nicht veröffentlichte Aufnahmen in allerbester Qualität, was einerseits als grosser Glücksfall zu werten ist, andererseits beweist es eindrücklich, dass das Interesse an diesem visionären Musiker auch heute noch, fast 50 Jahre nach der Hippiebewegung, ungebrochen ist. Die Auswahl der Songs ist so gewählt, dass sie möglichst viele verschiedene Facetten des künstlerischen Schaffens der Gruppe berücksichtigt. So gibt es bislang nicht veröffentlichte Titel der Band, einige tolle Coversongs, plus Titel ihres Debutalbums "The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators" und dem Nachfolger "Easter Everywhere", beide damals auf dem kurzlebigen und heute legendären International Artists Recordings Label erschienen. Die Band gab in den beiden Jahren 1966 und 1967 sehr viele Konzerte und war gern gesehener Gast an zahllosen Open Air Festivals, auf welchen sie bisweilen auch als Headliner auftraten, so zum Beispiel mit dem Sir Douglas Quintet, der Band Great Society (aus denen später Jefferson Airplane wurde) oder mit Quicksilver Messenger Service. Die 13th Floor Elevators waren auch die allererste Band, die ihren Musikstil mit 'psychedelisch' bezeichnete, noch bevor dies beispielsweise Syd Barrett über seine Band Pink Floyd sagte, wobei allerdings beide Bands in etwa zeitgleich loslegten, die Elevators in Amerika und Pink Floyd in England. Waren Pink Floyd am Anfang eher von folkloristischen Soundmustern ausgegangen, so war Roky Erickson eher ein Rhythm'n'Blues-Fan, der heute wohl in die Kategorie Garagenrock passen würde, natürlich mit dem nötigen psychedelischen Moment in seiner Musik.

Das ausgesuchte Live-Programm bietet auf dieser Platte zum Beispiel den Track "Roller Coaster" vom Debutalbum, hier in einer Version mit spontan eingebautem Tempowechsel. Der Song wurde später von Spacemen 3 gecovert. Ausserdem sind Bo Diddley's "Before You Accuse Me" sehr hörenswert, da er beispielsweise viel mehr Energie und Kraft in sich hat als die zwei Jahre später veröffentlichte Bluesversion von Creedence Clearwater Revival. Roky Erickson war mit seiner harten Garage-Variante des Themas wesentlich näher am Original von Bo Diddley. Auch die Titel "You Don't Know", "Monkey Island" und "Kingdom Of Heaven", sämtlich aus der Feder eines befreundeten Komponisten und lokalen Hipsters mit dem Namen Powell St. John, der - ein Kuriosum - selber nie Mitglied der Gruppe war, zeichnen sich durch ungezügelten Vorwärtsdrang und kernigen Sound aus. "I've Got Levitation" schliesslich rundet diese sorgfältig ausgewählte Live-Zusammenstellung als einer der LSD-durchtränktesten Songs im Repertoire dieser so wichtigen Band der 60er Jahre ab. This is true Psychedelic Rock. :prayer:



Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] 13th Floor Elevators • Rockius Of Levitatum (2009)

Beitrag von Louder Than Hell »

13th Floor Elevators waren sicherlich nicht nur die Pioniere des Psychrock, sondern auch die tragende Säule der Garagenmusik. Ähnlich wie bei den Seeds haben sie sicherlich in den Staaten tausende Jugendliche animiert, selbst Instrumente in die Hand zu nehmen, um diesen Sound zu frönen.

Der eine oder andere im Forum wird sicherlich festgestellt haben, dass auch ich mich dieser Musik sehr verbunden fühle. Das geht sogar soweit, dass ich auch ins Becken der sogenannten Neogaragenmusik eingetaucht bin.

Nun aber zu deiner Rezi. Es war für mich eine große Freude, deinen Ausführungen zu folgen. Was du an biografischen Details angeführt hast, ist aller Ehren wert. Vieles darunter war mir zudem auch nicht bekannt gewesen. Selbst der Hintergrund ihres Bandnamens ergibt jetzt einen Sinn. Ansonsten habe ich immer gedacht, was da wohl dahinter stecken könnte.

Und wie man sieht, waren sie live wegen ihrer vielen gespielten Konzerte voll auf der Höhe. Insofern entspricht das Album absolut meinem Beuteschema und könnte der nächste Zukauf werden.
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BRAIN
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Re: [REVIEW] 13th Floor Elevators • Rockius Of Levitatum (2009)

Beitrag von BRAIN »

Das, was die 13th Floor Elevators hier auf den Tisch bringen, ist eine deftige Mahlzeit, zubereitet mit dürftigen Zutaten, aber mit starken, entscheidenden Aromen.
Nach mehrmaligem Hören ist es jedoch unbestreitbar, dass man das Bedürfnis verspürt, etwas aufwändigere Gerichte zu probieren, auch wenn sie vielleicht auf denselben grundlegenden kulinarisch-musikalischen Fundamenten basieren.
So sehr, dass der Einfluss von Erickson und Co., nachdem sie mit einem ebenso exzellenten zweiten Album wie "Easter Everywhere" eine unwiederholbare künstlerische Langzeit-Ader ausgeschöpft haben.
Von New Wave (höre die Coverversion von 'Reverberation' von Echo And The Bunnymen) bis zu den traumhaften Verzerrungen von Spacemen 3 (sogar eine Doppelversion von 'Roller Coaster' auf deren Debüt-EP und -LP).
"You're Gonna Miss Me" aus dem legendären Debütalbum der australischen Band Radio Birdman aus dem Jahr 1977 ebenso, wie "Fire Engine" ein fester Bestandteil der Konzerte der bahnbrechenden Band Television war.
Der Kult um die texanische Band und ihren Anführer zeigt sich schließlich in "Where The Pyramid Meets The Eye: A Tribute To Roky Erickson", mit dem Ziel, Spenden zu seinen Gunsten zu sammeln, explizite Hommagen heterogener, aber (jeder in seinem eigenen Referenzgenre) äußerst relevanter Künstler wie REM, ZZ Top, Jesus and Mary Chain, Primal Scream, Thin White Rope und Julian Cope zu hören sind.
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