[REVIEW] Andre Williams • The Black Godfather (2000)

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Beatnik
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[REVIEW] Andre Williams • The Black Godfather (2000)

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Eine treffendere Umschreibung hätte sich wohl nicht einmal der Meister selbst ausdenken können, um sein ruhmreiches musikalisches Erbe in knappen Worten zusammenzufassen: "Gegen Andre Williams sieht Little Richard aus wie Pat Boone". Dass mit Lux Interior dann auch noch ausgerechnet der Sänger der nicht minder schmutzigen Kapelle The Cramps als Urheber dieses Bonmots verantwortlich zeichnete, machte das Bild perfekt. Stetson-Liebhaber Andre 'Mr. Rhythm' Williams ist eine Legende des Detroit Souls der 50er und 60er Jahre, dessen anfangs blitzsauberes Vocal Group-Nest er alsbald mit anzüglichen Songetexten verschmutzte, woraufhin wiederum das Subgenre Dirty Soul entstand. Kennerkreise schrieben Williams seit seinen eingesprochenen Doo Wop- und Rhythm & Blues-Singles von Mitte der 50er Jahre sogar die Erfindung des Raps zu. Nicht nur deshalb trug der Mann seit Jahrzehnten den Titel 'The Black Godfather'. Weitere im Umlauf befindliche Ehrentitel hörten auf so vielsagende Namen wie 'The Duke Of Dirty-Ass', 'The Legendary Lord Of Lascivious Lyrics' oder 'The Baron Of Badass R'n'B'. So weit, so eindeutig. Nun gehörte es schon seit jeher zur Natur des Showgeschäfts, dass manche Künstler nicht den Erfolg oder den Bekanntheitsgrad beim grossen Publikum erreichten, den sie vielleicht verdient gehabt hätten. So auch Andre Williams, obwohl er für unzählige, bis heute wenig bekannte Rhythm & Blues-Gruppen Pionierarbeit leistete und auch mit Stars wie Stevie Wonder, George Clinton, B.B. King und Ike Turner in Berührung kam. Danken tun es ihm heute nicht nur die Cramps, sondern auch die Dirtbombs oder Jon Spencer, der den Dirty Old Man in den 90er Jahren aus der Gosse zurück ins Aufnahmestudio holte, als Williams bereits Gefahr lief, an seiner Cracksucht zugrunde zu gehen. Dank Spencer entstanden so noch im hohen Alter Williams-Klassiker wie "Let Me Put It In" oder "Pussy Stank".

Das turbulente Leben des Zeffrey Andre Williams begann am 1. November 1936 in Bessemer, Alabama. Als Andre sechs Jahre alt war, starb seine Mutter. Der Vater, mittlerweile dem Jobangebot eines Stahlwerks nach Chicago gefolgt, schickte den Jungen zurück in den Süden, wo ihn seine Grosseltern aufzogen. Für rassistische Gängeleien war Williams nach eigenen Angaben zu cool und zu eigensinnig. Ständig hatte er auf dem Schulhof das letzte Wort, spielte im Unterricht aber den Lernwilligen, was einerseits seinen guten Ruf bei den Lehrern stützte, ihn andererseits für seine Mitschüler noch hassenswerter machte. Andres Grosseltern hielten den Bub an der kurzen Leine, verhängten Ausgehverbote und nahmen ihn lieber mit zur täglichen Arbeit aufs Feld bei den weissen Farmern, wo Andre erstmals die Country-Klänge des Hank Williams vernahm, ein prägender Moment. Im Jahre 1952 sang der 16-Jährige erstmals im Kirchenchor. Zu dieser Zeit war er bereits wieder seit drei Jahren in Chicago, da er die grosselterlichen Reglementierungen irgendwann satt hatte und der Sehnsucht nach der Grosstadt nachgeben musste. Andres schulische Glanzzeit war indes vorbei. In Chicago spülte er in einem edlen Schwarzencafé bis vier Uhr morgens für sämtliche Pimps und Hustler der Stadt das Geschirr. Der Schulbeginn um 8.30 Uhr fand somit meist ohne Williams statt. Nach mehrmaligem Fernbleiben schickte man ihn auf ein Internat, wo er in sechs Wochen Benimmunterricht lernen sollte. Williams blieb 26 Wochen (!).

