[REVIEW] Connie Converse • How Sad, How Lovely (1954, erstmalig veröffentlicht 2009)
Verfasst: So 5. Nov 2023, 14:08
Connie Converse bleibt bis heute der Inbegriff eines musikalischen Rätsels - eine Künstlerin vor ihrer Zeit, vergessen und vor fast 50 Jahren spurlos verschwunden. Wenn man Converse's scharfen literarischen Geist, die Präzision der Kraft in ihren Kompositionen, die blosse Ehrlichkeit ihrer bescheidenen Aufnahmen erst einmal erfasst hat, bleibt am Ende immer diese eine unbeantwortete Frage, mit welcher uns diese Künstlerin zurückliess: Wohin war sie gegangen ? Warum packte sie ihre Sachen in ein Auto, schrieb einigen ihrer Freunde und Verwandten Abschiedsbriefe und verschwand ? Gesicherte Facts zu ihrem Leben gibt es nicht allzu viele. Es muss um das Jahr 1949 herum gewesen sein, als Elizabeth 'Connie' Converse aus dem Mount Holyoke College flog und daraufhin nach New York City umzog, um ihren Weg als Musikerin zu machen. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts begann sie damit, einzigartige, klagende und eindringliche musikalische Kleinodien zu schreiben. Einige Lieder nahm sie selbst in ihrer Wohnung in Greenwich Village auf, andere wurden von Freunden aufgenommen, die ihre Musik liebten, aber es gelang der Künstlerin nicht, ein breiteres Publikum als, wie sie es selbst einmal mit einer gewissen Ironie bemerkte "Dutzende von Menschen auf der ganzen Welt" zu erreichen. Im Jahre 1960, verzweifelt über den begrenzten kommerziellen Erfolg ihrer Musik, beschloss sie, New York zu verlassen. Sie zog nach Ann Arbor, wo sie schliesslich 1974 eine Reihe von Abschiedsbriefen an Freunde und Familienangehörige schrieb, ihren Volkswagen einpackte und verschwand. Seitdem hat niemand mehr etwas von Connie Converse gehört.
Beim ersten Hören scheint Connie Converse's Musik mit den weiblichen Folkmusikern, die ihre Zeitgenossen waren, eng verbunden zu sein. Der Hang zum klagenden Erzählen liess Parallelen zu den Musikerinnen Peggy Seeger und Susan Reed erkennen. Reed kannte Connies Musik gut und führte 1961 eine Reihe ihrer Songs an einem Konzert in New York auf. Aber Connies Musik hob sich dennoch vom amerikanischen Folk-Revival der 50er Jahre ab. Ihre fliessende und entwaffnend intelligente Poesie spiegelte eine urbane Perspektive wider, die des neuen New Yorker, der sich von den Mustern der traditionellen amerikanischen Folkmusik zunehmends gelangweilt fühlte. Connie Converse war deshalb zugleich auch eine Aussenseiterin und eine romantische, intellektuelle und spirituelle, dazu eine standhaft unabhängige Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Ihre äusserst spärlich überlieferte musikalische Arbeit gehört zu den frühesten bekannten Beispielen des Singer-Songwriter-Genres, als man diesen stilistischen Begriff noch nicht kannte. Ihre Musik war weitgehend unbekannt, bis sie 2004 in einer Radioshow vorgestellt wurde und im März 2009 auf dem Album "How Sad, How Lovely" erstmals überhaupt veröffentlicht wurde. Converse wurde 1924 in Laconia, New Hampshire, geboren. Sie wuchs in Concord als mittleres Kind in einer strengen Baptistenfamilie auf. Ihr Vater war ein Minister und ihre Mutter war laut Musikhistoriker David Garland musikalisch. Sie besuchte die Concord High School, wo sie eine Ehrenurkunde und acht akademische Auszeichnungen erhielt, darunter ein akademisches Stipendium für das Mount Holyoke College in Massachusetts. Nach zwei Jahren Studium verliess sie Holyoke und zog nach New York City.
Während der 50er Jahre arbeitete Converse für die Academy Photo Offset Druckerei im New Yorker Flatiron District. Sie lebte zunächst in Greenwich Village, später aber in den Gebieten Hell's Kitchen und Harlem. Sie fing an, sich Connie zu nennen, ein Spitzname, den sie in New York erworben hatte. Sie begann, Songs zu schreiben und sie für Freunde zu spielen, wobei sie sich selbst an der Gitarre begleitete. Während dieser Zeit fing sie auch das Rauchen und Trinken an, was sich stark gegen ihre strenge baptistische Erziehung richtete. Ihre immer noch religiösen Eltern lehnten ihre Musikkarriere ab, und ihr Vater starb, ohne je einen einzigen von Connie's Songs gehört zu haben.
Convers einzige bekannte öffentliche Aufführung war ein kurzer Fernsehauftritt im Jahre 1954 in der Morning Show auf CBS mit Walter Cronkite, den der Künstler Gene Deitch mitorganisierte. Bis 1961 (im selben Jahr, in dem Bob Dylan nach Greenwich Village zog und schnell den Mainstream-Erfolg erreichte), war zunehmends Converse frustriert, als Deitch versuchte, ihre Musik in New York zu verkaufen und immer wieder Absagen von Produzenten und Plattenfirmen erhielt. In diesem Jahr zog Connie Converse dann nach Ann Arbor, Michigan, wo ihr Bruder Philip Converse Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Michigan war. Sie arbeitete zuerst in einem Sekretariat und später als Managing Editor des Journal of Conflict Resolution, für das sie auch regelmässig Artikel schrieb. Nach ihrem Umzug in den mittleren Westen schien Converse grösstenteils aufgehört zu haben, neue Songs zu schreiben.
Connie Converse hielt sich über ihre privaten Angelegenheiten stets sehr zurück, sie war eher ein in sich gekehrter Mensch, der die breite Oeffentlichkeit nicht hat an ihrem Leben teilnehmen lassen. Laut Deitch antwortete sie fast ausschliesslich mit knappen 'ja' oder 'nein' Antworten auf Fragen zu ihrem persönlichen Leben. Sowohl Deitch als auch Connie's Bruder Phil sagten später, dass es möglich sei, dass sie lesbisch gewesen sei, aber sie habe das selbst nie bestätigt oder dementiert. Ihr Neffe, Tim Converse, hatte gesagt, dass es keine Beweise dafür gäbe, dass Connie in ihrem ganzen Leben jemals in einer romantischen Beziehung gewesen war. Ihre Familie stellte ausserdem fest, dass Connie sich gegen Ende ihrer in Michigan lebenden Zeit immer mehr dem Alkohol zugetan war. Bis 1973 war Converse ausgebrannt und deprimiert. Die Büros des Journal of Conflict Resolution, die ihr so viel bedeutet hatten, wechselten die Lokalität Ende 1972 nach Yale , nachdem sie ohne ihr Wissen versteigert worden waren. Ihre Kollegen und Freunde sammelten für die Künstlerin Geld, um eine sechsmonatige Reise nach England zu finanzieren, in der Hoffnung, ihre Stimmung würde sich dadurch wieder verbessern, doch war dies leider vergebens. Connies Mutter bat sie, sie zu einer Reise nach Alaska zu begleiten, der sie widerwillig zustimmte. Ihr Missfallen über die Reise schien letztlich mit zu ihrer Entscheidung beigetragen haben, zu verschwinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde Converse von Ärzten gesagt, dass sie eine Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) benötige, und diese Information schien die fragile Musikerin letztlich ganz aus der Fassung gebracht zu haben.