[REVIEW] The Farm Band • The Farm Band (1972)

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Beatnik
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[REVIEW] The Farm Band • The Farm Band (1972)

Beitrag von Beatnik »

Philip Schweitzer und Thomas Dotzler, zwei Hippies, die auf diesem Album alle Songs, beziehungsweise alle Jams, komponiert haben, lebten Anfang der 70er Jahre in einer Hippiekommune in Tennessee, die sich schlicht "The Farm" nannte und in Stephen Gaskin, einem Professor des San Francisco State College und dessen Podiumsdiskussionen um das erleuchtende Thema psychedelischer Erfahrungen in Bezug auf die Weltreligionen (!) seinen Ursprung fand. Ab 1970 starteten etliche Schulbusse, VW Bullis, Trucks und Campers und zogen quer durch die vereinigten Staaten als erleuchtender Konvoi, der immer mehr Hippies anzog, die sich zu einer alternativen Lebensweise stärker hingezogen fühlten als zu den engen Strukturen eines bürgerlichen Lebens. Der Konvoi besuchte Colleges, Kirchen und andere Jugend-Institutionen, um ihre Message eines freien, selbstbestimmten Lebens zu verbreiten. Als die Hippie-Gemeinschaft 1971 von einer dieser Missionen zurückkehrte nach Kalifornien und erneut um viele Anhänger gewachsen war, entschloss man sich, alles Geld der mittlerweile über 300 Anhänger in einen gemeinsamen Pool zu legen, damit ein grosses Stück Land zu kaufen und als Selbstversorger-Kommune gemeinsam zu leben. Noch im selben Jahr fand sich die Community in Tennessee wieder, wo sie in der Folge die Martin Farm in Summertown erwarb, später die Black Swan Ranch mit ihren 1050 Hektaren Land und schliesslich noch einmal ein paar Tausend Hektaren bewirtschaftbares Land südlich von Nashville. Damit war "Die Farm" lanciert.

1972 entstand auch die Homegrown Rock'n'Roll Band, die keinen Namen hatte, und die aus Mitgliedern der Kommune bestand, die jedoch als "The Farm Band" eine Reihe "Coast-to-Coast" Tourneen bestritt, um an Open Air- oder Campus-Happenings an Universitäten gratis Konzerte zu bestreiten und dabei Werbung für ihre alternative Lebensweise auf der Farm zu machen, was zur Folge hatte, dass sich immer mehr junge Menschen dazu entschlossen, sich der Community anzuschliessen, ihre Existenzen aufzugeben und der Gemeinschaft nach Tennessee auf deren Lebens-Oasen zu folgen. 1972 wurde auch die seriöse Bevölkerung immer aufmerksamer auf die mittlerweile auf fast 500 Mitglieder angewachsene Gemeinschaft. Al Gore, der spätere Präsidentschaftskandidat, damals jedoch noch junger Zeitungsjournalist, schrieb einen ersten grösseren Bericht über die Community, die in der Zeitung The Nashville Tennessean veröffentlicht wurde - und natürlich weitere Mitglieder anzog. Noch einmal kaufte die Community Land dazu, diesmal 700 Hektaren in Hickory Hill. Nun wurden auch die "Farm Clinic" und die "Farm School" eröffnet, damit sowohl die medizinische Versorgung, als auch die Einschulung für die kleinen Kinder, die inzwischen das Schulalter erreicht hatten, gewährleistet war. Aus dem intensiven Anbau von Gemüse, Salaten und Früchten entstand die "Good Tasting Nutritional Yeast Mail Order Company", welche bis ins Kleinste perfekt organisiert war und der Community eine solide und dauerhafte Einnahmequelle sicherte, die sie wiederum ausschliesslich für die Gemeinschaft einsetzte und nicht gewinnorientiert anlegte.

Stephen Gaskin's Buch "Hey Beatnik!" folgte im Jahr darauf, stiess auf immenses Interesse und fand grossen Absatz. Das Buch öffnete die Tore zur Farm-Gemeinschaft, erklärte Philosophie und Gedanken hinter der Kommune und konnte als ernstgemeinte Absage zum bürgerlichen Leben verstanden werden. Der eigene Radiosender erhielt den Namen "Ham" und auch die amerikanische Justiz hatte sich bald mit der Community zu tun, etwa, als es darum ging, den Anbau und Konsum von Gras einem religiösen Sakrament gleichzusetzen. 1974 gründete die Kommune die Interessengemeinschaft "Plenty USA". Inzwischen lebten mehr als 750 Menschen innerhalb der verschiedenen Farm-Betriebe, unter anderem schon 160 verheiratete Paare und 250 Kinder. Ueber die folgenden paar Jahre werden Plenty Centers vielerorts in Amerika, in der Karibik, in Guatemala und Zentralamerika, in Afrika und in Bangladesh eröffnet. Alle mit dem Ziel, einem gemeinsamen alternativen Farmleben zu folgen, das sich vor allem auf die natürliche und unabhängige Produktion von Nahrungsmitteln konzentrieren sollte und sich dadurch Unabhängigkeit gegenüber der grossen Konzerne zu schaffen, was nicht immer gelang. Es folgten weitere Buchveröffentlichungen, die komplette finanzielle Unabhängigkeit gegen Ende der 70er Jahre und eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die erst eine dramatische Wende erfuhr, als aus der Gemeinschaft verschiedene kleinere Kooperationen gegründet wurden, was zu wesentlich mehr Eigenverantwortung für viele Bereiche des Alltags führte. Diese Organisationsänderung hatte eine ziemlich grosse Abwanderung zur Folge, sodass die Farm-Community zwar auch heute noch besteht, jedoch nur noch über rund 300 Mitglieder verfügt, die jedoch noch immer im Grundsatz dem Lebens-Credo ihres geistigen Vaters Stephen Gaskin folgt.