Nachdem er in Chicagos Cobbs Baptist Church bereits die Technik des Gospelgesangs kennen lernte, wurde Detroit sein Geburtsort als Sänger. Zwar kam er schon in Chicago mit einigen Doo Wop-Gruppen (The Cavaliers, The Five Thrills) in Kontakt, doch erst beim Detroiter Label Fortune Records fand er auch sein künstlerisches Glück. Williams erkannte schnell, dass seine Gesangskünste kaum mit den Stimmen der Zeit mithalten konnten und erfand eine Art Sprechgesang für sich. Mit den Don Juans als Backingband entstanden bei Fortune Records die ersten Singles. Den Start machte 1955 "Going Down To Tia Juana", gefolgt von elf weiteren Singles bis 1961. In dieser Zeit komponierte Andre Williams auch seine berühmtesten Songs "Bacon Fat" (1956) und "Jail Bait" (1957), letzterer einer der absoluten Lieblingssongs von Keith Richards. Neben dem rüden Rhythm & Blues-Ansatz erregten vor allem Andres Songtexte für Aufsehen, die vordergründig gerne kulinarische Themen verarbeiteten, die allerdings unschwer auch auf das Gebiet der Sexualität übertragbar waren ("The Greasy Chicken", "Please Pass The Biscuits"). Als 1957 die Nachfrage nach "Bacon Fat" die Vertriebsmöglichkeiten des Independent-Labels Fortune Records überstieg, kümmerte sich die grosse Plattenfirma Epic Records um Williams' Hit. Zu diesem Zeitpunkt hatte Andre die Clubszene Detroits bereits mit wilden und anzüglichen Liveshows bereichert. Besonderen Wert legte er dabei auf sein Aussehen: Ohne elegante, lavendelfarbene Anzüge sah man ihn nie auf der Bühne.

In den 60er Jahren arbeitete Andre Williams für Berry Gordy's Motown-Label, vor allem als Produzent und Komponist. So entstammte Stevie Wonders' früher Song "Thank You For Loving Me" seiner Feder. Für die Five DuTones schrieb er den Charts-Hit "Shake A Tail Feather". 1965 zog es ihn weg von Motown Records und zurück nach Chicago, wo er bei dem renommierten Label Chess Records eine neue Heimat fand. Konnte er seine Songwriting-Qualitäten zunächst noch voll ausleben, endete sein künstlerischer Höhenflug mit der Bekanntschaft von Ike Turner jäh. Die Kombination aus dem vergnügungssüchtigen Williams, von Natur aus schon ein draufgängerischer Party-Typ, und dem in Kalifornien mit allen Reichtümern ausgestatteten Turner, konnte eigentlich gar nicht gut gehen. Und so kam es auch: 18 Monate lang stiegen in Turner's Villa die wildesten Koks-Parties, immer mittendrin: The wild Motherfucker Williams. Am Ende der Party hatte Williams sein Gewicht von 90 Kilo auf 45 halbiert und löste mit dem letzten Funken Lebenswillen ein Flugticket nach Chicago, wo er ein knappes Jahr benötigte, um den Dauerexzess wegzustecken. Hätte er damals jemals Heroin angerührt, so Williams später, sein Grab wäre geschaufelt gewesen. Er schrieb Hits für Motown Records, feierte wilde Koks-Parties mit Ike Turner und landete zuletzt in der Gosse. Trotzdem verbachte er die meiste Zeit der 70er und 80er Jahre abseits des Musikgeschäfts und schlief eine Zeitlang sogar aus Mangel an Tantiemen unter einer Brücke in Chicago. Dieses Elend unterbrachen lediglich kleinere Einnahmen aus den Filmen 'The Blues Brothers' (1980) und 'Hairspray' (1988, mit Sonny Bono und Jerry Stiller), die einige seiner Songs verwendeten und schliesslich in den 90er Jahren eine neue Generation von Garage-Rockern, die den alten Mann auf die Bühne und zurück ins Aufnahmestudio hievten.

Jon Spencer vermittelte Andre an das Norton-Label, wo 1996 sein Comeback "Greasy" erschien. Richtig Wirbel verursachte allerdings das Nachfolgewerk "Silky" (1998) beim In The Red-Label, wo er auf Empfehlung der minimalistischen Detroit-Rocker Demolition Doll Rods aufspielte. "Silky" beeindruckte denn auch mit einer betont ruppigen Dirty Rock-Attitüde, auf der Andre's kratziger Bariton den letzten Dreck aus den Boxen pustete. Mit den Demolition Doll Rods und den Countdowns spielte er auch einige Shows in Deutschland und der Schweiz, wo ich den inzwischen leicht abgehalftert wirkenden Punk-Crooner selbst live erleben durfte, bevor er sich als Support von Jon Spencer in Europa und Amerika ein grösseres Publikum erspielen konnte. Auf dessen Album "Acme" half der inzwischen sichtbar alte Mann bei der Produktion. Sein nächstes Album "Red Dirt" schlug 1999 in eine ähnliche Kerbe, als Backing Band fungierten The Sadies.

