[REVIEW] Neil • The Heavy Concept Album (1984)
Verfasst: So 1. Okt 2023, 14:35
Die von Frank Zappa schelmisch, provokativ und vielleicht auch ketzerisch in einem Albumtitel gestellte Frage "Does Humor Belong In Music" findet bis heute immer wieder seinen Weg zu teils kontrovers geführten Diskussionen, wonach die generelle Frage, ob Musik grundsätzlich etwas Ernsthaftes sein muss, um als seriös angesehen zu werden, oder ob Schalk, Derbheit oder offene Satire an sich durchaus auch als ernstzunehmender Bestandteil eines musikalischen Gesamtkonzepts verstanden werden kann, ohne dass dabei automatisch ein künstlerisches Werk herabgewürdigt wird. Wer würde zum Beispiel auf die Idee kommen, die Musik der legendären Monkees als Nonsens zu klassifizieren, indem er lediglich die humoristische Komponente als alleinigen künstlerischen Wert in den zu beurteilenden Fokus stellen würde ? Oder was wäre mit der feinsinnigen Satire eines Randy Newman ? Die Verwendung von Elementen des Humors, der Satire bis zum Nonsens ist letztlich auch in der populären Musik legitim und sollte daher - gerade auch im popgeschichtlichen Konsens - nicht bloss als niedere Unterhaltung von eingeschränktem kreativem Wert verpönt werden. Etwas ketzerisch könnte man mutmassen, dass eine humoristische Komponente in der Populärmusik äquivalent zum Intellekt eines Künstlers steht, denn vielmals kennen nur geistlose Menschen keinen Humor, oder ? Dass es Bands, Musiker und entsprechende Platten gibt, über die man lachen kann, sie aber trotzdem als künstlerisch wertvolle und seriöse Unterhaltung begreift, beweisen zum Beispiel Gruppen wie die Bonzo Dog Doo Dah Band oder die britische Comedytruppe Monty Phyton, die mit ihren Plattenveröffentlichungen viele Käufer begeisterten. Es gab beispielsweise in den USA einen Musiker namens Ray Stevens, der im Grunde nicht wirklich als Komödiant wahrgenommen wurde, der aber mit einer humoristischen Nummer bis auf Platz 1 der Charts emporschoss ("The Streak"), in welcher er die in den 70er Jahren eine zeitlang weitverbreitete Angewohnheit einiger Menschen besang, die hierzulande gemeinhin als "flitzen" bekannt war: Splitternackt über ein Fussballfeld zu rennen, oder auch mitten auf einer belebten Strasse, vornehmlich um die Menschen zu belustigen und weniger, um einem exhibitionistischen Trieb zu folgen. Der Song wurde zu Ray Stevens' grösstem Hit, weshalb er die humoristische Komponente bei all seinen weiteren musikalischen Projekten stets mit einbaute. Humor bietet also langfristig betrachtet auch eine grosse Nachhaltigkeit: Platten, die uns zum lachen bringen, legen wir uns vielleicht öfters auf als Platten, die uns betrüblich stimmen. Eigentlich eine schöne Ueberlegung.
Neil's "Heavy Concept Album" ist ein solch humoristisches Album, das allerdings künstlerisch und musikalisch dermassen perfekt umgesetzt worden ist, dass es einem schwerfällt, das Werk noch als Comedy im klassischen Sinne zu bewerten. Hinter Neil verbirgt sich der Brite Nigel Planer, ein 1953 in London geborener Schauspieler, Comedian, Theaterautor und Novelist, der eine äusserst seriöse Ausbildung an der University Of Sussex und der London Academy Of Music And Dramatic Art genoss. Er trat ausserdem in vielen Musicals auf, so war er etwa in den Aufführungen von "Evita", "We Will Rock You" oder "Charlie And The Chocolate Factory" zu sehen. Neben seinen ernsthaften Rollen spielte Planer aber auch schon früh gerne und oft und auch recht erfolgreich in der Sparte Comedy, dabei agierte er alleine, aber auch zu zweit oder in einem ganzen Team. Das Erfolgreichste dieser Teams etablierte sich als The Young Ones und feierte in der gleichnamigen BBC Comedy-Sendung grosse Erfolge. Dieser Erfolg hat das weitere Schaffen des Künstlers nachhaltig beeinflusst: Er begann, Nonsens-Schriften zu verfassen, etwa "Neil's Book Of The Dead", eine Persiflage auf das Tibetanische Totenbuch, das sich ebenso gut verkaufte wie die weiteren Bücher "Faking It" und "The Right Man". Planer arbeitete im weiteren auch - wiederum auf der ernsthaften Seite seinen Schaffens angesiedelt - als Erzähler der von ihm gesprochenen und kommentierten Hörbücher der Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett.