1972 wie gesagt, entstand auch Musik der Farm-Mitglieder. Die erste Platte, welche nicht in Shops oder Mail Orders, sondern ausschliesslich an Konzerten der Farm Band erworben werden konnte, war das selbstproduzierte und herausgegebene Doppelalbum "The Farm Band", das manchmal auch unter dem Namen "OM" bekannt ist, jedoch diesen Begriff nur in den Inner Sleeves als Untertitel in der Ueberschrift trug. Darauf finden sich wundervolle Hippiethemen, musikalisch alles andere als laienhaft vorgetragen, sondern von versierten Musikern gespielt, die allerdings allesamt keine Profis waren. Zwar wird der Platte alles Mögliche an stilistischen Elementen nachgesagt, wie zum Beispiel Psychedelik Rock, Country Rock oder Folk Rock. Ich bin indes der Meinung, es handelt sich um saugemütliches Jam-Gekiffe mit Hippie-Approach, das seine Inspirationen sowohl aus den indischen Mantras, als auch beim anpsychedelisierten amerikanischen 60's-Folk holt. Es gibt hier so viele wundervolle Momente, in denen man sich auf einer perfekte Zeitreise in die Hippie-Aera zurückversetzt wähnt, und kann dazu wundervoll entspannen - am besten mit Räucherstäbchen und einem ganz speziellen Kräutertee. Wahlweise auch mit einem wohlschmeckenden Tütchen. Das 12 minütige "Being Here With You", das ebenfalls 12 Minuten lange "Keep Your Head Up High" sowie das auf 17 Minuten ausgelegte missionarische "I Believe It" sind die Glanzlichter dieses wundervoll spinnerten Doppelalbums, dem in den Jahren darauf drei weitere folgen sollten, nämlich "Up In Your Thing" (1973), "On The Rim Of The Nashville Basin" (1975) und "Communion" (1977). Hauptsongschreiber Thomas Dotzler veröffentlichte 1980 schliesslich auch noch ein weiteres Album unter dem Bandnamen The Nuclear Regulatory Commission mit dem Titel "Reactor", ebenfalls mit Mitgliedern aus der Community und einem völlig veränderten Musikstil, nämlich modern arrangiertem New Wave und einem kleinen Häppchen Art Rock. Diese Mischung entsprach aber so gar nicht dem Spirit der Farm-Bewegung und wurde auch kaum nennenswert verkauft (wiederum ausschliesslich bei Auftritten).

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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] The Farm Band • The Farm Band (1972)

Beitrag von Louder Than Hell »

Da muss ich morgen mal in Ruhe reinhören.
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Re: [REVIEW] The Farm Band • The Farm Band (1972)

Beitrag von Beatnik »

Louder Than Hell hat geschrieben: So 30. Apr 2023, 23:26 Da muss ich morgen mal in Ruhe reinhören.
die klingen angenehm unangestrengt, waren wohl echte Könner, die aber eher bescheiden jammten. Man hört ihre Qualitäten immer wieder heraus. Und sie waren bestimmt grosse Dead Fans ;-)
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Re: [REVIEW] The Farm Band • The Farm Band (1972)

Beitrag von Louder Than Hell »

Da hast recht, die auf dem Land lebenden Menschen/ Musiker fahren in der Tat in ihren Longstracks in dem Fahrwasser von Grateful Dead, ohne sie hierbei abzukupfern.

Ihre Leichtigkeit und zugleich Unaufgeregtheit sind zugleich die Plattform, diese Musikstücke vor sich hin wandeln zu lassen, ohne Angst haben zu müssen, geht dieses nicht immer in wiederkehrende Schleifen zurück.

Und dieses ist sicherlich auch der Unterschied zu anderen Bands aus dieser Zeit, sie generieren ein Maß an Flufffigkeit, die einen mit ihrer Musik mitnimmt und zugleich durch ihre Relaxtheit ein Maß der inneren Zufriedenheit vermittelt.

Als ich mit der Platte startete, zuckte ich kurz, als das Stück "O" erklang. Aber dieses war wohl nur das Einleitungshäppchen. Für mich waren die Stücke "Being Here With You" und "Let It Ride" die absoluten Glanzlichter unter den Jams, wobei mich die anderen beiden Longtracks auch nicht enttäuscht haben.
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BRAIN
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Re: [REVIEW] The Farm Band • The Farm Band (1972)

Beitrag von BRAIN »

Gefällt mir auch gut, mal sehen, ob die Arkama noch zu normalen Preisen zu bekommen ist.
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