[REVIEW] XTC • English Settlement (1982)

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Beatnik
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[REVIEW] XTC • English Settlement (1982)

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Spätestens mit dem Erscheinen dieses hervorragenden Doppelalbums im Jahre 1982 war aus der zuvor vielleicht noch etwas Post Punk- oder New Wave-lastigen Band aus Swindon, Wiltshire in England, eine anspruchsvolle äusserst innovative und künstlerisch wahrlich Grenzen sprengende Art Rock, resp. Art Pop-Band geworden, deren markante Beatles-Anteile hier einen ersten Höhepunkt erfuhren. Nicht wenige Musikhörer dachten sich damals: So hätten die Pilzköpfe durchaus klingen können, wenn es sie noch gegeben hätte. Wie bei den Beatles standen auch die ausgeklügelten und anspruchsvollen Arrangemente der Songs von XTC im Vordergrund. Pop-Appeal bedeutete spätestens seit das die Beatles mit ihrem revolutionären Album "Revolver" vorgemacht hatten, nicht mehr nur für einfache und mitsingbare Lala-Lieder, sondern enthielten viele kleine, meist nicht beim ersten Anhören auffallende kreative Spielereien, welche die Songs nach und nach wachsen und reifen liessen. So gerieten auch die Titel des Doppelalbums "English Settlement" zu wahren Songperlen, die noch heute, fast 35 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, nichts von ihrer ursprünglichen Faszination verloren haben. Die beiden Songschreiber Andy Partridge (Gesang und Gitarre) und Colin Moulding (Bass und Gesang) schufen mit ihren beiden weiteren Bandkumpeln Dave Gregory an den Keyboards und dem Schlagzeuger Terry Chambers ein brilliantes Pop- und Art Rock Feuerwerk, das 15 bestechende Songs präsentierte, die enorm vielseitig gerieten, künstlerisch teilweise sehr anspruchsvoll in Szene gesetzt waren, dabei aber oft mit unverschämt eingängigen Melodielinien versehen waren, die sowohl tanzbar, aber auch mitsingbar waren.

"English Settlement" war das fünfte Studioalbum der Band XTC, veröffentlicht am 12. Februar 1982. Das Album erreichte bereits kurz nach Erscheinen den fünften Rang in den britischen Hitlisten und gar einen Rang 48 in den amerikanischen Billboard 200 Album Charts. Besonders die stark politisch gefärbten und kritisch ausgefallenen Songtexte waren ein markantes Erkennungsmerkmal des Albums. In ihnen hinterfragten die beiden Komponisten Moulding und Partridge immer wieder die bestehende Gesellschaftordnung und die typisch britische Lebensart. Hiessen XTC "The Beatles" und Partridge/Moulding "Lennon/McCartney", wäre dieses Album wahrscheinlich millionenfach verkauft worden, alle hätten es toll gefunden und in der Liste der besten Alben aller Zeiten würde es regelmässig noch vor "Sergeant Pepper" aufgeführt. Da dem nicht so war, XTC nie ein Massenpublikum anziehende Hits wie die frühen Beatles produziert hatten und auch nicht die Ersten waren, ausserdem noch Andy Partridge auf der Bühne kollabierte und danach nicht mehr öffentlich auftreten wollte, blieb das Album "English Settlement" im Jahr der Veröffentlichung den Kennern vorbehalten (wie auch alles weitere von dieser Band), während die Masse der Popmusikhörer wohl kaum bereit war und je bereit sein wird, sich in diese komplexen Klanggebilde hineinzuhören. Vom Ska und New Wave ihrer früheren Jahre ausgehend, hatten XTC in dieses Album viele andere Musikstile einfliessen lassen, unter anderem Klassik, Folk, Funk, Soul und Jazz, und diese ganzen Stile zu einer homogenen Einheit verschmolzen. Stücke wie "Senses Working Overtime", "Jason And The Argonauts" oder "All Of A Sudden" hoben den Pop auf eine neue, der klassischen Musik nahen Ebene, daneben gab es aber auch trotz aller Ambitionen durchaus Tanzbares wie "No Thugs In Our House", "Melt The Guns", "Fly On The Wall" und "English Roundabout". Auch der kultivierte musikalische Witz wurde ausgeprägt gepflegt, vor allem mit "Snowman", einem sehr selbstironischen Liebeslied. Kaum Jemand, der da nicht lächeln musste. Eine Fülle vertonter Ideen sprang das Ohr des Hörers an, immer wieder überraschend, da XTC kaum Rücksicht auf herkömmliche Klangmuster und Liedstrukturen nahmen.

