[REVIEW] Rotjoch • Bad Boy (1981)

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Beatnik
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[REVIEW] Rotjoch • Bad Boy (1981)

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Rotjoch waren eine New Wave Band aus Hilversum Holland, allerdings spielte die Gruppe nicht den damals gerade angesagten, oft mit elektronischen Hilfsmittel versehenen Dance Pop oder Punk Pop, sondern bedienten sich eher der klassischen Rock'n'Roll Schemen. Nicht zuletzt deshalb wurden sie später auch gerne als Power Pop Band bezeichnet, vor allem heute, denn damals liessen sich sogenannte Power Pop Bands oft noch nicht so sehr von New Wave Bands unterscheiden. Auch ein kleiner Einfluss der Punkmusik lässt sich ausmachen: Nicht so sehr in der Musik, aber dafür in der Lauflänge ihrer Songs, die oft über die 2 Minuten-Marke nicht hinauskam, was ihre knackigen und hochmelodischen Shorties allerdings umso cooler machte. Die Gruppe wurde im Jahre 1978 von Singer/Songwriter Ronald "Rebel" Welgemoed gegründet. Ihre erste Single kam aber erst drei Jahre später heraus: "Tomorrow" erschien 1981 und wurde in ihrem Heimatland ein kleiner Hit, war aber ausserhalb der Niederlanden wohl kaum bekannt. Noch im selben Jahr veröffentlichte die Gruppe ihre zweite Single "Bad Boy", sowie eine LP, die ebenso betitelt war. Und diese LP hatte es wahrlich in sich.

Was die ersten zwei Singles vielleicht gerade mal ansatzweise erahnen liessen, konnte man auf der Langspielplatte eindrücklich nachhören: Hier war eine grossartige und für die Zukunft hoffnungsfrohe Band am Start, die mit ihrer ersten LP gleich so etwas wie einen Meilenstein des Power Pop präsentierte. Was auf den beiden Vorab-Singles allenfalls als vielversprechend wahrgenommen werden konnte, bestätigte sich auf der LP gleich in 14-facher Ausführung: Jeder Song ein Volltreffer, sowohl in kompositorischer, wie in spielerischer Hinsicht. So abgebrüht und hochprofessionell eine Platte hinschmettern: Damit hatten wohl nicht mal die Musiker selber gerechnet. Dass die Jungs einiges an Qualität zu bieten hatten, war indes den Verantwortlichen von Polydor Records schnell klar: Die Platte konnte auf dem renommierten Label veröffentlicht werden. Damals war das nicht gerade Usus, nur den wesentlich bekannteren und schon seit vielen Jahren aktiven Flavium gelang der Wechsel zu diesem Label ebenfalls.

Durch die Veröffentlichung auf Polydor war es der Band natürlich plötzlich auch möglich, fast weltweit auf sich aufmerksam zu machen. Das im September 1981 veröffentlichte Album "Bad Boy" blieb aber leider trotz dieser guten Ausgangslage ein rein lokales Phänomen - ausserhalb der Niederlanden gelang kein genügend grosses Airplay, auch die Möglichkeiten zu Auftritten blieben ausserhalb ihrer Heimat in engen Grenzen, weshalb die Platte vorwiegend in Holland verkauft wurde. Der Vertrieb innerhalb Europas brachte die Platte zwar in aller Herren Ländern in die Regale, doch blieb sie dort in der Regel wie Blei liegen und landete bald einmal in den Grabbelkisten und Wühltischen für einen Appel und ein Ei.

Die Gruppe Rotjoch bestand aus dem bereits erwähnten Sänger und Songschreiber Ronald 'Rebel' Welgemoed, der auch die Rhythmusgitarre sowie die akustische Gitarre spielte. Mit dabei waren auch der Lead- und Rhythmusgitarrist Pim Bilderbeek, der Bassist Michiel Ten Veen und der Schlagzeuger René Van Den Velden, der allerdings nicht bei allen Songs trommelte, und sich daher den Job an der Schiessbude mit Minze Koopman teilte. Als Gastmusiker waren auf dem Stück "Another Lonely Night" der Saxophonist Paul Berding und bei "Where Is Justice" der Hammond Orgel spielende Jos Van Woudenberg mit von der Partie. Aufgenommen von Roel Toering im Stable Sound Studio in Arnhem geriet die Aufnahme der 14 Songs zu einem einmaligen, sehr druckvoll abgemischten Hybrid aus Rock'n'Roll und allerbesten Pop-Manierismen, bei welchen nicht selten die Beatles und die Searchers durchschimmern, auch die Raspberries um Eric Carmen kann man durchaus heraushören.

Trotzdem präsentierten Rotjoch auf ihrem leider einzigen Album eine prächtige Song-Sammlung, die sofort mitreisst und zum tanzen animiert. Schon der Opener der LP, das Uptempo-Stück "Too Many Weirdos" überrascht mit zahlreichen eindeutigen Hit-Elementen, die trotz konsequent in einer Mol-Melodie gehaltenen Ausführung sofort in den Gehörgängen hängen bleibt. "Another Lonely Night" mit dem klasse schmissigen Saxophon, gespielt von Gastmusiker Paul Berding hält dieses überraschend hohe musikalische Niveau locker, wie auch die nachfolgenden Stücke der ersten LP-Seite "No Expectations", "Shame On Me", "Ghostride" und "Danger In The City".

