Seite 1 von 1

[REVIEW] Long John And The Killer Blues Collective • Heavy Electric Blues (2017)

Verfasst: Mo 15. Mai 2023, 11:28
von Beatnik
Bild

Ich muss gestehen, dass mich Blues Rock in all seinen verschiedenen Klang- und Spielformen nicht mehr wirklich vom Hocker haut, denn viele mir persönlich äusserst wichtige Zutaten sind in diesem musikalischen Bereich im Laufe der Jahre immer mehr auf der Strecke geblieben. Insbesondere fehlt mir bei modernen Produktionen oft das Herz, die Seele, oder auch nur ganz schlicht eine schlüssige Botschaft. Viele der heutigen Protagonisten, die sich beispielsweise bei den klassischen Vertretern aus den 60er oder 70er Jahren bedienen, vergessen oft, dass es mit der sprichwörtlichen Hauruck-Mentalität alleine nicht getan ist, noch irgendwie beeindruckend ein bisschen trockenen Wüstensand in Arizona aufzuwirbeln, sodass noch irgendjemand interessiert hinschauen würde. Genau aus diesem Grund freue ich mich immer wieder, wenn mich eine neue Combo diesbezüglich eines besseren belehrt und meine Begeisterung für Blues Rock für ein unterhaltsames Dreiviertelstündchen zurückzubringen vermag. Long John And The Killer Blues Collective sind nicht einfach eine Haudruff-Kapelle, wie es sie - gestern wie heute - zuhauf gibt, sondern das Resultat einer fühlbaren persönlichen Verinnerlichung einiger Spielarten des Blues, wie beispielsweise der Heavy Blues, der Rock'n'Roll und - als quasi augen- und ohrenfälligstes Merkmal der Alternative Rock.

Hauptprotagonist des Killer Blues Collective ist Namensgeber Long John, der auch schon ohne sein Kollektiv und auch unter seinem mit dem bürgerlichen Nachnamen versehenen Künstlernamen Long John Laundry einige Aufnahmen veröffentlicht hat, die zumeist den Weg auf Genre-Samplers fanden. Der Sänger, Gitarrist und Mundharmonika-Spieler Long John spielte über die vergangenen fünf Jahre immer wieder mit wechselnden Begleitmusikern zusammen, bis sich ein harter Kern gebildet hatte, der schliesslich zum aktuellen Quartett führte, das neben Long John aus dem Lead Gitarristen Danny Page, dem Bassisten Jules Fly Haffegee und dem Schlagzeuger Pip Mailing besteht. Zu den Aufnahmen zum Debutalbum "Heavy Electric Blues" gesellten sich ausserdem noch einige Gastmusiker, wie die beiden Keyboarder Rob Poyton, der eine herrliche und warme Hammond B3 Orgel beisteuerte, sowie Henri Herbert für einige deftige Klaviereinlagen. Der zusätzliche Gesang von Nicky Price und die tollen und perkussiven Congas von Lee Morley runden das Line-Up ab.

Interessant an der Arbeit zu diesem Debutalbum war vor allem, dass den endgültigen Aufnahmen in Bedfordshire in England viele Probesessions voraus gingen, die in London und Umgebung, aber auch in Prag stattfanden. Diese sogenannten 'Pre-Recordings' zogen sich über eine Zeitspanne von mehr als zwei Jahren, bevor dann die für das Album ausgewählten Songs im Mai 2017 in den Lost Boys Studios in Bedforshire eingespielt wurden. Diese Songs, am Ende elf an der Zahl, klangen schliesslich so gar nicht britisch, und auch nicht unbedingt so, wie sich Long John bis dahin präsentiert hatte. Auf "Heavy Electric Blues" (diesbezüglich vielleicht ein eher irritierender Titel für dieses Werk) überraschte der Musiker und seine Mannschaft mit einem eklektischen Mix aus Howlin' Wolf Blues, Captain Beefheart Schrägness und den Louisiana Voodoo Blues Geschichten von Tom Waits. Die Band ist wesentlich näher am traditionsreichen Swamp Blues, als am typisch britischen Blues Rock. Bis dieses Album endlich Gestalt angenommen hatte, dauerte es jedoch eine gewisse Zeit. Long John selbst sagt hierzu: "We began the journey with myself and Jules Fly aiming to create an original sound and vibe digging deep into our own Blues/Soul/Punk backgrounds and tapping into vintage blues vibes and deep musical roots, triggering my own personal lyrical Journey, leading me down a path to exploring my own inner demons and spiritual thoughts. You could say this album is spiritual, honest and straight from my soul".