Es war schon zu jeder Zeit und regelmässig das Schicksal etlicher hervorragender Bands, oftmals nur von einer anspruchsvollen, eingeweihten Minderheit wahrgenommen und entsprechend geschätzt, von der breiten Masse hingegen verkannt und ignoriert zu werden. Dabei hätte diese sprichwörtlich wirklich urbritische Band um die ausserordentlich begabten Songschreiber und Musiker Andy Partridge und Colin Moulding mit Sicherheit alles besessen, um ganz gross rauszukommen: geniale Songs ohne Ende, diese immer wieder auftauchende typische beatleske Melodik, Mitsing-Refrains mit hohem Erinnerungsfaktor, innovative, eingenwillige Instrumental-Virtuosität, einen unverkennbaren Sound und mit Andy Partridge einen so genialen wie exzentrischen Sänger. Doch gerade Partridge bewies tragischerweise, dass er nicht nur auf Gedeih, sondern letzlich auch auf Verderb mit seiner Band verschweisst war, die ihrerseits mit dem tragischen Umstand leben musste, dass ihr Sänger nach zwei Nervenzusammenbrüchen nicht mehr live auftreten wollte und XTC damit als reine Studio-Band im Pop-Konkurrenzkampf entscheidend benachteiligt sein würde. Und es war exakt jene neuralgische Periode rund um Andy Partridge's Krisen, in denen das Meisterwerk "English Settlement" entstand.

Das ursprüngliche Doppelalbum von 1982 ist voll von den verblüffendsten Melodien und Strukturen, schrägen und vertrackten Texten, subtilen Arrangements im unverwechselbaren Klang der Rickenbacker-Gitarren, auf denen vor allem Leadgitarrist Dave Gregory brilliert. Wie auf den Alben zuvor schon, aber in ausgefeilterer, subtilerer Manier gelang XTC der Spagat zwischen New Wave-Nervosität und Sixites Pop-Harmonik, schrägen Stakkato-Figuren und kontemplativer Sophistikation. Oder anders ausgedrückt: In Zeiten, in denen in der Popmusik Minimalismus angesagt war, vermochte es XTC, mit relativ einfachen Mitteln (Schlagzeug, Bass, zwei Gitarren, einem Sänger und ein wenig Studiozauberei) eine Handvoll Minuten derart randvoll mit Ideen zu packen, dass Progressive Rock-Gruppen wohl 20 Minuten benötigen würden, um es ihnen gleichzutun, ohne allerdings an jene Schwerelosigkeit und unpretentiöse Brillanz heranzukommen, die die Musik von XTC auf "English Settlement" auszeichneten.

Sicherlich rief dieses Werk nicht nur Enthusiasmus hervor, und Kritiker äusserten sich gerade über die Cleverness und den Perfektionismus der Band abfällig. Trotzdem diente die Band bis heute so gut wie jeder neuer Generation britischer Gitarrenbands als massgebliche Inspirationsquelle, sei dies für die Bands Blur, Franz Ferdinand oder die Kaiser Chiefs. Gerade bei diesen neueren Brit Pop-Bands hörte man kleine Zitate von XTC immer wieder heraus, und das bis heute. Anspruchsvolleren, detailverliebteren und intelligenteren Gitarrenpop fand man jedenfalls in den 80er Jahren kaum, aber für den Mainstream-Geschmack waren XTC wohl einfach zu gut, um so zur ganz grossen Karriere abzuheben. Die Band konnte letztlich ja auch nur einen wirklichen Hit feieren mit dem Song "Senses Working Overtime", selbstverständlich enthalten auf diesem Album. Der melodische Einfallsreichtum, der in den meisten dieser Songs steckt ist genauso beeindruckend, wie die frickeligen Arrangements. Auch rhyhtmisch war das eine ziemliche Wundertüte. Das federleichte und karibisches Flair versprühende Stück "Yacht Dance" sei hier als entsprechendes Beispiel genannt. Fast relaxt wirkte hingegen "All Of A Sudden" mit seinem herrlich rollenden Bass und den prägnanten Trommel-Sounds. Funky und doch weltmusikalisch klangen sie auf "Melt The Guns'"und das war ein Lehrstück in punkto Reduktion. Überhaupt musste man den Schlagzeuger Terry Chambers hervorheben, denn seine minimalistische, aber extrem effektive Spielweise verlieh den frühen XTC Platten nebst der Stimme von Andy Partridge einen hohen Wiedererkennungswert.