Eine prachtvolle Tour De Force des Power Pop und des poppigen Rock'n'Roll bietet dann die überraschend gute zweite LP-Seite mit ihren insgesamt 8 Songs, von denen nur gerade das herzhaft rhythmische "San Salvador" die 3 Minutenmarke knackt. Meist unter 2 Minuten Lauflänge angesiedelt, bieten die Shorties "Accident" (1:53), "So Unreal" (1:55) und das powervolle und abschliessende "Tomorrow" (1:52) am meisten Hörspass. In diesen Stücken beweisen Rotjoch, dass es zu einem perfekten Song inklusive toller Mitsingmelodie, eingängigem Refrain und kurzem, aber prägnanten Solo keinerlei weitere Gimmicks braucht, um einen perfekten Hörgenuss zu erzielen. Dazu gesellen sich mit dem Titelstück, das auch als Single erschienen war, den Titeln "Where Is Justice", "Losers And Thieves" und "Hungry Loving" drei weitere hochkarätige Nummern, die weit über dem Durchschnitt liegen und durchaus auch von viel berühmteren Bands hätten vorgetragen werden können.

Ein grosser Jammer ist, dass die Band zwar ein weiteres Album eingespielt hat, das von Joel Komkommer produziert worden war, bei Polydor aber leider nicht genügend Unterstützung fand, dass es zu einer Veröffentlichung gereicht hätte. Da es auch dieses leider einzige Album von Rotjoch nie zu einer Wiederveröffentlichung oder gar einen Release auf CD gebracht hat, muss man wohl leider davon ausgehen, dieses zweite Werk der Band kaum je zu hören zu kriegen. Für das Artwork der Platte "Bad Boy" zeichnete George Cramer verantwortlich, der auch Albumcovers für Flairck, Earth & Fire und Herman Van Veen designed hatte. Das bemerkenswerte und absolut perfekt zur gebotenen Musik von Rotjoch passende Coverfoto stammte vom Fotografen Fernando Van Teylingen, der im selben Jahr auch das ganz hervorragende Coverbild zu Flavium's LP "No Kiddin'" schoss, sowie für zahlreiche weitere Platten, etwa von Diesel, den New Adventures, Mai-Tai und sogar James Last die Fotografien zu entsprechenden Plattencovern lieferte.

Die Band Rotjoch segnete relativ bald das Zeitliche, nicht ohne vorher noch einmal eine Single zu veröffentlichen: Die leider kaum wahrgenommene 7" "Baby Baby Baby" erschien lediglich in Frankreich auf dem kleinen Label VIP Records, wurde ausserdem unter dem Namen REBEL veröffentlicht. Danach trennten sich die Wege der Musiker. Die insgesamt drei Singles, sowie diese hervorragende LP geniessen unter Power Pop Fans einen hervorragenden Ruf und sind heute entsprechend gesucht und Objekte der Begierde unter Sammlern geworden. Ronald Welgemoed machte weiterhin Musik, veröffentlichte unter dem Namen Rebel auch zwei weitere Alben: "You're Already Listening" im Jahre 1989, sowie "The Morning Sun", das 2007 erschien.

Ronald Welgemoed's Bemühungen einer Rotjoch Reunion war leider kein Erfolg beschieden. Zwar spielte er mit dem ursprünglichen Lead Gitarristen Pim Bilderbeek einige neue Songs im Tonstudio ein, doch eine Band-Wiedervereinigung fand leider nicht statt. Welgemoed seinerseits komponierte trotzdem weitere Songs und fand schliesslich an lokalen Jam Sessions einige Musiker, die von der Idee einer Rotjoch-Reunion überzeugt werden konnten. Neben dem Gitarristen Juan Carlos Gieling waren dies Pim Meester am Bass und Bryan Hahury, mit welchem Welgemoed bereits zuvor während vier Jahren in der Band Crosstown zusammengespielt hatte. Insgesamt wurden in dieser neuen Besetzung vier Songs im Bandstart Studio in Naarden Holland eingespielt. Zwei davon erblickten das Licht der Welt in Form der Single "Sexy" mit der B-Seite "Say No More". Einige weitere Songs wurden später mit einem anderen Schlagzeuger (William Van Veenendaal) zusätzlich noch aufgenommen. Ronald Welgemoed hat dann eine EP mit vier dieser neuen Songs veröffentlicht. "Nobody Knows", "Silly Questions", "Odd Or Even" und "We're Not Gonna Take It Anymore" sind auf dieser EP zu hören, die ausschliesslich über Rotjoch's Webseite erworben werden kann, was sich natürlich genauso lohnt, wie das einzige 1981 erschienene Album "Bad Boy", das man heute noch problemlos und in der Regel recht preiswert in Second Hand Läden oder auf den bekannten Auktions-Plattformen im Internet finden kann. Rotjoch gehört zu den sträflich unterbewerteten und kaum bekannt gewordenen Meilensteinen des Power Pop von Anfang der 80er Jahre. Ihre Songs haben bis heute nichts von ihrer Kraft eingebüsst und die Band überzeugt noch immer durch ihr grosses Gespür für Melodie.





Die wunderbare Zumutung, selbst denken dürfen zu müssen.

Haben ist besser als brauchen.
(Alte Plattensammlerweisheit)
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