[REVIEW] Jobriath • Jobriath (1973)

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Beatnik
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[REVIEW] Jobriath • Jobriath (1973)

Beitrag von Beatnik »

Der englische Begriff 'epicene' ist ein Adjektiv, manchmal auch als Substantivum gebraucht und bezeichnet im eigentlichen Sinne das Fehlen jeglicher geschlechterspezifischen Merkmale, oder aber zumindest den Verlust der Männlichkeit im Sinne von: Ein Mann mit weiblichen Charakteristiken, Androgynität: Jemand mit sowohl weiblichen wie männlichen Merkmalen, oder auch Asexualität: Das Fehlen sowohl männlicher wie weiblicher Charakteristiken. Von dieser Warte aus betrachtet muss einem der leider sehr früh verstorbene amerikanische Schauspieler, Sänger - ich nenne ihn eher: Das Gesamtkunstwerk Jobriath Boone wie ein Wesen von einem fremden Stern vorkommen.

Und das ist er vielleicht auch gewesen, wenn man all den sinnlos doofen Presseberichten glauben schenken will. Einer Presse, die mit dem künstlerischen Anspruch, dem äusserlichen Eigensinn und der bisweilen arg durchtriebenen Theatralik, gepaart mit den durchaus provokativen textlichen Aussagen von Jobriath Boone so gar nichts hatte anfangen können - letztlich wohl schlicht überfordert war, weil er in keine der gängigen stilistischen Schubladen passen wollte. Dabei war doch gerade die Zeit des Ziggy Stardust, Larry Lurex und überhaupt des ganzen Glamours, der in der Popmusik Einzug gehalten hatte. Jobriath war daher zumindest eine schrille Persönlichkeit, und er war auch genügend extrovertiert veranlagt, um das zu zeigen, auszuleben.

Er war aber sicherlich nicht schriller als beispielsweise auch Brian Eno von Roxy Music oder der Pseudo-Rock'n'Roller Gary Glitter. Jobriath hatte Stil, wirkte auf mich faszinierend auf seine ganz eigentümliche Art und Weise, verkörperte für mich wie kaum ein Anderer den Zeitgeist von Glitzer und Glamour. Vieles, was sich mir aufgrund seiner Ausstrahlung und Performance darstellte, würde ich auf seinen schauspielerischen Hintergrund zurückführen.

Geboren als Bruce Wayne Campbell am 14. Dezember 1946 legte er sich schon in Jugendjahren den Phantasienamen Jobriath Salisbury zu, und begann, Klavier zu spielen. Er wurde festes Casting Mitglied der originalen „Hair“ Theatertruppe (als „Woof“), und zeichnete für einige wichtige musikalische Beiträge arrangementmässig verantwortlich. Dafür ernetete er durchweg positive Kritiken. Zeitgleich formierte er die Band Pidgeon, ein Hippie Rock Ensemble, das auf Decca auch eine LP veröffentlichen konnte, welche aber floppte. Später wurde Jobriath zur Armee einberufen, leidete dort als Schwuler aber sehr und landete für sechs Monate in einer psychiatrischen Militäreinrichtung. Dort begann er Stücke zu schreiben, von denen man etliche später auf seiner ersten Solo-LP würde hören können.

Die entsprechenden Demo-Tapes landeten auf Umwegen auch bei Jack Holzman, welcher einen Plattenvertrag mit Elektra arrangieren konnte. Jobriath lag zu dieser Zeit als Amerikaner mit seinem ganzen Auftreten voll im Trend, denn gerade hatte der Engländer David Bowie mit seiner Ziggy Stardust Geschichte in den Staaten erste Erfolge verbuchen können. Auf diesen Trend wollte man aufspringen und schickte dazu also Jobriath ins Rennen. Damit das Ganze auch qualitativ auf höchstem Niveau stand, verpflichtete Jerry Brandt, der damalige Präsident von Elektra Records, hochkarätige Musiker zur Einspielung der Songs. So zum Beispiel Gitarrist Peter Frampton, oder Led Zeppelin Bassist John Paul Jones. Später dann wurden vielen Stücken auch noch Streicher beigemischt, und die wurden vom London Symphony Orchestra eingespielt. Protzen und klotzen pur also. Aufgenommen wurde in den Electric Ladyland Studios, Aufnahmeleiter war Eddie Kramer. Der Plan war, Jobriath als den ersten schwulen Rock’n’Roll Star gross zu machen, oder mit den Worten von damals: „The True Fairy of Rock’n’Roll“.

Erstaunlich war, wie sich Jerry Brandt die weltweite Vermarktung und das optische Erscheinungsbild seines neuen Stars vorstellte. Wenn man das heute nachliest, kriegt man schlicht das Grausen. Hier ein Auszug aus der damaligen Tour-Strategie:

„The Show’s Finale would feature Jobriath dressed as King Kong being projected upwards on a mini Empire State Building. This would turn into a giant spurting Penis with a doorway to a Piano for Jobriath, who by the time he got there, would have been transformed into Marlene Dietrich”.

Wenn man sich dieses Vorhaben vor Augen hält und dabei noch die Musik, die Jobriath gemacht hat in diesem Kontext sieht, dann merkt man sehr schnell, dass das alles überhaupt nicht zusammenpasste, und dass hier einmal mehr eine ebenso gigantische wie völlig absurde Kommerzmaschinerie losgetreten werden sollte, in welcher der Akteur unweigerlich scheitern musste. Denn die ganze fragile Persönlichkeit des Künstlers Jobriath Boone wurde von diesem total pervertierten Gigantismus hoffnungslos zusammengestaucht. Ein solch aufgeblasenes, absurdes Projekt sucht auch heute noch seinesgleichen.