Für den Hauptakteur war dies eine Reise ins Unbekannte - was letztendlich genau passieren würde im Tonstudio, das wussten weder er noch sein Mitstreiter eigentlich so richtig. Jeder der Beteiligten versuchte letztendlich, seinen ganz persönlichen Stil mit einzubringen, was letztlich perfekt gelang und wohl auch dem Produzenten Nick Mailing zu verdanken war, der die Aufnahmen äusserst geschickt in eine Richtung lotste, welche der Band einerseits die richtige Street Credibility, andererseits aber auch eine ganz persönliche Note verpasste. Nick Mailing hat schon die Quireboys produziert, und eine gute Portion des herzhaften Punch der Quireboys kann man bei Long John's Debutalbum durchaus heraushören, obschon die Band sehr wohl weiss, dass Lautstärke allein nicht das allgemein gültige Rezept sein konnte und sein wird. Der Bassist Jules Fly Haffegee brachte es auf den Punkt: "We knew we could make a killer album and that's what all these other bands been about: making super-heavy-weight electric blues". Wenn man sich dieses hervorragende Debutalbum dann anhört, merkt man, wie sehr sich die Band um Authentizität bemüht hat und sich konsequent auf die eigenen Qualitäten und Vorlieben konzentrieren konnte, ohne auf irgendwelche Klischees vorschnell hereinzufallen. Das machte schliesslich die Stücke des Albums aus, die sich allesamt wesentlich reifer und abgeklärter anhören als von einem Debutalbum einer noch so jungen Band.

Das Werk startet fulminant mit dem Opener "My Soul Rising", einem hypnotisierenden und archaischen Blues, der recht sparsam arrangiert ist und einigen Songs von Savoy Brown der letzten Jahre ähnelt. John Laundry hat die nötige Körnung an seinen Stimmbändern. Ein bisschen geheimnisvolles Voodoo-Flair kann man schon hier heraushören. Der nachfolgende "Holy Moly Blues" klingt dann wie tiefstes Louisiana - ein klassischer Swamp Blues beinahe schon, mit klaren Reminiszenzen an Captain Beefheart und noch klareren an Dr. John, was vor allem der leichtfüssige Funky Bass von Jules Fly Haffegee bewerkstelligt. Das Album nimmt Fahrt auf mit dem nächsten Song "Preacher's House", einem köstlichen und Stimmung verbreitenden Party-Schmetterer im klassischen Boogie Woogie Stil mit einem herrlich scheppernden Klavier. Dann folgt mit dem "Devil's Train" ein klassischer Boogie, zu welchem es auch ein offizielles Videoclip gibt. Ein rasantes Tempo, mit dem dieser teuflische Zug am Hörer vorbeirast. "Lay Me Down" dann knochentrocken und sehr hart. Das Stück "Deep Water" beginnt als eine Art "Rumble" von Link Wray mit der gleichen langsamen, bedrohlichen Atmosphäre. Dieses Stück fungiert als düsterer Ruhepunkt im gesamten Programm der Platte. Der anschliessende, langsame Blues "Cold Blood Blues" ist die Atempause auf diesem Album. Dieser Blues klingt so, wie man es von einem solchen Titel erwartet: Edle Gitarrenarbeit, gemächliches Tempo, sehr feines Feeling - ein elegantes Stück, das auch einem Eric Clapton gut stehen würde. Ganz anders dann die nächste Nummer "Big Man Got A Fat Chicken": Die beginnt jazzig und nimmt langsam ziemlich dynamisch Fahrt auf, um mit messerscharfen Carving-Gitarren zu überzeugen. Der Sound der Rolling Stones, zu Zeiten von "Gimme Shelter" kommt mir schliesslich in den Sinn, als ich dem funkigen "Hell Is Not No Place To Be" lausche und der überzeugende, schillernde Rocker "Tequila" brettert schliesslich mit voller Geschwindigkeit das Finale dieser beeindruckenden Platte herunter.