Im Jahre 2000 erschien mit "The Black Godfather" ein extrem geiles Anti Blues Album, das den ganzen Rhythm'n'Blues Dreck der 60's Garage Punk Bands auf den Punkt brachte. Dabei handelte es sich um Titel, die er mit verschiedenen Backing Bands eingespielt hatte: Mit der Punk Band The Countdowns hatte ich ihn ja live erlebt, dann hat er auf dem Album auch Songs mit der Band Jon Spencer's Blues Explosion, mit den Dirtbombs, den Cheater Slicks und den Compulsive Gamblers aufgenommen. Ein absolut wunderbares Trash Blues Album, welches ich als das Beste von ihm bezeichnen würde.

2003 erschien mit "Holland Shuffle" ein orgellastiges Livealbum von einem 2001er Konzert in Groningen, bei dem Green Hornet hinter Williams stramm standen. Im Jahr 2006 schaffte es der Dirty Old Man, mittlerweile knapp 70 Jahre alt, tatsächlich noch ein weiteres Mal über den grossen Teich: Im Rahmen des Münchner Shake Your Ass-Festivals trat der Grosswesir des Dirty Soul im Juni mit der holländischen Backingband Atilla De Hun in der Monofaktur auf. Dort erfuhr man, dass Williams auch wieder ein neues Album eingezimmert hatte: "Aphrodisiac". Nach seinen Rock'n'Roll-Ausflügen der jüngeren Zeit ein überraschend altersmildes Werk, das ihn zusammen mit den Diplomats Of Solid Sound zurück zu alten Soul- und Rhythm & Blues-Zeiten heranführte. Zwischenzeitlich verlegte der Black Godfather seinen Wohnsitz nach Illinois, wo auch seine neue Label-Heimat Pravda Records beheimatet war. Im Januar 2007 erschien das Album "Aphrodisiac" auch in Deutschland.

Dass Andre Williams im Gegensatz zu seinem Ex-Kollegen Ike Turner das Jahr 2008 noch miterleben durfte, war ein mittleres Wunder. Zunächst flog er wegen Drogenbesitz aus seinem neuen Altersheim-Appartment in Joliet, Illinois raus und direkt ins Gefängnis. Anschliessend kollabierte er nach intensiven Bacardi-Wochen in einer Arztpraxis und wurde mit Lungenentzündung, Alkoholvergiftung und Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert. Doch zum Ableben hatte der Stehauf-Rocker keine Zeit: Die Genesung schritt zügig voran und in losen Abständen haute Mr. Rhythm immer wieder frische Studioalben raus. Zwischendurch gab es noch eine lustige Coversingle mit AC/DC's "It's A Long Way To The Top (If You Wanna Rock'n'Roll)" und dem Beastie Boys-Heuler "Fight For Your Right". Mit "Hoods And Shades" lieferte der exzessiv lebende Künstler noch einmal ein absolut kerniges und bemerkenswert hochklassiges Album ab, dem er im selben Jahr noch zwei weitere Werke folgen liess: "Life" und "Night & Day (mit der Band The Sadies als Begleittruppe). "Hoods And Shades" zeigte den Musiker mit einer tollen Funk- und Soul-Mixtur, für welche er zusammen mit dem renommierten Soul-Gitarristen Dennis Coffey mehrere hervorragende Songs zusammenschusterte. Das im Jahr darauf veröffentlichte Live-Album "Bad Motherfucker" präsentierte den alten Haudegen mit den Goldstars, wo er live im Slow Club in Freiburg, Deutschland spielte. Zuletzt erschien im Juni 2016 eine weitere Platte mit dem Titel "I Wanna Go Back to Detroit City", gefolt von dem in limitierter Auflage erschienenen Album "Don't Ever Give Up", veröffentlicht 2017 auf Pravda Records.

2019 holte den Black Godfather dann sein Schicksal doch ein: Der Sensemann klopfte am 17. März 2019 an seine Tür und holte den Sünder ab. Er wurde trotz seinem intensiv zu nennenden Lebensstil stolze 82 Jahre alt. Ihn rückwirkend in eine Stilschublade zu pressen, bedingt, dass man sich vor seinem geistigen Auge vor einem grossen Schrank stehen sieht, und auf die Beschilderungen der mindestens 4 Schubladen schaut, auf welchen stehen: Dirty Soul, Garage-Punk, Fuzz-R&B und Blues Noir. Welche man dabei öffnet, ist egal: André Williams verbirgt sich hinter jeder dieser Schublade. Ein Musiker, der kaum mit Jemand anderem vergleichbar ist, auch wenn er rein von seiner Attitüde her (aber ohne Williams' bescheuertem Sexismus) vielleicht ein wenig an Screamin' Jay Hawkins erinnert.







Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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