Natürlich scheiterte Jobriath schon nach kurzer Zeit, da halfen auch promotionsträchtige Aktionen wie zum Beispiel ein Live-Auftritt in einem Flugzeug oder Brandt’s Statements („Elvis, The Beatles and Jobriath“) nichts. In England machte man sich lustig über den überkandidelten „Bowie-Wannabe“. Die schon nach sechs Monaten nachgereichte zweite LP „Creatures Of The Street“ wurde zum totalen Flop, obwohl sich darauf die eher rockigeren Titel aus der Electric Ladyland Session des Debutalbums befanden. Jobriath merkte sehr schnell, dass er der gigantischen Erwartungshaltung nicht würde standhalten können und zerfledderte zunehmends im Drogen- und Alkohol-Rausch.

Anfang 1975 war alles vorbei, Jobriath reüssierte im Film „Dog Day Afternoon“ als Al Pacino’s Lover, floppte aber auch da. Danach tingelte er als Cloe Berlin durch die Schwulen Clubs und gab Show Tunes aus den 20er und 30er Jahren zum besten, und wenn das nicht zum Leben reichte, ging er der Prostitution nach. 1981 verlor er extrem an Gewicht, erkrankte an Aids. Im November 1982 trat Jobriath ein letztes Mal live auf, anlässlich des 100. Geburtstages des legendären Chelsea Hotels, in welchem er sich vor einiger Zeit eingemietet hatte. Im Juli 1983 rief einer der Hotelmanager die Polizei, weil Jobriath schon mehrere Tage sein Zimmer nicht verlassen hatte. Jobriath war bereits seit mehreren Tagen tot.

Jobriath’s musikalisches Vermächtnis ist nicht gross, und es ist dem Musiker Morrissey zu verdanken - einem bekennenden Jobriath Fan - dass er es finanziell ermöglicht hat, die meisten der Songs aus Jobriath’s beiden Alben für Elektra Records wieder zugänglich zu machen. Er hat dabei sowohl bei der Songauswahl, wie auch bei der klanglichen Restauration grosse Sorgfalt walten lassen. So klingen Jobriath’s Songs heute so frisch wie ehedem, und die von Morrissey persönlich zusammengestellte Kompilation „Lonely Planet Boy“ lässt eigentlich keine Wünsche offen.

Dem Vinylfan empfehle ich, nach dem wunderschönen und fragilen Debutalbum Ausschau zu halten, denn es reflektiert den Künstler Jobriath am allerbesten.

Jobriath bleibt für mich eine der ganz grossen, leider völlig vergessenen Persönlichkeiten in der populären Musik. Man hätte diesem aussergewöhnlichen Menschen damals wohl jede erdenkliche Plattform bieten können, er wäre wahrscheinlich trotzdem gescheitert. Denn für so fragile Individuen wie ihn gab und gibt es, damals wie heute, kaum ein Platz in dieser kaputten Welt.

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Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
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Louder Than Hell
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Re: [REVIEW] Jobriath • Jobriath (1973)

Beitrag von Louder Than Hell »

Am 01.10.1974 startete mein Berufsleben und ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine kleine 1 Zimmer Wohnung von gut 32 qm2. Neben meiner Uher Tonbandmaschine standen mir keine weiteren Musikquellen wie Radio, Plattenspieler oder Fernseher zur Verfügung, auch ein Telefon gab es nicht. 14 Monate später schlug meine große Stunde und ich kaufte mir von meinem ersten Weihnachtsgeld eine Kompaktanlage von Telefunken, die natürlich mit einem Plattenspieler und einem Radio ausgestattet war. Das gute Stück kostete damals rund 1.200 DM. Während des Kaufs hatte ich mir drei LP's herausgesucht, die sich in einer Grabbelkiste befanden, die dort für 5 DM das Stück angeboten wurden. Großzügerweise schenkte mir der Verkäufer diese LP's. Darunter befanden sich "Lighthouse" (One Fine Morning), "Sameti" (Hungry For Love) und "Jobriath" (Same). Weder die genannten Bands, noch die Alben kannte ich zuvor, aber die Cover sahen vielversprechend aus.

Da ich in dieser Phase absoluter Bowie, Roxy Music und auch Lou Reed Fan war, hat mich das glamrockbeladene Album von Jobriath voll in seinen Bann gezogen. Stück für Stück reihte sich ein Knaller nach dem anderen ein. Es war überwältigend, was dieser mir bisher unbekannte Künstler mit seinen Studiomusikern eingespielt hatte. Es waren nicht nur die Kompositionen, die berauschend waren, sondern auch der einfühlsame Gesangstil von Jobriath selbst. Dieser konnte je nach Musikstück von euphorisierenden in völlig melancholische Passagen abtauchen und somit den Songs weitere Glanzlichter vermitteln. Auch das divenhafte Cover passte bestens zu der Einspielung. Warum er mit diesem Album nicht durchgestartet ist, war sicherlich dem Umstand geschuldet, dass er Amerikaner war und dass das Album auf Elektra erschien. Wäre er Engländer gewesen, hätte einiges anders aussehen können.

9 Jahre später habe ich mir dann noch in Amsterdam das zweite Album "Creatures Of The Street" zugelegt, das jedoch eine einzigartige Enttäuschung war. Nichts war mehr von dem Glanz des Debüts vernehmbar und letztlich musikalisch völlig beliebig und somit unwichtig.

Die weiteren Umstände seines Lebens nach seinen beiden Platten waren mir nicht bekannt gewesen, auch nicht sein späterer Tod im Jahre 1983. Somit Mäse noch einmal Dank auch für den persönlichen Hintergrund seines Lebens.
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