Long John und sein Killer Blues Collective schauen grinsend, als der Rauch sich langsam über dem Plattenspieler auflöst. Speziell erwähnenswert ist auch das fabelhafte Cover-Artwork des berühmten Künstlers Johnny Stingray, der das Bild der musikalischen Reise mit seinem höllischen Mal-Stil herrlich in Szene setzen konnte und den Raum und die Zeit dieser Platte perfekt einfing. Jules Fly Haffegee hierzu: "Nicht viele Künstler kommen, nur weil sie mit der Band auf Shows herumhängen und den Tag mit Aufnahmesessions verbringen, in den Genuss einer Zusammenarbeit mit solch einem erfahrenen und legendären Cover-Designer. Johnny Stingray ist ein echter Visionär und sein Stil ist originell und dunkel und perfekt auf den Punkt". Live bietet die Band eine beeindruckende Präsenz. Eine Show, die von der überzeugenden Performance von kraftvollen Predigt-Stimmen und schreienden Gitarren lebt, die von einem phantastisch geerdeten Schlagzeug- und Basskraftwerk gehalten werden. Das ist Live Blues der absolut überzeugenden Art. Für mich sind Long John und sein Killer Blues Collective endlich mal wieder ein neuer Act aus dem Bereich Blues Rock, der mich von A bis Z überzeugt, weil er sehr überzeugend Härte und Dynamik mit Herz und Seele zu verbinden versteht. Ein Rosinchen unter Hunderten von stilistisch ähnlich gelagerten Veröffentlichungen, das es wert ist, entdeckt zu werden.




Re: [REVIEW] Long John And The Killer Blues Collective • Heavy Electric Blues (2017)

Verfasst: Mo 15. Mai 2023, 18:02
von Vombatus ursinus
Wie immer sehr gut und ausführlich beschrieben. Der Mann mit seinen Blues-Killern kann mich überzeugen. Der obere Track ist ein knalliger, leicht wilder Rocker, der untere ein Track, den man ganz gerne als leicht verschleppten und schwer-erdigen Blues bezeichnen mag.
Frage: könnte es sein, daß der gute lange John und seine Killer erst ein einziges Album (nämlich dieses) rausgebracht haben? Bei Discogs z.B. finde ich nur dieses.

Re: [REVIEW] Long John And The Killer Blues Collective • Heavy Electric Blues (2017)

Verfasst: Mo 15. Mai 2023, 23:08
von Louder Than Hell
Wenn ich die Wahl hätte, würde mir der zweite Song auch wesentlich mehr zusagen, als der mit Schmackes vorgetragene erste Killersong. Warum: Mir sagt das bluesige Gefühl mehr zu als ein Höchstmaß an Geschwindigkeit. Und darin liegt die Crux begraben im Bereich des Bluesrocks. Heute gibt es viele Gitarristen, die technisch extrem gut drauf sind und auch rasend schnell spielen können, aber letztlich den Blues vergessen, für den sie einstehen.

Insofern würde es mich schon interessieren, ob das gesamte Album überwiegend aus Stücken aus dem Midtempobereich besteht, oder die rasend schneller Sprinter in den Vordergrund rücken.

Re: [REVIEW] Long John And The Killer Blues Collective • Heavy Electric Blues (2017)

Verfasst: Di 16. Mai 2023, 00:29
von Beatnik
Louder Than Hell hat geschrieben: Mo 15. Mai 2023, 23:08 Wenn ich die Wahl hätte, würde mir der zweite Song auch wesentlich mehr zusagen, als der mit Schmackes vorgetragene erste Killersong. Warum: Mir sagt das bluesige Gefühl mehr zu als ein Höchstmaß an Geschwindigkeit. Und darin liegt die Crux begraben im Bereich des Bluesrocks. Heute gibt es viele Gitarristen, die technisch extrem gut drauf sind und auch rasend schnell spielen können, aber letztlich den Blues vergessen, für den sie einstehen.

Insofern würde es mich schon interessieren, ob das gesamte Album überwiegend aus Stücken aus dem Midtempobereich besteht, oder die rasend schneller Sprinter in den Vordergrund rücken.
Die beiden Songs, die ich ausgewählt habe, sind eine passable Referenz für die ganze Platte, nur ein roter Faden hat das Album: Es bleibt immer ganz schön rockig. Die Midtempo-Songs überwiegen natürlich schon, und allzu viel Variantenreichtum kann man auch nicht hören - aber mir gefällt so ein wenig dieses Ruchlose im Sound der Band, das bisweilen ein wenig an Biker Rock erinnert. 😉