But most of all: Nigel Planer war Neil. Der Hippie mit dem goldenen Herzen, dem alles misslingt, der in die abenteuerlichsten Situationen gerät, dauernd eins auf den Kopf kriegt, dabei immer liebenswürdig verkifft und herzerweichend verwahrlost daherschlurft, dass man ihn einfach in die Arme schliessen will. Die Rolle als langer Lulatsch im verbeulten Trenchcoat verkörperte er bereits erfolgreich in der Comedy-Serie "The Young Ones", und in diese Rolle schlüpfte er auch als Musiker. Die Idee, überhaupt eine Platte aufzunehmen, war dem Umstand geschuldet, dass es damals in England durchaus nicht unüblich war, einer Rock Band als Support Act etwas Amüsantes zur Stimmungsmache voranzustellen. Allan MacGowan, ein Konzertagent, buchte Nigel Planer ab und an für solche Vorprogramme, die Planer dann auch zusammen mit Peter Richardson unter dem Duett-Namen The Outer Limits bestritt. Unter anderem absolvierte das Duo in dieser Eigenschaft einige Konzerte zusammen mit Dexy's Midnight Runners. Nigel Planer solo wiederum trat unter seinem Pseudonym Neil auch als Support Act für Marillion auf. Zu dem Zeitpunkt wurde offen über eine Single mit Marillion verhandelt, jedoch wurde daraus letztlich nichts. Stattdessen kam ein Kontakt mit Dave Stewart zustande. Dieser Allroundkünstler und Perfektionist trug einen klingenden Namen im vereinigten Königreich, denn er spielte schon seit vielen Jahren in der Canterbury-Szene etwa bei The National Health und Hatfield & The North mit, ausserdem war er eines der Gründungsmitglieder der Formation Egg ("The Civil Surface"). Als erste Single wählte Nigel Planer den Traffic-Klassiker "Hole In My Shoe" und spielte ihn mit einer auserlesenen Crew britischer Topmusiker ein. Die Single schlug ein wie eine Bombe: Platz 2 in den englischen Charts, nur übertroffen von Frankie Goes To Hollywood's "Two Tribes", was Nigel Planer sich, ganz britisches Understatement, letztlich überhaupt nicht erklären konnte: "I have absolutely no idea why Neil was a success".
Der unerwartete Erfolg der Single führte schliesslich auch zur Ueberzeugung, dass dieser Hippie Neil unbedingt auch ein Album aufnehmen und veröffentlichen sollte. Warner Brothers gab erneut grünes Licht, und Neil versammelte wiederum exzellente Topmusiker um sich, handverlesen vom umtriebigen Dave Stewart, dem die Idee zugrunde lag, zwar einerseits ein Comedyalbum aufzunehmen, andererseits aber auch qualitativ ein so hohes und perfektes Level zu erreichen, dass die Platte auch musikalisch überzeugen konnte und nicht einfach nur als Spassprojekt durchgehen würde. Dazu holte Stewart für die Aufnahmen als weitere Musikerin die Sängerin und Gitarristin Barbara Gaskin (ehemals bei Spirogyra), mit der er selber schon seit einiger Zeit erfolgreich musizierte. Dazu gesellte sich der Gitarrist Jakko Jakszyk, der mit Dave Stewart zusammen bei der New Wave-Combo Rapid Eye Movement spielte und der später zu King Crimson wechseln sollte. Auch mit von der Partie waren die beiden Schlagzeuger Pip Pyle (Gong, Soft Heap, Hatfield & The North) und Gavin Harrison (Porcupine Tree, Steven Wilson, Blackfield, King Crimson). Als speziellen Rock-Schlagzeuger für eine Black Sabbath-Persiflage ("Lentil Nightmare") verpflichtete er ausserdem den hervorragenden Bryson Graham, den ehemaligen Spooky Tooth-Trommler.
Insbesondere Jakszyk erinnert sich gerne an die Zeit damals: "We were all big fans of the Neil character. You have to remember we were all big fans of "The Young Ones" in general. That show was a really important part of the brave new world of comedy back then. It didn't felt like it was part of the mainstream. It felt like it belonged to us." Nigel Planer verkörperte in seiner Figur als Hippie-Loser Neil einen Archetypus, der in den Hoffnungen, Wünschen und Träumen, ja im Bewusstsein vieler Briten existent war. Man fühlte einfach mit der Figur Neil mit, wenn er wieder mal völlig unschuldig in die unmöglichste Situation geriet, und sich aus einem harmlosen Fauxpas ein Grande Desaster entwickelte, das die halbe Welt aus den Fugen geraten liess. Und so war denn auch sein "Heavy Concept Album" eine Ansammlung unheilvoller Humoresken, die oftmals unschuldig begannen und in einer Art belustigenden Tragik endeten.
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