Gesanglich erinnerte Partridge auf dem eher etwas aus dem Gesamtkonzept fallenden Stück "Leisure" ein bisschen an Adam Ant. Dieser leicht kantige Song mit seinem unerbittlich geraden Beat ist vielleicht einer der am schwersten zugänglichen Titel dieses Albums. Mit dem perkussionslastigen, afrikanisch unterlegten "It's Nearly Africa" ging die Band dann eindeutig einen Schritt in Richtung Weltmusik. Sonnig wurde es mit "Knuckle Down", einem wiederum am glückseligsten an die Beatles erinnernden Titel, dem vielleicht letztlich nur ein ganz kleiner kompositorsicher Kompromiss zu einem echten Ohrwurm gefehlt hätte. Das flotte "Fly On The Wall" atmete ein ganz klein wenig Punk, nervös und doch witzig klang "Down In The Cockpit" und mit "English Roundabout" ging es wieder in die Karibik, wo die Band auch mit dem das Album beschliessenden "Showman" blieben. Bleibt noch "Runaways". Das war der Opener dieses Doppelalbums, und es ist bis heute mein Einstieg in die Band XTC geblieben. Noch immer passiert es mir, dass ich, sobald ich diesen phänomenalen Song höre, automatisch Lust auf mehr kriege und meist die komplette "English Settlement" durchhöre und ab und zu auch gleich ein weiteres XTC-Werk auflege.





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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] XTC • English Settlement (1982)

Beitrag von Louder Than Hell »

Die Alben "Drums And Wires" und "Black Sea" sind auch hier ansässig. "English Settlement" ist mir ebenfalls bekannt, aber eben im Detail nicht so vertraut.

Sie spielen weiterhin eine Art Popdiscomusik der Jahre 78 - 82, wie man sie seinerzeit nur in englischen Rockclubs gehört hat. Bei uns schwappte diese Welle ja erst mit der Verspätung von 2 - 3 Jahren auf den Kontinent. Zu dieser Zeit waren in England aber bereits wieder andere Gruppen angesagt.

Die Musik auf dieser Platte ist geprägt von intelligenten Texten und einem Füllhorn atemberaubender und eingängiger Melodien. Bisweilen taucht in einigen Stücken spurenweise so ein leichter Reggaetouch auf, der sicherlich der damals ebenfalls angesagten Ska-Musik geschuldet sein dürfte. Und besonders bemerkenswert ist die der Musik angepasste perfekte Produktion, die den einzelnen Songs ihren tatsächlichen Ausdruck vermittelt.

Mit den sogenannten Hardcore Punks wie GBH, Exploited und Discharge hatten XTC nie etwas am Hut. Insofern würde ich die Musik von XTC dem popgefärbten New Wave der damaligen Zeit zuordnen, die es verstand, melodiegeprägte Songs dutzendweise zu entwickeln.

Wenn ich beispielsweise "Making plans for nigel" höre, habe ich unwillkürlich solche Songs wie "Pretty Vacant" Sex Pistols, "No more heroes" Stranglers, "Have you ever fallen in love" Buzzcocks und "Valley of the dolls" Generation X vor Augen, die mit diesen Liedern ebenfalls Musikstücke mit einem großen Melodiefaktor geschrieben haben.

Im Rückblick der zurückliegenden fast 40 Jahren komme ich sogar zu dem Ergebnis, dass die in diesem Zeitfenster 77 - 82 geschriebenen Lieder fast denselben musikalischen Stellenwert der Aufbruchsjahre von 66 - 70 haben, als die Künstler Popperlen nur so aus dem Ärmel schüttelten und damit die Hitparaden fluteten. Was in der Jahren 77 - 82 als "böse" Musik verschrien war, sind in der Nachbetrachtung eingängige Popjuwelen gewesen, die man heute noch gerne hört.

Mit dem Rausschmeißer von XTC "Snowman" will ich meine XTC - Anmerkungen beenden. Und nochmals Danke für die gelungene Rezi.
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Re: [REVIEW] XTC • English Settlement (1982)

Beitrag von Beatnik »

Danke für diesen ausführlichen Post. Leider waren XTC hierzulande nur moderat bekannt, nicht wie in England, wo sie sehr verehrt wurden. Das Besondere an XTC war halt wie zum Beispiel auch bei The Clash, Magazine oder den Stranglers, dass sie nur ganz am Rande auf der Punk Welle schwammen, sich davon aber sehr schnell emanzipierten und die New Wave massgeblich mitgestalteten. Ausserdem waren XTC für mich definitiv auch Wegbereiter für den späteren Brit Pop - und dabei so ganz nebenbei auch noch eine klasse Art Pop/Rock Band.
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BRAIN
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Re: [REVIEW] XTC • English Settlement (1982)

Beitrag von BRAIN »

Mit der English Settlement sind sie endgültig in das Edelpop-Lager übergewechselt.
Ich mag ja alles von ihnen, aber XTC ist eine von wenigen Bands wo ich das Karriereende besser finde wie die Endwicklung am Anfang.
Nonsuch und Appel Venus No.1 sind meine meistgehörten.
English Settlement ist auch ziemlich gut liegt aber oft lange Zeit im Regal.
Das zündet bei mir nur in gewissen Phasen, so richtig habe ich es nicht verinnerlicht.
Egal, jedenfalls wieder mal eine sehr aufschlussreiche Rezension.
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